Schicksalsschlag

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Ein Mond war seit dem Angriff auf die Jagdpatrouille vergangen. Die LichtClan Katzen jagten nun in entfernteren Gebieten des Territoriums, was natürlich keiner von ihnen zugeben wollte, doch allen steckten die Ereignisse noch tief in den Knochen.
Vor allem Windjunges fühlte sich unwohl. Sie konnte eigentlich gar nicht glauben, dass es nur ein Mond gewesen sein sollte, den sie sich nun schon so miserabel fühlte. Ständig spürte sie die Blicke ihrer Clangefährten im Nacken, die sie anstarrten, als hätten sie sie noch nie gesehen und als wüssten sie nicht, wer sie war. Aber wann immer Windjunges zurückblickte, wichen sie ihr aus, als wäre sie nicht da. Die kleine Kätzin fühlte sich verfolgt und dennoch allein gelassen.
Die meiste Zeit verbrachte sie nun in Minzblatts Bau und half ihr, Entenfeder und Rosenfell zu pflegen. Die Heilerin war die Einzige, die sie nicht anstarrte, wofür Windjunges ihr sehr dankbar war. Die anderen Jungen schienen immer in eine Art Ehrfurcht zu verfallen, wenn sie mit ihnen spielen wollte und im Heilerbau war sie vor ihren neugierigen Blicken geschützt.
Außerdem lernte sie jeden Tag etwas Neues! Zum Beispiel konnte sie jetzt Pasten für Rosenfells Wunden anrühren und Dornen aus Flusspfotes und Baumpfotes Tatzen entfernen.
Minzblatt zu helfen machte Spaß, aber Windjunges vermisste die Spiele mit Vogeljunges. Doch die fragte sie jeden Morgen ängstlich, ob sie wieder geträumt hatte und so bemühte sie sich, lange vor ihr wach zu sein.

Die Sonne schien hell auf das Lager, doch durch die dichten Flechten, die den Heilerbau umgaben, wurde das Licht dort schummrig gedämpft.
Windjunges war gerade dabei, alte und vertrocknete Kräuter auszusortieren. An den scharfen Geruch hatte sie sich schon fast gewöhnt, auch wenn sie den Duft nach Moos und Erde, den Duft, den die Krieger von ihren Patrouillen mit nach Hause brachten, diesem Müffeln deutlich vorzog.
Sie seufzte und warf einen sehnsüchtigen Blick durch das Geflecht auf die Lichtung, wo ihre Schwester mit Mondjunges und Aschenjunges spielte. Wie gerne würde ich mitmachen... aber dann schauen sie mich nur wieder so an...
„Windjunges, komm doch bitte her und hilf mir beim Befestigen von dieser Packung," riss Minzblatt Windjunges mit einem fröhlichen Rufen aus ihren Gedanken.
Die kleine Kätzin seufzte noch einmal traurig und trottete dann zu der Heilerin hinüber, die in der anderen Ecke des Baus gerade Rosenfell versorgte. Es versetzte ihr einen kleinen Stich, als sie die lange Wunde an der Flanke der roten Kätzin entdeckte. Es ist noch immer nicht verheilt...
„Was soll ich tun?" fragte Windjunges und sah zu Minzblatt auf, deren grüne Augen sie undurchdringlich ansahen.
„Was würdest du denn tun?" fragte die dunkle Kätzin zurück.
Windjunges zögerte. Minzblatt hatte sie noch nie abgefragt. Was sollte das also? Sie überlegte kurz, dann antwortete sie: „Ich würde die Packung auf einem Blatt mit Spinnweben auf der Wunde befestigen."
„Sehr richtig," schnurrte Minzblatt tief. „Und warum machen wir das so?"
„Damit es sich nicht noch entzündet?" fragte Windjunges unsicher.
Minzblatt schnurrte noch lauter. „Genau! Du würdest eine wunderbare Heilerin abgeben! Oder eine tolle Kriegerin," fügte sie hinzu, als sie Windjunges unzufriedenen Blick sah. „Solches Wissen kann man immer brauchen. Nicht nur als Heilerin."
Rosenfell nickte. „Minzblatt hat recht," sagte sie lächelnd. „So etwas kann sehr nützlich sein, wenn du in einem Kampf erste Hilfe leisten musst. Wenn ich mich das nächste Mal verletze, komme ich zu dir."
Windjunges wurde warm bei diesem Lob. Sie half der Heilerin die Packung zu befestigen und malte sich in Gedanken schon die tollsten Dinge aus, die sie mit ihrem Wissen anfangen konnte.
Baumpfote, der als Krieger in einem Kampf verletzt wurde und dem sie dann helfen konnte. Ein dankbarer, bewundernder Blick stand in seinen Augen.
Vogeljunges, die als Königin Junge bekam und der sie bei der Geburt beistehen konnte. Sie wusste, was zu tun war. Wenn ich nun fleißig lerne, so viel wie möglich, bringt mich das meinem Traum ein Stückchen näher! Und ich werde die beste Kriegerin des LichtClans sein.
Als Rosenfell wieder in ihrem Nest war, wandte Minzblatt sich wieder an Windjunges.
„Das hast du eben sehr gut gemacht," miaute sie und setzte sich neben die kleine Kätzin. „Und ich habe das vorhin ernst gemeint. Du würdest eine fabelhafte Heilerin abgeben. Hast du schonmal darüber nachgedacht, diese Laufbahn einzuschlagen?"
Windjunges zuckte zusammen. Wie kam Minzblatt darauf, dass sie Heilerin werden wollte? Nur weil sie ihr half, doch bestimmt nicht! In ihr wirbelten die Gedanken durcheinander, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben.
„Tut mir leid," sagte sie mit fester Stimme, allerdings ohne die Heilerin anzusehen. „Aber ich will eine Kriegerin werden. Das ist mein größter Traum und ich will ihn verwirklichen."
Minzblatts Miene blieb ernst und unergründlich. Es machte Windjunges fast wahnsinnig, nicht zu wissen, was sie dachte und so fügte sie hinzu: „Es hat sehr viel Spaß gemacht, dir zu helfen, aber du musst verstehen, dass ich hier einfach nicht meine Zukunft sehe!" Sie wusste, das klang komisch aus dem Mund eines Jungen, doch trotzdem sprach sie weiter. „Mein Platz ist da draußen, im Wald. An der Spitze einer Patrouille. Mit einem Schüler und... und einem Gefährten!"
Windjunges blickte Minzblatt nun etwas verträumt und gleichzeitig verzweifelt und dringlich an. Unwillkürlich schlich sich ein Bild von Baumpfote in ihren Kopf. „Heiler dürfen keine Gefährten haben. Und sie dürfen nicht kämpfen, sie können es vermutlich gar nicht! Ist es nicht furchtbar frustrierend, einem nervigen SturmClan Fellball nicht die Krallen übers Ohr ziehen zu können, wenn er zu frech wird?"
Minzblatt lächelte leicht, sagte aber nichts. Warum ist sie so still und ernst?
„Bitte versteh," miaute Windjunges, „dass ich dieses Leben eigentlich nicht will. Aber danke, dass du mir vertraust." Das war ehrlich gewesen, aber auch kompliziert zu erklären.
Die Heilerin nickte. „Ich verstehe," sagte sie, dann zögerte sie kurz. „Windjunges, setze dich bitte."
Die kleine Kätzin gehorchte, wenn auch etwas verwirrt. Was will sie bloß von mir? Sie wird doch nicht versuchen, mich zu überreden? Habe ich es nicht genug erklärt?
Minzblatt sah sie ernst an. „Vielleicht hast du es schon selbst gemerkt, aber du hast eine Gabe. Ich habe viel darüber nachgedacht, aber ich wüsste nicht, weshalb du Kämpfe vorhersehen kannst." Die Kätzin machte eine kurze Pause.
Windjunges wusste nicht was jetzt kam, aber sie hatte Angst davor. Minzblatt hatte so einen Ton angeschlagen, der ernst und dringlich wirkte, irgendwie unheilvoll. Vor allem mit ihrer tiefen Stimme...
„Ich werde dich nicht davon abhalten, eine Kriegerin zu werden," fuhr sie fort. „Aber dazu musst du dir über deine Gabe im Klaren sein." Sie sah Windjunges ernst an, holte tief Luft und fragte dann: „Könntest du in einen Kampf ziehen, von dem du weißt, dass er verloren ist? Könntest du einer Katze in die Augen sehen, von der du weißt, dass sie stirbt? Könntest du dann immer noch mit voller Stärke für deinen Clan kämpfen?"
Windjunges schreckte vor diesen direkten Worten zurück. Darüber hatte sie noch gar nicht nachgedacht. Und sie wollte es auch eigentlich gar nicht! Oh, heiliger SternenClan, sie erwartet doch nicht etwa eine Antwort von mir?
„Überleg es dir gut," schloss Minzblatt.
Windjunges hatte plötzlich das Gefühl, es keinen Moment länger in ihrem Bau auszuhalten. Egal, ob sie nun von anderen Katzen angestarrt wurde, Minzblatts Blick war schlimmer, viel schlimmer. Von wegen, sie versteht! Sie versteht rein gar nichts!
Die kleine Kätzin sprang auf die Pfoten, als hätte sie eine Biene in die Schwanzwurzel gestochen.
„Äh,... ja... mach ich... Äh... Bis bald..." Bloß weg hier!
So gemessen wie möglich schritt sie zum Ausgang, doch ihre Pfoten zitterten, wollten einfach rennen und davonlaufen.
Minzblatt begleitete sie, auch wenn Windjunges auf ihre Gesellschaft momentan gut verzichten konnte.
„Und falls du deine Meinung ändern solltest," rief die Heilerin ihr noch hinterher, „bist du im Heilerbau immer herzlich willkommen."

Windherz' Sternenpfoten || ÜberarbeitetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt