Engel

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"Hey Schatz.", begrüßte mich Rylie schließlich, während ich immer noch gelähmt vor Schreck im Türrahmen stand.

"Setz dich doch." Er schob einen Stuhl zurück. Nach kurzem Auftauen aus meiner Starre setzte ich mich in Bewegung und ließ mich schließlich benommen auf dem Stuhl nieder.

Er setzte sich mir gegenüber und ich schaute auf den mit Spaghetti Carbonara gefüllten Teller vor mir. Eins musste ich Rylie lassen, kochen konnte er wie ein Meister. Vor allem italienisch, dank seines Migrationshintergrunds.

Aber das interessierte mich gerade eher weniger.

„Gibt es einen besonderen Anlass, den ich vergessen habe?", brachte ich schließlich hervor, als er begann uns Wein einzuschenken.

Was passierte hier gerade?

„Nein, aber ich dachte mir, es ist wichtig Zeit für Zweisamkeit zu haben um die Romantik aufrechtzuerhalten und uns nicht im Alltag zu verlieren.", meinte er lächelnd.

Er war immer ehrlich, aber gerade hatte ich das Gefühl, er verschwieg mir irgendetwas, denn sowas war nicht wirklich seine Art.

Normalerweise hielt er sich eher zurück oder redete mit mir über etwas, dass ihn störte. Aber sowas war noch nie vorgekommen. Deshalb war ich auch so überrumpelt.

„Auf unsere glückliche Beziehung.", brachte er als Toast, als er sein Glas hob.

Bei diesen Worten fühlte sich etwas tief in mir drin plötzlich falsch an. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht und als ich ins Gesicht meines Freundes schaute, sah ich nur eins: Ryder und den Schmerz in seinen Augen, die Wut und den Hass und gleichzeitig das, was in ihm zerbrochen war.

Ich musste mich wirklich konzentrieren, dass mir das Glas nicht aus der Hand fiel, deshalb umklammerte ich es mit steifen Fingern und setzte ein sanftes Lächeln auf, welches Rylie naiv erwiderte.

War das gerade mein absoluter Tiefpunkt? Natürlich.
Musste ich mich jetzt schlecht fühlen? Auf jeden Fall.
Aber tat ich das nicht, weil ich verdammt nochmal kein guter Mensch war? Definitiv.

Was sollte ich tun? Ich sah ihn. Ununterbrochen. Sein Gesicht war, während ich aß, in meinen Spaghetti, Rylies Lächeln erinnerte mich an das seine und das Einzige, was meine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte, war die Erinnerung an seine raue, tiefe Stimme, die mir selbst beim Gedanken daran eine Gänsehaut bescherte.

Worüber auch immer mein Freund gerade mit mir sprach, zwar sah ich die Bewegung seiner Lippen, aber keines seiner Worte erreichte mein Gehirn.

"Mona?", hörte ich Rylies Stimme, wie als würde ich auftauchen, nachdem ich unter Wasser gewesen war. Die Berührung seiner Hand an meiner holte mich in die Realität zurück.

"Hmm?", machte ich unkontrolliert. Mein Herz schlug wie in Zeitlupe. Meine ganze Kraft war verschwunden und meine Lider wurden schwer wie Blei.

"Ist dir kalt?", fragte mein Freund besorgt und ich folgte seinem Blick auf meinen Arm.

Meine Haut war deutlich von Gänsehaut überzogen. Aber eigentlich war mir eher noch unangenehm heiß.

"Alles in Ordnung. Eigentlich bin ich eher etwas müde.", antwortete ich ehrlich. Schlaf war das einzige, was mich jetzt noch von meinen Problemen ablenken konnte.

"Weiß du was? Wir sind doch eh fertig.", meinte er mit komischem Unterton und stand auf um die Teller abzuräumen.

Wo blieb meine Familie eigentlich? Und wie spät war es überhaupt?

"Es war unfassbar lecker.", sagte ich schließlich, weil Rylie auf mich irgendwie enttäuscht wirkte. "Und danke. Ich weiß das alles wirklich zu schätzen."

Truth or LiesWhere stories live. Discover now