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Er sübbeld an seiner Zigarette und stößt dann in einem geschmeidigen Atemzug den Rauch aus Mund und Nase. Ich kneife die Augen zusammen und verziehe mein Gesicht, gerade so, als würde er mir den Rauch mitten ins Gesicht blasen.

"Du starrst", flötet meine beste Freundin neben mir und grinst, abermals verziehe ich mein Gesicht, wende meinen starrenden Blick ab und will gerade widersprechen. Doch ehe ich auch nur ein Wort sagen kann straft Clara mich mit einem feixendem aber zugleich auch strengen Blick, der mir sagt, dass widersprechen zwecklos wäre und ich mich damit nur auf eine nervige Debatte mit ihr einlassen würde. Und um ehrlich zu sein, ich habe wirklich gestarrt, aber das will ich nicht zugeben.

"Ich verstehe es nicht", seufzt Clara neben mir, sobald sie ihren Blick wieder abgewendet hat und jetzt in ihren Apfel beißt. "Du stehst schon so ewig lang auf ihn, aber hast noch nie mit ihm gesprochen." Clara schmatzt ein wenig und gerne hätte ich ihr eingebläut, was Manieren sind, aber ich weiß, dass das nichts bringen würde.

Meine beste Freundin davon überzeugen zu wollen, dass ich nicht in Elijah verliebt bin oder auf ihn stehe bringt auch nichts, das habe ich schon zu oft versucht. Und Recht hat sie ja auch irgendwo, denn auch wenn ich versuche mir einzureden, dass es nicht so ist, in jedem meiner Träume kommen seine Dunkeln Locken und seine grauen Augen vor und nicht nur in den Jugendfreien.

"Es würd nichts bringen ihn anzusprechen", erkläre ich Clara, welche sich gerad mit dem Handrücken über den Mund fährt und die Hand dann an ihrer Hose abwischt. "Nicht mal in 100 Jahren würde er was von mir wollen." Ich seufze.

Elijah ist so unerreichbar für mich wie der Jupiter für die Raumfahrt. Nicht dass ich nicht seinem Typ entsprechen würde, denn ich weiß nicht mal was sein Typ überhaupt ist. In den ganzen acht Jahren die wir schon zusammen in einer Stufe sind habe ich ihn noch nie mit jemanden intimer werden sehen, als mit seiner Zigarette. Weder mit einem Jungen, noch mit einem Mädchen. Und es liegt nicht daran, dass er keine Auswahl hätte, er hat genug Verehrerinnen, mir mit eingeschlossen. Meine Theorie ist, dass er entweder unfähig ist zu lieben oder allgemein keine sexuellen oder romantischen Gefühle hat. Und an dieser Theorie halte ich auch weiterhin fest, bis mir jemand das Gegenteil beweist.

Clara schnaubt genervt, sie hat mich schon oft davon überzeugen wollen, dass ich im Unrecht bin und irgendwie haben wir darüber auch eine unausgesproche Wette am Laufen. Ich verliere nur ungerne Wetten gegen Clara, sie wird dann immer so unausstehlich überheblich und reibt es einem noch Wochen später unter die Nase.

"Du kannst ja gar nicht wissen, ob du sein Typ bist, wenn du noch nie mit ihm gesprochen hast.", erklärt sie mir, als wäre ich dumm.

Ja klar, ich weiß nur wenig über Elijah, aber selbst ohne ein Wort mit ihm gesprochen zu haben, weiß ich, dass er nicht schwul ist. Die gutaussehenden sind nie schwul, das habe ich schon oft genug schmerzlich erfahren. Ich bleibe leise, Clara ist zu 100 Prozent davon überzeugt, dass Elijah schwul ist und ihr das auszureden ist nahezu unmöglich. Und eigentlich ist sie auch nur so überzeugt davon, weil sie es sich lang genug eingeredet hat, um mir Hoffnungen und Mut zu machen. Clara wird schnell Opfer vom klassischen Placebo Effekts und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich auch sagen, dass sie ein absoluter Hypochonder ist. Bei Clara funktioniert alles, was mit zu viel Gedankenkraft zu tun hat. Einmal war ich kurz davor sie davon zu überzeugen, dass ich ein Vampir bin, sie hat fast geweint.

Das ich schwul bin ist im Übrigen kein Geheimnis, ich gehe damit so locker um wie manche mit ihren Beziehungen. Nur da bisher niemand gefragt hat, weiß es eigentlich auch niemand, bis auf meine engsten Freunde und meine Familie. Und da jeder bisher sehr gut damit umgegangen ist und ich auch keine negativen Erfahrungen mit Homophobie gemacht habe ist es mir auch recht Schnuppe, wenn die anderen es auch erfahren sollten. Da ich es aber niemanden unter die Nase reiben will und sich niemand für mich mehr interessiert, dass er danach fragen würde weiß es an der Schule nun mal niemand. Ich denke aber auch, dass es hier niemanden interessieren würde, ich weiß nicht woher diese Mentalität kommt, aber den meisten hier ist alles egal. Deine Eltern sind im Gefängnis? Egal. Du bist aus Nordkorea geflüchtet? Egal. Du bist Frutarier? Egal. Was die meisten als überdurchschnittlich große Toleranz bezeichnen würden ist für mich nichts anderes als Desinteresse, daher würde es mich nicht mal wundern, wenn jemand sagen würde: „Ach du bist schwul? Also ich bin der Meinung, dass unser Staat mehr in die Autobahninfrastruktur investieren sollte" Manchmal habe ich sogar Angst davor Leute mit einer zu harten Meinung zu verschrecken.

„Also wenn du mich fragst.", meldet Clara sich dann wieder, nach einigen stillen Minuten wieder zu Wort. „solltest du ihn ansprechen. Ich mein was hast du zu verlieren?"

Clara hat neben ihren teilweise sehr negativen und störrischen Charakter ein unglaubliches Selbstbewusstsein, für das so mancher sie beneidet, sie hat kein Problem damit kostümiert in die Schule zu kommen, fremde Menschen anzusprechen oder die Leute in der Innenstadt, die einen eine Sekte andrehen wollen anzumeckern. Wenn es nach Clara gehen würde hätte ich ihr jedem erzählen sollen wie schwul ich bin, um gleich darauf Elijah meine unendliche Liebe zu gestehen. Nur bin ich nicht mal ansatzweise so taff wie sie. Wenn ich nur die Hälfte ihres Selbstbewusstseins hätte, wäre das immer noch größer, als mein jetziges. Ich schüttle nur verschreckt den Kopf, Elijah ansprechen? Niemals, lieber würde ich mir die Regenbogenflagge ins Gesicht malen und schreien, dass ich auf Kerle stehe. Damit würde ich dann aber sicherlich Elijahs Aufmerksamkeit bekommen.

„Du bist ja so verklemmt.", feixt Clara und verdreht die Augen, es gibt keinen Tag, in dem sie nicht erwähnt, wie prüde ich bin, nur weil ich mit ihr nicht über schwulen Sex reden will. Was ich im Übrigen nicht kann, da mein Liebesleben langweiliger ist, als ein Seminar über die korrekte Nutzung von Bürostühlen. Ich verkneife mir Clara einen Klaps auf den Hinterkopf zu geben, da ich genau weiß, dass sie austicken würde, ich hab es schon einmal versucht und damit beinahe mein Todesurteil unterschrieben.

Die Schulklingel lässt mich zusammenzucken und überrascht schaue ich auf mein Handgelenk. Wie schnell die Mittagspause schon vorbei ist. Clara seufzt und beginnt darüber zu jammern, wie wenig Lust sie jetzt auf Chemie hat, ich halte mir ein Kommentar darüber zurück, dass sie ja selber Schuld ist Chemie gewählt zu haben und stehe auf. Clara bleibt schmollend auf dem kleinen Mäuerchen sitzen und steht erst dann auf, als ich ihr meine Hände hinhalte und ich sie hoch ziehe. Elijah drückt seine Kippe an der Fassade des Schulgebäudes aus und schnippt sie in den Müllereimer, er wirkt irgendwie immer unglaublich lässig. Ich wende meinen Blick erst dann ab, als ich einen Hieb in die Seite bekomme und in das grinsende Gesicht meiner besten Freundin schau.

„Hey, wartet mal!", ruft eine laute Stimme hinter uns, Clara und ich drehen uns zeitgleich um, um in das hochrote Gesicht von Gareth, der auf uns zu gejoggt kommt. Mit schnaufendem Atem bleibt er bei uns stehen, grinst kurz in die Runde und legt dann einen Arm um mich und einen Arm um Clara. Gareth und ich waren schon zusammen im Kindergarten und haben damals Mädchen mit unseren Schippen gehauen. Dass meine Frauenfeindliche Einstellung damals mit meiner Sexualität zusammenhängt ist mittlerweile geklärt, aber Gareth ist zum Glück auch kein Sexist geblieben. Um genau zu sein ist er schon ewig in Clara verknallt, traut sich aber nicht ihr das zu sagen. Diese Angst vor Zurückweisung würde Clara im Übrigen absolut lächerlich finden, wenn sie irgendwann mal erfahren sollte, wie lange Gareth seine Gefühle schon mit sich rumschleppt wäre sie vermutlich nicht nur stinksauer, sondern würde ihn auch aus Prinzip abweisen, das sie wie sie es nennt nur mit selbstbewussten Männern ausgehen würde.

„Findest du nicht auch, dass Noel endlich mal Elijah ansprechen sollte?", fragt sie Gareth um sich Unterstützung zu suchen, ich seufze. Zumal sie bei Gareth den absolut falschen fragt, er ist genauso ein Schisser wie ich, nur dass er es nicht zugeben würde. „Ja, na klar.", bestätigt er Clara dann und dass auch nur um ihr zu gefallen. Clara selber schenkt mir ein überzeugtes, siegessicheres Grinsen. Egal wer ihr noch zustimmen solle, nie im Leben bringt mich jemand dazu mit Elijah zu sprechen. 

Joyeux NoëlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt