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Sie haben es endlich geschafft! Die Lage hat sich beruhigt, der kalte Krieg ist vorbei und überall wird der Mauerfall gefeiert.

Clara hatte mich zum Französisch lernen besucht, da die nächsten Klausuren vor Weihnachten anstanden und plötzlich hatte sie die Erleuchtung.

Entweder waren ihre Gefühle für Gareth erst nach dem Kuss entstanden oder sie hatte es immer verdrängt, jedenfalls ist sie beim Lernen aufgesprungen, hat sich ihre Jacke und Schuhe angezogen und ist verschwunden. Erst eine Stunde später habe ich eine Nachricht bekommen: Clara und Gareth sind nun offiziell zusammen.

Diese wunderschöne Tatsache entpuppte sich aber schneller als gedacht als Trugbild, als Wunschvorstellung. Denn meine besten Freunde sind zu einem ekligen Liebespärchen mutiert. Jede Pause schlabbern sie sich ab und Clara spricht nur noch in der ersten Person Plural, selbst wenn Gareth nicht da ist. Das Clara zu eines dieser Mädchen wird, die sich nur noch durch ihren Freund definiert hätte ich nie erwartet, aber vielleicht ist das ja auch nur die Honeymoonphase und sie wird bald wieder die alte störrische Besserwisserin. Ja klar, ich freue mich für meine besten Freunde, aber irgendwie bin ich seit dem die beiden zusammen sind das dritte Rad am Wagen oder Fahrrad, keine Ahnung. Das einzig gute war, dass Clara sich seitdem nicht mehr so viel bei mir einmischt. Ich kann eine ganze Pause lang Elijah anstarren, ohne dass ich einen Seitenhieb von ihr bekomme.

Und seitdem sie mir auch nicht immer einzureden versucht, dass ich unbedingt mir Elijah reden muss ist auch etwas Druck von mir gefallen. Und mittlerweile laufen die Religionsstunden zusammen ziemlich gut. Ich hätte es nie erwartet, aber Elijah ist ein ziemlich guter Schüler, er meldet sich zwar nicht viel, aber wenn, dann glänzt mit seiner mündlichen Leistung. Ich habe zuvor keinen Kurs mit ihm zusammen gehabt und irgendwie immer erwartet, dass er einer der faulen Schüler ist, der nur was sagt wenn er gefragt oder wenn die Frage super leicht ist. Ich kann mittlerweile sogar ohne zu stottern mit ihm reden, auch wenn unser Smalltalk meist in peinliches Schweigen verläuft.

Aufgeregt sitze ich auf meinem Platz in der Pausenhalle, Gareth und Clara, die sich ausnahmsweise mal nicht küssen, mir gegenüber. Alle zwei Sekunden schaue ich auf die Uhr. „Komm mal runter.", lacht Clara und zwirbelt eine ihrer rosa Strähnen. Schon seit dem ich sie kenne, sind Claras Haare rosa. „Die Pause geht schon schnell genug um.", fügt sie noch hinzu.

Ich liebe mittlerweile jede Stunde Religion und freue mich darauf wie jedes kleine Kind auf Geschenke. Denn ich sitze dann, auch wenn seine Nähe mich beinahe durchdrehen lässt neben Elijah und ich kann mit ihm reden und ich habe sogar das Gefühl, dass er mich nicht vollkommen hasst.

„Also ihr versteht euch gut?", hakt Gareth nach und ich nicke nur, ja kann man so sagen. Wie schon gesagt, er hasst mich nicht vollkommen. „Was haltet ihr davon nächste Woche zur Eröffnung vom Weihnachtsmarkt zu gehen?", fragt Clara enthusiastisch vor. „Ja gerne.", pflichtet Gareth ihr sofort bei, ich seufze genervt, nicke aber auch.

Ich hasse eigentlich den Weihnachtsmarkt, es ist voll und überteuert und die Eröffnung wird noch voller sein. Außerdem wird das kein Zuckerschlecken zusammen mit dem verliebten Paar, wahrscheinlich enden wir am Ende zusammen mit Glühwein auf einer der Bänke an der Feuerschale und während die beiden romantisch miteinander kuscheln merke ich mal wieder wie erbärmlich mein Singleleben ist. Aber mit Clara kann man darüber nicht diskutieren.

Meine deprimierenden Gedanken werden von der Schulklingel unterbrochen und automatisch spring ich auf und halte nach meinem Lehrer Ausschau, finde aber nur Elijah, mit einer roten Mütze, die einen tollen Kontrast zu seinen Haaren bildet. Etwas zu lange starre ich ihn an und wende meinen Blick erst dann ab, als er mir zuzwinkert. Ich werde feuerrot, wie peinlich. Dann kommt auch unserer Lehrer durch die Pausenhalle marschiert und alle aus meinem Kurs trotten ihm gelangweilt hinter ihm her.

Ich lasse mich auf meinen Stuhl im Klassenraum fallen und krame meine Schulsachen aus der Tasche, während Elijah neben mir erstmal seine Mütze vom Kopf zieht. Seine Haare sind jetzt vollkommen verwuschelt, was überhaupt nicht schlimm ist, weil es, vor allem in Kombination mit seinen von der Kälte geröteten Wangen furchtbar niedlich aussieht. Ich lächelt mir zu und mein Herz schlägt automatisch was schneller.

„Noel?", fragt er irgendwann und ich schaue auf, wie er meinen Namen ausspricht, bringt mich zum Schmelzen. „Ja?", frage ich interessiert, erfreut darüber, dass ich wieder ein Gespräch mit ihm führen kann. „Noel, so wie Joyeux Noël?", fragt er und ich werde automatisch rot und nicke, war ja klar, dass er Französisch kann, obwohl er nicht bei mir im Kurs ist.

„Viele Kinder in Frankreich, die zu Weihnachten geboren wurden heißen so", erkläre ich ihm, obwohl ich überhaupt keine Ahnung habe warum ich ihm das überhaupt erzähle, muss wohl der Nervosität sein. „Bist du denn zu Weihnachten geboren?", hakt er grinsend nach und ich merke wie ich schon wieder rot und nervöser werde, ich nicke. "Naja, zu Heiligabend ist ja aber auch irgendwo das gleiche.", murmle ich und merke wie mein Gesicht leicht prickelt.

Ich bin ein paar Tage zu spät am 24. Dezember früh am Morgen zur Welt gekommen. Da die Geburt so reibungslos verlaufen ist, konnten wir schon nachmittags wieder nach Hause und dann habe ich auch mein erstes Mal Weihnachten gefeiert, auch wenn ich mich nicht mehr erinnern kann. Meine Mutter erzählt immer, dass das ihr schönstes Weihnachtsfest war und ich ihr schönstes Geschenk. Bei dem Gedanken daran muss ich leicht lächeln.

„Und daher der Name.", hakt Elijah nochmal neugierig nach und ich nicke wiedermal. „Ich bin am 24. geboren und meine Mutter ist Französin, da hat das nun mal gepasst.", erkläre ich, ob ich auch Noel heißen würde, wenn meine Mutter nicht aus Frankreich stammen würde, weiß ich nicht.

„Muss doch irgendwie blöd sein, an Weihnachten Geburtstag zu haben.", wundert sich Elijah und ich zucke nur mit den Schultern. Das sagen immer viele Leute, aber ich kenne es halt nicht anders, als Kind fand ich es blöd, weil ich nur einmal im Jahr Geschenke bekommen habe und immer das Gefühl hatte mein Geburtstag wäre weniger wichtig, mittlerweile habe ich damit weniger Probleme.

„Morgens wird mein Geburtstag gefeiert und abends dann Heiligabend, ich mag es ganz gerne, alle haben frei und schon seit ich denken kann backen wir dann zusammen Plätzchen.", erzähle ich und beobachte wie Elijah anfängt zu lächeln, seine Grübchen sind einfach nur zum dahinschmelzen. „Aber dein Name wird doch nicht wie das Wort geschrieben?", fragt mein Sitznachbar dann plötzlich überrascht und ich schüttle grinsend den Kopf. „Nur ohne das Trema", erkläre ich. „Meine Mutter hielt es für besser, so treten weniger Probleme beim Schreiben auf."

Ich bin meiner Mutter unendlich dankbar dafür, dass sie mich nicht mit dem Namen Noël eingetragen hat es wäre sicher nervig Leuten zu erklären, dass auf das E noch Punkte gehören und vor allem wo sie diesen Buchstaben auf der Tastatur finden.

„Ich freue mich schon auf Weihnachten.", seufze ich dann leicht verträumt und denke an die Vorweihnachtszeit. „Nicht auf deinen Geburtstag?", hakt Elijah überrascht schmunzelnd nach, ich schüttle den Kopf. „Ohne Weihnachten gäb es keine Vorweihnachtszeit und die ist doch das schönste am Dezember.", erkläre ich, immer noch leicht verträumt. Um Weinachten herum werde ich immer sehr sentimental und romantisch, selbst Love actually schaue ich dann gerne, obwohl mir sowas zu jeder anderen Jahreszeit zu kitschig wäre.

„dann bist du bestimmt auch auf dem Weihnachtsmarkt.", spekuliert er mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich schüttle den Kopf. „Den Weihnachtsmarkt mag ich nicht so, ist viel zu voll und zu teuer. Clara schleppt mich am ersten zur Eröffnung.", beklag ich mich seufzend. „Das schaffst du schon.", feixt Elijah grinsend und wendet sich schnell wieder seinen Aufgaben zu, als er merkt, dass unser Lehrer zu uns rüber starrt. Auch ich tue erschrocken so, als würde ich meine Aufgaben erledigen, auch wenn ich mich nicht wirklich darauf konzentrieren kann, viel zu sehr muss ich lächeln. 

Joyeux NoëlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt