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2010

Lea

Mit einem nervös verkniffenen Gesicht parke ich meinen kleinen Subaru auf einem der Kurzzeitparkplätze vor dem Mädchenwohnheim auf dem Campus der Steven Points University in Wisconsin. Ich sehe an dem vierstöckigen Gebäude aus der Gründerzeit nach oben und beobachte dann minutenlang die Studenten, die die Stufen zum Gebäude hoch- und wieder runterlaufen. In ein paar Tagen beginnt das Semester, für mich das erste überhaupt an einem College. Ich werde zum ersten Mal, seit wir in die USA gekommen, sind außerhalb von River Falls leben, wenn auch nicht so weit weg von zu Hause, wie ich es mir gewünscht hätte. Und leider schon gar nicht weit genug weg von Ian, aber wahrscheinlich ist dieser Campus groß genug, damit ich ihn nie sehen werde. Zumindest nicht sofort. Leider ist dieses College das einzige, das mir ein Teilstipendium gegeben hat. Außerdem bin ich als ehemaliges Mitglied des West River Falls Cheerleader Teams hier am College nicht ganz unbekannt und mein Platz im hiesigen Team ist schon längst in trockenen Tüchern.

Ich lasse meinen Blick weiter zum kleineren Haus neben dem Mädchenwohnheim gleiten: das Verbindungshaus des UWSP Cheer Dance Teams. Dort werde ich wohnen. Ein weißes Haus mit zwei Etagen und einem großen Balkon, von dem ein lila Banner hängt, auf dem der Kopf eines gelben Hundes abgebildet ist - das Maskottchen der Pointers, der Footballmannschaft des Colleges. Ians Mannschaft. Wahrscheinlich werde ich ihm doch viel eher begegnen, als mir lieb ist. Das wird mir in diesem Moment bewusst, als ich das Banner der Mannschaft am Haus meiner Schwesternschaft hängen sehe. Dieser Gedanke ist schon seit einiger Zeit da, aber ich habe ihn immer verdrängt, weil ich sonst wahrscheinlich jetzt nicht hier stehen würde. Aber das hier ist nun mal meine einzige Chance auf einen Collegeabschluss, und darauf, es irgendwann vielleicht in das Cheerleader-Team einer NFL Mannschaft zu schaffen. Ohne dieses Stipendium könnte ich mir ein College nicht einmal leisten. Die Therapien meines Bruders verschlingen zu viel Geld.

»Also dann«, versuche ich mir Mut zu machen. Obwohl ich schon dankbar bin, dass ich die Bewerbungsphase in der Verbindung überspringen darf, weil ich das Vorauswahlverfahren letztes Jahr gewonnen habe, habe ich noch immer Magengrummeln, wenn ich daran denke, dass ich in diesem Haus mit Mädchen wohnen werde, die ich gar nicht kenne. Ich hole tief Luft, öffne das Auto und steige aus.

»Dein Auto passt gut hierher«, ruft mir ein Mädchen zu. Sie steht an dem Auto neben meinem und lädt sich gerade einen Karton auf die Arme. Ihr klebt das Haar im verschwitzten Gesicht, wahrscheinlich hat sie schon ein paar Kartons auf ihr Zimmer getragen, man kann ihr die Erschöpfung regelrecht ansehen.

Ich mustere das dunkle Lila meines Subarus und grinse. »Stimmt, ist mir noch gar nicht aufgefallen. Die Rostflecken kann ich ja mit dem Maskottchen überkleben«, schlage ich dem Mädchen vor, das zustimmend nickt und dann an mir vorbei die Stufen zum Wohnheim nach oben eilt. Ich sehe dem Mädchen nach, dann lasse ich meinen Blick über das hektische Treiben um mich herum gleiten. Heute ist der Tag, an dem die meisten Studenten auf dem Campus einziehen.

Der Campus der Steven Points University ist wie eine Kleinstadt. Es gibt Cafeterias, Diner, mehrere Shops und sogar eine Bar. Die Student Union befindet sich ziemlich im Zentrum des Campus. Eine von fünf Dininghalls nur etwa zehn Minuten vom Mädchenwohnheim entfernt. Ich habe den Lageplan des gesamten Campus über die letzten Wochen hinweg in- und auswendig gelernt. Auf keinen Fall will ich wie viele unvorbereitete Anfänger über den Campus stolpern, so dass jeder mir gleich ansehen kann, dass ich hier neu bin. Mir wäre es sogar lieb, wenn ich eher gar nicht auffalle.

Früher war mir Aufmerksamkeit eigentlich egal, ich kam gut damit klar, aber seit damals versuche ich es zu vermeiden aufzufallen. Wobei das schwer ist, als Cheerleader. Denn als Cheerleader steht man oft im Mittelpunkt. Aber das Cheerleading verleiht mir Sicherheit. Es ist die einzige Sicherheit, die ich noch habe. Wenn ich tanze, kann ich vergessen. Alles, was um mich herum ist. Alles, was jemals passiert ist. Dann bin ich wieder dieses Mädchen, das einfach nur die beste Freundin von Ian ist und mit ihm gemeinsam unter der Trauerweide auf dem Anwesen seines Vaters Pläne schmiedet, wie wir beide es in die NFL schaffen könnten. Außerdem lege ich schon immer Wert darauf, gut vorbereitet zu sein.

The Distance between usWhere stories live. Discover now