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Mit einem dicken Schal und meiner Mütze tief im Gesicht kämpfe ich mich durch die Menge. Es ist der erste Dezember und es ist passenderweise eiskalt. Clara und Gareth warten auf mich an der Kirche, so dass wir alle zusammen über den Weihnachtsmarkt laufen können. 

„Hii.", quietscht Clara und drückt mich feste. Auch sie wird komisch emotional um die Feiertage herum. Ihre rosa Haare quellen unter einer grauen Mütze hervor und ihre sonst sehr blasse Haut ist stark gerötet, ihre Hände sind ebenfalls in graue Handschuhe gepackt und mit der linken umklammert sie Gareths Hand. Auch er begrüßt mich, nur nicht mit einer Umarmung. „Können wir dann?", fragt sie und Gareth und ich nicken einstimmig. Clara hakt sich bei mir ein, während sei weiterhin die Hand ihres Freundes fest umschlungen hat. Wir müssen lächerlich zusammen aussehen. Der Weihnachtsmarkt ist wie zu erwarten proppenvoll und die Preise sind im Vergleich zum letzten Jahr noch unverschämter geworden. Zwar sind die Stände alle schön dekortiert und die Luft riecht himmlisch, nach Essen, aber dass man alle zwei Sekunden versehentlich jemanden anrempelt macht alles wieder wett. 

Wir stehen eine Weile zu dritt vor der Bühne, die am Marktplatz aufgebaut worden ist und lauschen dem Chor der Musikschule, der sinnlich Weihnachtslieder daher trällert. Durch das herumstehen wird mir allmählich richtig kalt und ich bereue es, dass ich mich nicht noch wärmer angezogen habe, unter meiner Jacke wäre noch allemal Platz für einen zweiten Pulli gewesen. Ich lasse ein wenig gelangweilt meine Blicke umherschweifen, bis ich überrascht zusammenzucke, da ich Elijah und seine rote Mütze in der Menge sehe. Was macht er denn hier? Elijah wirkt nicht wirklich wie der klassische Weihnachtsmarktgänger. Plötzlich schaut auch er auf und verfängt sich in meinem Blick, ich lächle unsicher, soll ich winken? Doch ich kann mir diese Peinlichkeit zum Glück ersparen, denn gerade als ich meine Hand heben will drückt sich Elijah durch die Menge zu uns hin. Ich halte erschrocken die Luft an und stupse dann wild Clara an, die zunächst meckern will, aber dann über beide Backen grinst, als sie Elijah sieht. „Hallo", sagt er fröhlich in die Runde und ich fühle mich gerade nicht dazu in der Lage zu antworten. In der Schule kann ich mich jede Mal emotional auf den Kontakt mit Elijah vorbereiten, aber das hier ist mir jetzt eindeutig zu spontan. Dafür grinse ich breit und vermutlich auch total dämlich. Zum Glück antwortet Clara für mich „Hallo", trällert sie. „Bist du ganz alleine hier?", fragt und Elijah nickt bestätigend, ohne dabei den Blick von mir abzuwenden, okay, irgendwie komisch. Die Situation ist kurz davor zu einem peinlichen Schweigen auszuarten, zumal ich immer noch dämlich grinse, als Clara dann wieder das Wort erhebt. „Mir ist kalt, wollen wir nicht was Heißes trinken?", fragt sie und alle nicken dankbar. Ich bin gerade unendlich froh so eine lockere beste Freundin zu haben. 

Zusammen schlendern wir in Richtung des Glühweinstands, wobei Gareth und Clara vorneweg laufen und Elijah und ich gleich dahinter. Beim Laufen streifen sich unsere Jacken. Ich werde einen kurzen Blick zu ihm und merke, dass er es ebenfalls tut, ich lächle ihn an, ehe ich meinen Blick wieder abwende. Verdammt, bin ich nervös, ich merke, wie ich trotz der Kälte zu schwitzen beginne. Wir bestellen uns alle einen Glühwein und ergattern und einen Platz am Stehtisch. 

„Wie kommt es, dass du alleine hier bist?", fragt Clara an Elijah gerichtet. Eine gute Frage, der Weihnachtsmarkt ist eigentlich kein Ort an den man alleine geht, vor allem nicht zur Eröffnung. Elijah zuckt nur mit den Schultern. „Ich dachte es wäre ganz schön, aber niemand wollte mitkommen, deshalb bin ich alleine.", erklärt er und seine Erklärung klingt auch sehr plausibel, außer die Tatsache, dass er dachte, der Weihnachtsmarkt könne schön sein, denn der Weihnachtsmarkt ist alles andere als schön, er ist grässlich. Schnell entwickelt sich das Ganze zu einem ungezwungen Gespräch, wobei es dazu kommt, dass Clara und Gareth die ganze Zeit miteinander reden und ich mit Elijah. Über den Smalltalk sind wir noch nicht hinaus, denn es dreht sich noch alles um die Schule. „Wenn die Klausurenphase zu Ende ist, dann bin ich heilfroh, dann kann man die Feiertage endlich genießen.", erzähle ich gerade und Elijah nickt zustimmend. Dieses Jahr ist es besonders schlimm, kein Monat nach dem die letzte Klausurenphase vorbei war, fing schon die Neue an, die Lehrer sagen, dass sei normal in der Q2, da sei das Halbjahr immer so kurz. „Was schreibst du denn noch alles?", fragt Elijah interessiert nach. „Mathe, Geographie, Deutsch, Englisch und die Französisch mündliche.", seufze ich, als ich an all die Klausuren denke, die noch bevor stehen. Gerade denke ich, dass es unhöflich von mir war, nach nicht nach seinen Klausuren zu fragen und das noch hinzufügen will, setzt Elijah jedoch schon den nächsten Satz an. „Aber Französisch musst du doch können, wenn deine Mutter Französin ist.", spekuliert Elijah und ich werde automatisch rot, er hatte es sich gemerkt, dass meine Mutter aus Frankreich kommt. „Ja, schon", gebe ich bescheiden von mir und streiche mir eine nervige Strähne aus dem Gesicht. Ich kann Französisch sogar ziemlich gut, da die Familienseite meiner Mutter kein Deutsch und nur brüchige Englisch kann, schon von klein auf habe ich somit die Sprache gelernt, obwohl ich mich selber nicht als bilingual bezeichnen würde. 

„Wir wollen langsam nach Hause, ist es okay für dich.", fragt Clara plötzlich an mich gerichtet, überrascht schaue ich auf die Uhr meines Handys, wir stehen schon seit knapp einer Stunde. Ich nicke. „Ja klar, kein Problem, kommt gut nachhause", verabschiede ich mich und umarme dann Clara, die gleich darauf auch den völlig überforderten Elijah zum Abschied umarmt. Von Gareth bekommen wir nur ein Kopfnicken. Clara zwinkert mir noch kurz zu, ehe sie in der Menge verschwindet. Elijah und ich schauen uns nur stumm an, als wir dann alleine sind. 

„Wann feiert ihr denn mit der Familie Weihnachten?", fragt Elijah und ich bin innerlich bin ich heidenfroh darüber, dass es jetzt nicht komisch wird, wo die anderen weg sind. „Am 24. Halt ganz normal mit der Familie und am 25. Mit der Seite von meinem Vater, die Seite meiner Mutter sehen wir meistens erst was später, Sylvester verbringen wir immer in Frankreich.", erzähle ich und Elijah lauscht gespannt. „Sylvester in Frankreich muss toll sein.", schwärmt er, beinahe, wie ein kleines Mädchen und muss lächeln. „Es ist schon schön", gebe ich zu und bin beinahe ein wenig stolz. „Bei uns wird Weihnachten immer sehr klein gehalten, seit der Scheidung meiner Eltern sehe ich die Familie meines Vaters eigentlich gar nicht mehr und auf der Seite meiner Mutter gibt es auch nicht so viele. Heiligabend kommen immer die Großeltern vorbei und wir feiern alle zusammen.", erzählt er mir und ich gebe ein kleines „Oh" von mir. Das tut mir irgendwie leid, mit das schönste an den Feiertagen ist meiner Meinung nach die ganze Familie sehen, auch wenn dies eigentlich nur blanker Stress bedeutet. Als Elijah mein mitleidiges Gesicht sieht, zuckt er nur mit den Schultern. „Das ist nicht so schlimm, ich mag das im kleinen Kreis eh lieber.", gibt er mit belegter Stimme von sich, aber irgendwie will ich ihm nicht so ganz glauben. Ich lege meine Hand auf seinen Arm und schaue ihn mitfühlend an, woher der plötzliche Mut kommt, weiß ich auch nicht, aber ich habe das Gefühl, ich müsse ihm irgendwie Trost spenden. Elijah lächelt mich an und wir schauen uns ein Tick zu lange in die Augen, bis er einmal schluckt und dann seinen Blick hektisch abwendet. „Was wünscht du dir denn zum Geburtstag?", fragt er und wechselt schnell das Thema, ich fange mich relativ schnell. „Schnee!", antworte ich, auch wenn die Antwort recht kindisch ist, aber ich wünsche mir seit dem ich ein Kind bin nichts anderes als Schnee zum Geburtstag beziehungsweise Weihnachten, bisher wurde mir mein Wunsch viel zu selten erfüllt. „Du bist wohl ein richtiges Winterkind, hm?", fragt er grinsend und ich nicke begeistert. „Eislaufen, Schlittenfahren, Schneemann bauen, Schneeballschlachten, Spaziergänge im Schnee, find ich alles super.", erzähle ich begeistert und hoffe ehrlich, dass es bald schneit, doch dieser Wunsch wird mit scheinbar heute nicht erfüllt. 

Elijah grinst breit und will gerade etwas erwidern, als dicke Regentropfen vom Himmel fallen überrascht schaue ich nach oben, war Regen gemeldet? Die paar Tropfen entwickeln sich in kürzester Zeit zu einem heftigen Regenschauer, so dass wir kurz darauf vollkommen durchnässt sind. Elijah laufen ein paar Tropfen von der Stirn und er verzeiht sein Gesicht, damit der Regen nicht in sein Gesicht läuft. 

„komm mit, ich wohne nicht weit von ihr.", sage ich schneller, als ich denken kann und greife Elijahs behandschuhte Hand und ziehe ihn mit mir. 

Joyeux NoëlWhere stories live. Discover now