The winner takes it all

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Windherz konnte nicht fassen, was sie da tat. Sie konnte nicht fassen, dass sie sich auf einen Kampf einließ, noch dazu gegen Lichtfleck, mit dem sie nun nicht mehr nur ein Geheimnis verband.
Sie hatten einen Deal, eine Abmachung, die nun irgendwie nicht mehr realistisch erschien. Eigentlich hatte sie ihnen beiden nur Ärger gebracht. Und doch stand der Kater ihr nun gegenüber, das Fell gesträubt, die Zähne gebleckt und die Krallen ausgefahren. So ganz anders, als in ihrem Bau. 
Windherz legte unsicher die Ohren an. Sie kannte keinen einzigen Kampfzug! Sie war eine Heilerin! Und wirklich Lust auf eine Prügelei hatte sie auch nicht. Trotzdem begannen sie sich zu umkreisen. Es war ganz leicht, passierte fast von selbst.
Windherz fuhr die Krallen aus. Nervös musterte sie ihren Gegner.
Lichtfleck war größer und stärker als sie. Selbst mit seinen Wunden machte er einen Eindruck von Kraft, den die Kätzin vermutlich niemals vermitteln würde. Während er sich um sie herum bewegte, sah sie deutlich die Muskeln unter seinem Fell. Wäre es nicht sie, die gleich von diesem Kraftpaket attackiert würde, hätte sie es wahrscheinlich attraktiv, bewundernswert gefunden. So aber machte sich Angst in ihr breit.
Lichtfleck hatte Kraft. Lichtfleck kannte Techniken, von denen sie nur träumen konnte. Lichtfleck war trainiert. Er hatte sein ganzes Leben lang nichts anderes gemacht. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sie ihn mit Aschenschweif hatte kämpfen sehen. Lichtfleck konnte ihr wehtun. Sehr wehtun. Und sie hatte keine Chance gegen ihn.
Sie umkreisten sich weiter. Ängstlich suchte Windherz Lichtflecks Blick, suchte nach einer kleinen Gefühlsregung, die ihr verriet, dass noch nicht alles verloren war. Doch da war nicht mehr als ein unsicheres Flackern, ein winziges Zögern. Ansonsten war die Feindseligkeit in seinen grünen Augen nicht zu übersehen. Er würde sie angreifen. Er würde kämpfen. Und er würde gewinnen. Was hatte er auch für eine Wahl? Darauf lief alles hinaus. Die Frage war nur, warum es nicht schon längst passiert war.
Windherz schluckte nervös. Ihre Kehle war vollkommen ausgetrocknet. Tu es! dachte sie. Bring es zu Ende!
„Na los!" knurrte Lindenstern. Die Ungeduld in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Nun mach schon, Lichtfleck! Spiel hier nicht den Gentleman! Worauf wartest du? Willst du sie aushungern?" Sein schlechter Scherz wurde von höhnischem Gelächter aus seinen eigenen, und zornigem Fauchen aus den feindlichen Reihen quittiert.
Lichtflecks Augen flackerten gequält.
Windherz sah ihn an. Irgendwie war er ja ganz süß, aber sie konnte das nun wirklich nicht gebrauchen. Jeder wusste, wie dieser Kampf ausgehen würde und sie wollte ihre Demütigung nicht auch noch unnötig in die Länge ziehen.
„Mach schon!" krächzte sie. Eigentlich hatte es ungeduldig und feindselig klingen sollen, aber nicht einmal das hatte sie hinbekommen. „Ich will's hinter mich bringen!"
Lichtfleck zögerte. „Ich geb dir eine Chance!" sagte er, unzweifelhaft in einem letzten, verzweifelten Versuch, irgendwie ehrenvoll aus dieser Nummer rauszukommen. „Ergib dich und ich tu dir nichts!"
Doch so leicht würde Windherz sich nicht ausschalten lassen. Entschieden schüttelte sie den Kopf. Dieses letzte bisschen Würde würde sie sich wahren.
„Ich weiß, als Heilerin dürfte ich nicht kämpfen. Aber da ich keine Wahl habe, tu ich es für meinen Clan und werde nicht aufgeben, ehe der Kampf für mich verloren ist! Auch ich habe meinen Stolz!"
Lichtfleck sah sie an, als wüsste er nicht recht, was er darauf antworten sollte. Seine Nase zuckte nervös.
Windherz blickte ihn fest an, dann blieb sie stehen. Er würde sie jetzt angreifen müssen, oder sie würde es tun.
Doch diese Blöße ersparte ihr der Kater. Blitzschnell stieß er vor und brachte sie mit einem gezielten Schlag gegen das Vorderbein zum Taumeln.
Kaum hatte Windherz sich wieder gefangen, stieß sie ihrerseits vor und versuchte ihm in die Schulter zu beißen, doch er war schneller und wich ihr aus, ehe er ihr die Pfoten unter dem Körper wegzog.
Der Aufprall ließ die Kätzin nach Luft schnappen und sie schlug mit den Krallen nach seinem Bauch.
Lichtfleck keuchte erschrocken auf, als er gerade noch sein Bauchfell in Sicherheit bringen konnte und versuchte nun, sie so zu Boden zu drücken, das sie nicht mehr nach ihm treten konnte. Er war noch stärker als erwartet.
Windherz biss die Zähne zusammen und stemmte sich mit all ihrer Kraft gegen seinen Körper, doch dann ließ er sich auf ihren Hinterbeinen nieder, und drückte ihr die Schulter auf den Hals.
Die Heilerin schnappte erschrocken nach Luft. Nun konnte sie sich weder bewegen, noch bekam sie genügend Luft. Ein frustriertes Fauchen verließ ihre Kehle, als ihr klar wurde, dass der Kampf wohl doch schneller vorbei war als erwartet.
„Gibst du endlich auf?" fragte Lichtfleck sie. Seine Augen leuchteten hoffnungsvoll und der Druck auf ihrer Kehle verringerte sich etwas.
Windherz schnappte nach Luft, schüttelte entschlossen den Kopf und begann sich unter ihm zu winden, um sich zu befreien. Sie würde nicht aufgeben, niemals! Zwar wusste sie nur zu gut, dass sie verloren hatte, doch der bloße Gedanke, sich und ihm ihre Niederlage eingestehen zu müssen, bereitete ihr Panik. 
Langsam beugte sich der SturmClan Kater nach unten zu ihrem Ohr. Sein Atem kitzelte beruhigend ihr Fell und Windherz' Gegenwehr schwächte ab. Was auch immer es war, plötzlich erschien ihr seine Gegenwart nicht mehr so beängstigend. Zittrig stieß sie den Atem aus.
„Bitte," flüsterte Lichtfleck. „Ich will dir nicht wehtun! Du hast mir geholfen! Wenn wir das hinter uns bringen, sind wir beide frei! Du hast mir versprochen, dass du mir aus eurem Lager hilfst und auch ich werde mein Versprechen halten. Aber das geht nur, wenn wir endlich aufhören uns zu bekämpfen! Bitte, Windherz. Sei eine Kriegerin!"
Windherz hörte auf sich zu winden. Dennoch zögerte sie. Sie wollte nicht aufgeben müssen. Immerhin kämpfte sie für ihren Clan! Aber andererseits hatte Lichtfleck recht. Sie konnte nicht gewinnen. Und sie war ihm immer noch einen Gefallen schuldig. Aber was wenn er mich reinlegt? Mich tötet?
Die Kätzin blickte hoch zu ihrem Gegner. Mit ihren Augen versuchte sie ihn zu durchleuchten. Lichtfleck schien absolut ehrlich zu sein. Er gibt dir eine Chance... wenn er denn die Wahrheit sagt.
Der Kater lächelte sie aufmunternd an. Windherz wog ihre Chancen ab. Sie konnte diesen Kampf nicht gewinnen. Sie hatte verloren. Doch Aufgeben hieß, dass sie sich von Lichtfleck abhängig machte. Wenn er sie anlog und am Ende doch nur hinterging, hätte sie damit sich und ihren Clan ins Verderben gestürzt.
Der Moment schien sich ewig in die Länge zu ziehen. Der SturmClan Kater schien langsam nervös zu werden, denn seine Augen flackerten immer wieder unruhig zu seinem Anführer hinüber, der siegeshungrig bei seinen Katzen kauerte und ihm auffordernde Blicke zuwarf. Wenn Windherz nicht bald etwas tat, würde Lindenstern den Kampf entscheiden.
Sie seufzte. „Ich... ok... ich gebe auf..." miaute sie leise.
Lichtfleck seufzte erleichtert und richtete sich auf. Tosender Lärm begrüßte ihn von seinen Clangefährten, während die LichtClan Katzen schweigend und wachsam jede seiner Bewegungen genau beobachteten.
Der Kater stieg von Windherz hinunter und half ihr auf die Pfoten. Sie blickte zu Boden und machte sich nicht einmal die Mühe, sich den Staub aus dem Fell zu putzen. Innerlich betete sie zum SternenClan, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, als sie Lichtfleck vertraute.
Der schüttelte sich und warf der Heilerin einen besorgten Blick zu. Als diese nicht reagierte, verkündete er: „Ich habe gesiegt." Doch es war nicht triumphal. Eher angewidert.
Die SturmClan Katzen schienen das gar nicht zu bemerken. Jubelnd sprachen sie ihrem Zweiten Anführer ihre Unterstützung aus.
„War ja zu erwarten!" rief Lindenstern polternd und sorgte damit schließlich für Ruhe unter seinen Katzen. Ein teuflisches Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus, als sein Blick von Lichtfleck zu Windherz wanderte.
„Gut gemacht, Zweiter Anführer!" miaute er. Dann schnippte er mit dem buschigen Schwanz. „Und jetzt würde ich sagen, tötest du sie, dann können wir nämlich alle wieder nach Hause!"
Empörtes Gejaule brach unter den LichtClan Katzen aus.
„Das war aber nicht der Deal!" rief Adlerflug wütend und übertönte damit schließlich ihre Clangefährten. „Lichtfleck darf entscheiden, was mit ihr passiert, nicht du, du widerlicher Krähenfraß von einem Anführer!"
Lindensterns Augen verengten sich und er fuhr die Krallen aus. „Wer bist du, dass du es wagst, so mit mir zu sprechen!" fauchte er.
Adlerflug trat zwei Schritte vor und funkelte den wesentlich größeren Kater mit abgrundtiefer Verachtung in den blauen Augen an.
„Jemand, der dir gehörig den Pelz zerfetzten wird, wenn du Lichtfleck befiehlst, Windherz zu töten!" fauchte sie zurück.
Die LichtClan Krieger jaulten zustimmend und fuhren die Krallen aus. Die SturmClan Katzen erwiderten es mit drohendem Knurren.
Unwillkürlich duckte Windherz sich ein wenig. Hilfesuchend blickte sie zu Lichtfleck hinüber, der sich nun räusperte und etwas zaghaft zum Sprechen anhob. „Wenn ich dazu auch etwas sagen dürfte..."
„Du!" schnappte Adlerflug und unterbrach ihn, noch bevor er seinen Satz zu Ende gesprochen hatte. „Wenn du vorhast, Windherz jetzt auch nur ein Haar zu krümmen, dann kriegst du's mit mir zu tun, kapiert?" fauchte sie.
„Kapiert," miaute Lichtfleck. „Ich habe nicht vor, sie weiter anzurühren."
Nicht wenige blickten überrascht. Adlerflug klappte ungläubig das Maul auf und dann sofort wieder zu, als eine bissige Bemerkung nun doch überflüssig wurde. „Dann... ist ja gut..." murmelte sie.
Windherz musste unwillkürlich grinsen. Ob vor Erleichterung oder vor Stolz auf Lichtfleck, war ihr nicht ganz klar. Das ist wirklich ehrenhaft von ihm.
„Was?" fauchte Lindenstern ungläubig. Der SturmClan Anführer schien der Einzige zu sein, der glaubte, sich bei der Ansage seines Stellvertreters verhört zu haben. Dieser sah ihn unverwandt an.
„Das Gesetz der Krieger schreibt vor, dass wir nur im Notfall töten dürfen," miaute er deutlich. „Und ich schätze, von einer Heilerin droht keine Gefahr. Dieser Kampf eben, ist kein Kampf auf den ich stolz sein kann. Windherz hat nie gelernt zu kämpfen! Außerdem ist sie kleiner und schwächer als ich. Warum sollte ich stolz darauf sein, eine Heilerin besiegt zu haben?"
Lautes Gemurmel brach aus. Windherz blickte verlegen zu Boden. Ihr Fell prickelte, doch ihre Augen glühten vor Stolz auf Lichtflecks Worte. Er hatte es tatsächlich geschafft, mit einem einzigen Satz ihrer beider Ehre wiederherzustellen. Schnell verkniff sie sich ein Schnurren.
„Immerhin gibt es eine ehrenwerte Katze im SturmClan!" lobte Froschstern und nickte Lichtfleck anerkennend zu. „Gut gesprochen, Krieger. Dürften wir nun unsere Heilerin wiederhaben?"
„Das entscheidet, wie deine oberschlaue Kriegerin eben schon gesagt hat, immer noch Lichtfleck!" fauchte Lindenstern wütend. Sein langer Schweif peitschte aufgebracht hin und her und er sah aus, als ob er am liebsten sämtliche Schnurrhaare einzeln aus Froschsterns Schnauze gerupft hätte. Oder aus Lichtflecks. Oder am besten aus beiden. Aber der LichtClan Anführer ließ sich davon nicht beeindrucken.
„Ich habe auch nicht dich gefragt, Lindenstern," konterte er ruhig und wandte sich dann wieder seinem eigentlichen Interesse zu. „Lichtfleck?"
Der gefleckte Kater nickte und lächelte. „Ich gehe wieder zu meinem Clan, und Windherz zu ihrem," antwortete er.
Froschstern nickte anerkennend und Lindenstern knurrte vernehmlich.
Windherz wäre schier geplatzt vor Stolz und der unendlichen Genugtuung, dass Lichtfleck nun doch Lindenstern gedemütigt hatte und nicht sie. Als sie an ihm vorbeiging flüsterte sie: „Danke. Das war sehr mutig von dir."
„Ich muss dir danken," flüsterte Lichtfleck zurück. „Wir sehen uns morgen bei Mitternacht wieder hier. Du hast dein Versprechen gehalten und jetzt halte ich meins." Ich habe auch nie daran gezweifelt.
Und Windherz' Herz schlug etwas höher.

Windherz' Sternenpfoten || ÜberarbeitetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt