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Lea

Hawaii, Flitterwochen, ein Flugzeug. Ich muss schmunzeln, als ich über das Gespräch mit meiner Mutter heute Morgen nachdenke und über ihren verängstigten, fast panischen Blick, den sie mir zugeworfen hat, bevor sie in das Taxi eingestiegen ist. Als hätte sie mir am liebsten ein »Hilfe« zugerufen. »Rette mich, denn ich muss wahnsinnig sein, in ein Flugzeug steigen zu wollen. Aber ich habe sie nur ausgelacht und die Tür des Taxis zugeworfen.

»Du schaffst das schon«, habe ich ihr gesagt.

»Du auch«, hat sie zum Fenster hinausgerufen. »Lass ihn nicht einfach wieder verschwinden. Ich will nicht noch einmal mit ansehen müssen, wie du dich in deinem Zimmer einsperrst, weil er weg ist.« Sie hat wirklich gedacht, ich hätte mich damals wegen Ian vom Leben zurückgezogen. Ich habe sie in dem Glauben gelassen, soll sie lieber daran glauben, als die Wahrheit zu kennen. Vielleicht hat sie sogar auch ein bisschen Recht. Vielleicht hat Ian mir damals das Herz gebrochen, als er gegangen ist.

Ich streiche mit meinen Fingern über den Stamm unserer Trauerweide, laufe einmal um sie herum und dann setze ich mich auf die Wiese. Diese Weide ist nicht ganz so groß wie die in Stevens Point, aber ihre Blätter bilden ein ausreichend großes Dach, um sich darunter zu legen und zu träumen. Ich genieße eine Weile die Stille, die das Anwesen jetzt heimsucht. Mario ist in seinem Zimmer im Haupthaus und sieht fern. Seine Pflegerin, eine Frau mittleren Alters, richtet sich ihr Zuhause für die nächsten Wochen ein. Und Ian arbeitet in der Werkstatt an seinem Motorrad. Seit heute Morgen hat er nicht mehr mit mir gesprochen. Meine Brust fühlt sich mit jedem Atemzug schwerer an. Wir haben auch in der Nacht nicht gesprochen, als er wieder zu mir ins Bett gekommen ist. Vielleicht war ich zu müde. Vielleicht war ich aber auch einfach zufrieden mit dem, was er bereit war, mir zu geben.

Ich nehme das Buch, das ich mir mitgenommen habe, und schlage die erste Seite auf. »Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle, im Besitz eines schönen Vermögens, nichts dringender braucht als eine Frau.« Jane Austens berühmter erster Satz aus Stolz und Vorurteil. Ich weiß nicht, warum gerade dieser Satz es mir so sehr angetan hat. Aber ich lese ihn gern und immer wieder, bevor ich mich in die wundervoll romantische Welt von Mr. Darcy träume. Wenn es nur im echten Leben auch so wäre: am Ende bekommt die Frau den kühlen, schwierigen, manchmal abweisenden Mann, egal wie sehr er sich wehrt. Aber vielleicht sollte ich es wie Elizabeth Bennet machen und nicht nachgeben, sondern erhobenen Hauptes für das einstehen, was ich möchte.

Und was ich möchte, ist Ian. Ich habe ihm viel zu schnell geglaubt, dass es nicht richtig wäre, wenn wir zusammen wären. Aber meine Mutter hat recht, nichts würde dagegen sprechen, denn wir sind nicht wirklich verwandt. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich, ob es für Ian nur eine hilfreiche Ausrede war, um mir nicht sagen zu müssen, dass er eigentlich nicht mit mir zusammen sein möchte. Könnte das sein?

Ich klappe das Buch wieder zu, vielleicht sollte ich den Kopf wieder freibekommen und mich mit anderen Dingen ablenken. Ich nehme mein Handy und scrolle mich durch die Liste Telefonnummern und überlege, welche meiner Freundinnen nicht auf ein College gegangen sind. Vielleicht wäre sie noch in River Falls und würde mit mir etwas unternehmen. Als mein Blick auf Katys Name fällt, lass ich meinen Daumen einige Sekunden über der Nummer schweben, bevor ich mich entscheide, sie doch nicht anzurufen, weil ich noch nicht bereit bin, mit ihr oder irgendjemand über Trevor zu reden. Aber wenn wir ihm begegnen würden, könnte ich meine Fassade wahrscheinlich nicht mehr viel länger aufrecht erhalten. Ich entscheide mich dafür, mit Mario fernzusehen.

Ich stehe auf, teile den Blättervorhang und pralle gegen Ians Brust. Keuchend taumle ich rückwärts, doch Ian packt meinen Oberarm, bevor ich auf meinem Hintern landen kann.

The Distance between usWhere stories live. Discover now