60. Does he know

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Zuerst erwiderte ich den Kuss voller Intensität und das schier unmenschliche Verlangen nach ihm, was sich all die Zeit in mir aufgestaut hatte, entlockte mir ein leises Stöhnen. Harry umfasste mit seinen Händen meine Hüfte und presste mich noch näher an sich. Unsere Lippen bewegten sich im Einklang, perfekt synchron.

Harry fuhr mit der Zunge über meine Lippen, doch anstatt ihm Einlass zu gewähren, schaltete sich endlich wieder mein Kopf ein und so unterbrach ich den Kuss und senkte den Kopf. "Harry, nicht", flüsterte ich leise, "Es gibt etwas, das du vorher wissen solltest."

Er sah mich mit schiefgelegtem Kopf fragend an. "Nicht hier. Die anderen sollten es auch erfahren", erläuterte ich ausweichend. Wir verließen vorsichtig die kleine Kammer. Louis, der gerade den Gang entlanglief, sah uns mit einem anzüglichen Grinsen an. Harry warf ihm einen vernichtenden Blick zu, während sich meine Wangen nun noch röter färbten als sie ohnehin schon waren.

"Komm!" Harry ergriff meine Hand und zog mich auf die Terasse, wo die anderen nun den Abend genossen. Wir setzten uns dazu und nach einigen Minuten fasste ich den Mut endlich zu sprechen.

"Hey. Ähm -", begann ich. Was für ein toller Anfang, dachte mein Gehirn ironisch und ich hätte mich selbst ohrfeigen können. Dennoch hatte ich nun die Aufmerksamkeit der fünf, die mich nun gespannt ansahen.

Fieberhaft überlegte ich, wie ich es meinen besten Freunden beibringen sollte, dann entschied ich mich für die einfachste Variante überhaupt: "Nico und ich haben uns getrennt."

Niemals hätte ich gedacht, dass sechs Worte eine so große und unterschiedliche Wirkung haben konnten. Niall starrte mich mit weit aufgerissenem Mund an. Louis grinste und wackselte mit den Augenbrauen in Richtung Harry. Zayn nickte langsam und fast schon wissend. Liam sah mich voller Mitleid an. Und Harry? Harry sah mich wortlos an. Seine grünen Augen fixierten mich. Ich konnte nicht anhand seines Gesichtsausdrucks ablesen, ob und wie er diese Information verarbeitete.

"Wie geht es dir damit?", wagte Liam schließlich zu fragen. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. "Es ist okay. Ich meine: Natürlich tut es weh, aber wir haben uns beide verändert. Im Prinzip ist die Trennung vermutlich das Beste gewesen."

Die Jungs sahen mich schweigend an. Noch immer schienen sie wohl nicht so recht zu wissen, wie sie mit dem Thema umgehen sollten. Am meisten Sorgen aber machte ich mir um Harry. Wie er das wohl aufnahm? Würde er jetzt wollen, dass wir beide eine Beziehung führten, was natürlich schlicht unmöglich war? Ich konnte seine Miene einfach nicht deuten.

"Wisst ihr -", redete ich also weiter, "Nico kannte mich wie vermutlich so gut, wie kein anderer Mensch auf der Welt. Er wusste Sachen, über die ich mit sonst niemandem geredet habe. Und dennoch ist mir jetzt irgendwie klar geworden, dass ich ein anderer Mensch geworden bin. Er kennt mich nicht mehr so, wie früher. Nico kannte meine Lieblingsmusik, meine Stimmungsschwankungen, vermutlich kannte er die Choreos unserer Crew teilweise besser als ich." Ich holte tief Luft.

"Du musst dich für das alles nicht entschuldigen oder rechtfertigen. Wir sind für dich da, wenn du reden willst und wenn nicht ist das auch absolut okay", meinte Zayn und schenkte mir ein warmes, verständnisvolles Lächeln.

Dankbar nickte ich ihm zu.

"Gruppenkuscheln!", schrie Louis, stand auf und breitete seine Arme aus. Lachend kamen wir seiner Aufforderung nach und wie immer bei den Jungs fühlte ich mich geborgen und zuhause.

Als wir uns wieder voneinander lösten, spürte ich Harrys Blick auf mir ruhen. Etwas hatte sich verändert, seine grünen Augen waren klarer geworden. Durchdringend sah er mich an und ich war unfähig, den Blick von ihm zu lösen. Langsam stand er auf ohne seine Augen von mir abzuwenden und kam auf mich zu. Was das jetzt wohl werden würde?

Harry blieb vor mir stehen und legte seine Hände auf meine Schultern. Es war eine federleichte Berührung, wie ein Schmetterling, und ich spürte es kaum. Dann begann er leise zu singen:

"He knows about you in every way
He's memorized every part of your face
Inside and out, baby, head to toe
Yeah he knows everything there is to know"

Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Das beschrieb tatsächlich alles, was momentan zwischen Nico und mir passierte und passiert war.

Louis nickte Harry anerkennend zu und fuhr fort:

"Your secret tatoo -" An dieser Stelle warf ich Louis einen bösen Blick zu, was er mit einem unverschämten Grinsen quittierte,
"the way you change moods
the songs that you sing when you're all alone
your favorite band the way that you dance
But baby, baby"

Das Lächeln auf meinen Lippen verwandelte sich langsam aber stetig zu einem wahren Lachen. Die Jungs waren einfach der Wahnsinn. Wie sehr mir ihre Musik doch in letzter Zeit immer geholfen hatte.

Harry sang wieder weiter:

"Does he know you can move it like that?
Whoa-oh-oh-oh
Does he know you're out and I want you so bad?
Oh-oh-oh-oh
Tonight you're mine, baby
Does he know that you'll never go back?
Oh-oh-oh-oh
Does he know?"

Grinsend erinnerte ich mich an den Abend, auf den Harry mit der Zeile "Does he know you can move it like that?" anspielte.
Es war Nachmittag und weil uns langweilig gewesen war, hatte Niall aus Spaß vorgeschlagen, dass ich ihnen doch ein paar Tanzschritte beibringen sollte. Ich hatte zugestimmt, zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnend, worauf ich mich da einließ. Eigentlich wollte ich ihnen erst ein paar Grundmoves beibringen, doch bereits daran scheiterte es. Wir lagen vor Lachen auf dem Boden und wären alle fast erstickt. Zum Schluss endete die ganze Aktion damit, dass wir wie behinderte Affen durch Harrys Haus tobten und uns gegenseitig anschrien und auslachten. Es war der wohl verrückteste Nachmittag in meinem Leben gewesen. So hatte ich tatsächlich vorher noch nie getanzt, so ausgelassen und ohne mich an irgendwelche Regeln halten zu wollen.

Harry sang den Song noch weiter und brachte ihn zu einem wunderschönen Ende, in das auch die anderen Jungs miteinstimmten.

Allerdings war jetzt wohl vermutlich selbst dem dümmsten Menschen klar, dass zwischen Harry und mir mehr als nur Freundschaft war.

Und Harry wäre nicht Harry, wenn er nicht die letzten Zweifel beseitigt hätte, und mich nun vor versammelter Mannschaft küsste.



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