Schneesturm

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Mit gewaltiger Macht setzte die Blattleere ein und begrub alles unter einer dicken Schneedecke. Überall hingen Eiszapfen von den Bäumen und glitzerten ins LichtClan Territorium hinab. Wenn die Katzen nicht gerade jagten, verkrochen sie sich in ihren Bauen, das Fell aufgeplustert und dicht aneinander gedrängt. Alle Geräusche wurden vom funkelnden Schnee geschluckt.
Die Schüler, die noch nie in ihrem Leben Schnee gesehen hatten, waren die einzigen, die sich noch für die glitzernden Flocken begeistern konnten. Alle anderen murrten abwechselnd über die Kälte, die knappe Beute und den Mangel an Kräutern. Die Nächte waren dunkel, stürmisch, kalt und lang.
In einer dieser Nächte wurde Fuchsjunges geboren. Sie war das einzige Junge von Rosenfell und Eichenkralle. Ihr flauschiges Fell war immer aufgeplustert, sodass sie wie ein großes, rotes Wollknäul aussah, wie Adlerpfote es gerne ausdrückte, wie der einzige Farbfleck in einer unendlichen weißen Schneewüste.
Fuchsjunges lockte den Kriegern wieder ein Lächeln ins Gesicht und alle freuten sich auf die bevorstehende Geburt weiterer Jungen, auch, wenn der Zeitpunkt dafür nicht unbedingt der Beste war. Denn auch Sturmlied wurde immer runder.
Wann immer sie sich aus der Kinderstube traute, stapfte sie schwerfällig durch den Schnee, doch alle Hilfsangebote lehnte sie ab. Wenn sie Fuchsjunges und Rosenfell zusah, wie sie aneinander gekuschelt in ihrem Nest lagen, schlich sich ein verträumtes Lächeln in ihr Gesicht und Windpfote dachte, dass die gefleckte Königin eigentlich nicht hätte glücklicher sein können.
Doch die Blattleere zog sich in die Länge, ohne das Sturmlied ihre Jungen zur Welt brachte. Langsam wurde die Kätzin zusehends gestresst.
Und Minzblatt immer besorgter, wie Windpfote schien. Was ihr auch ein paar Tage später bestätigt wurde, als sie zufällig ein Gespräch zwischen ihrer Mentorin und Robbensee, der Ältesten belauschte.
„Wenn sie nicht bald ihre Jungen bekommt, wird das böse enden," krächzte Robbensee, als sie sich von der Heilerin ein paar Kräuter für Leopardenflecks Gelenke abholte. Die Kälte hatte sie steif werden lassen und der alte Kater konnte sich kaum noch bewegen.
Minzblatt nickte. „Ich kann versprechen, dass diese Geburt nicht einfach wird..." prophezeite sie, während sie hinter Robbensee durch ein dichtes Schneegestöber zum Ältestenbau stapfte. Und sie sollte recht behalten.

Eines Nachts wurde Windpfote von einem heftigen Stoß in die Rippen geweckt. Erschrocken fuhr sie aus dem Schlaf, und erkannte im fahlen Mondlicht, das durch das Loch in den Heilerbau fiel, die dunkle Gestalt Adlerpfotes.
„Windpfote!" flüsterte diese, wobei sie eigentlich eher schrie, als ruhig zu sprechen. „Komm schnell!" Hektisch packte sie die Heilerschülerin am Nackenfell und versuchte, sie auf die Pfoten zu ziehen.
Windpfote strauchelte, kippte um und landete unsanft auf dem Boden vor ihrem Nest. Ärgerlich funkelte sie Adlerpfote an, doch die kleine Kätzin schien ihren Blick gar nicht zu bemerken.
„Minzblatt braucht dich! Sturmlied bekommt ihre Jungen und alles geht schief!" rief ihre Freundin panisch und ihre nachtblauen Augen flackerten unruhig.
Windpfote war sofort hellwach. „Was? Heiliger SternenClan!" Mit einem Satz war sie auf den Pfoten. Adlerpfote trat hektisch von einer Tatze auf die andere.
„Ich wollte nur schnell zum Schmutzplatz, als Minzblatt mich fast umgerannt hat!" erklärte sie schnell. „Sie meinte, ich solle mich nützlich machen und einen großen Stock holen."
Erst da fiel Windpfote der dicke Stock neben Adlerpfote auf. Na da hast du ja ganze Arbeit geleistet...
„Dann sollte ich dich holen," fuhr die Schülerin fort. „Du sollst Borretsch und Spinnweben mitbringen." Sie beendete ihren Bericht mit einem ängstlichen Fiepen, das ihr eine Sekunde später schon wieder leid zu tun schien, denn sie presste ärgerlich die Lippen aufeinander und nur ihre Augen verrieten ihre Furcht.
Windpfote war schon zum Kräutervorrat gehastet und wühlte hektisch darin herum. Borretsch... Borretsch... Das muss schneller gehen!
Ganz hinten entdeckte sie schließlich ein Bündel der benötigten Kräuter. Es war armselig klein, aber es musste reichen.
Zusammen mit Adlerpfote und ihrem Stock rannte sie zur Kinderstube. Schon ein paar Schwanzlängen vor dem Eingang hörten sie Sturmlieds Stöhnen und ihre leisen Schmerzenslaute. Und sie entdeckten Nachtherz, der aufgewühlt vor dem Eingang auf und ab lief. Minzblatt hat ihn also auch nach draußen verbannt.
Als der Kater die beiden Schülerinnen entdeckte, schien sich kurzzeitig Erleichterung in ihm breit zu machen, bevor er erneut unruhig das Nackenfell aufstellte. „Das geht jetzt schon seit Stunden so!" beschwerte er sich. „Ich will wissen was da drin vor sich geht! Was ist mit Sturmlied?"
Der arme Kerl tat Windpfote leid, doch sie antwortete nur mit einem knappen: „Ihr wird's schon gutgehen" und verschwand in der Dunkelheit der Kinderstube. Keine Zeit für lange Reden!
Drinnen schlug ihr ein gewaltiger Blutgeruch entgegen. Trotz der Kälte draußen war es hier unerträglich heiß und Windpfote hätte am liebsten kehrt gemacht und sich draußen in den Schnee geworfen.
„Windpfote, Adlerpfote!" rief Minzblatt ihnen entgegen. „Dem SternenClan sei Dank!" Hektisch rappelte sie sich auf die Pfoten, nahm Adlerpfote den Stock aus dem Maul und gab ihn Sturmlied, die nun ihre Schmerzen an dem Holz auslassen konnte. „Sehr gut, danke."
Ihr Verhalten machte Windpfote mehr Angst, als Adlerpfotes offensichtliche Panik, mit der sie Sturmlied anstarrte und der Laut der aus ihrer Kehle kam, bevor sie mit einem knappen Nicken an die gebärende Königin und die Heiler fluchtartig den Bau verließ. Himmel, ich habe Minzblatt noch nie so nervös erlebt.
Die Heilerin verschwendete keine Zeit damit, der hellen Schülerin lange nachzusehen, sondern erteilte knappe Anweisungen an Windpfote. „Komm her und hilf mir, gleich kommt das erste Junge."
Die Kätzin gehorchte. Bei Fuchsjunges Geburt hatte Minzblatt ihr genau erklärt was zu tun war.
„Hoffen wir, dass Adlerpfote und Nachtherz ihre Panik im Griff haben..." murmelte die Heilerin, als Windpfote an ihr vorbei schlüpfte. „Es werden vier! Kein Wunder, das diese Geburt kein Zuckerschlecken ist! Sie kommen zu spät und vier Jungen sind eine gewaltige Menge!" Die dunkle Tigerkätzin blickte starr auf Sturmlieds gewölbten Bauch, der sich von den Atemzügen der Kätzin rhythmisch hob und senkte. „Aber erzähle Sturmlied nichts davon," flüsterte sie ihrer Schülerin ins Ohr. „Sie darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass es jetzt schnell vorbei ist."
Windpfote nickte und nahm ihren Platz an Sturmlieds Schenkeln ein. Von dort sah sie die glitzernden Augen Rosenfells und den kleinen, aufgeplusterten Umriss Fuchsjunges, der neugierig über den Nestrand spähte. Unwillkürlich wünschte sie sich, neben dem kleinen Jungen im Nest zu liegen, Minzblatt zuzusehen und nicht für das Wohl dieser Kätzin am Boden verantwortlich zu sein, die sich gerade damit abmühte, ihren Jungen das Licht der Welt zu zeigen.
Die Minuten schienen sich ewig in die Länge zu ziehen. Und endlich rutschte das erste Kätzchen zwischen Windpfotes Tatzen. Es war dunkel und schildpattfarben. Eine kleine Kätzin.
„Du hast eine Tochter!" rief sie Sturmlied zu, die sich erschöpft streckte und sofort begann, das Junge zu lecken.
„Ampferjunges," flüsterte die Kätzin zittrig, aber mit vor Liebe überquellender Stimme.
Danach ging es zu Windpfotes Erleichterung schneller. Das nächste Junge war sturmgrau. Es war ebenfalls eine Kätzin. Doch sie war sehr schwach, sodass Minzblatt Rosenfell bat, auf sie aufzupassen bis alles vorbei war. Ihr Name war Dunstjunges.
Windpfote merkte, wie angespannt sie bei der ganzen Sache war. Die Angst hing über der Kinderstube wie eine große, dunkle Wolke. Sie alle waren ungewöhnlich still, nur Sturmlieds Wimmern war zu hören und das sanfte Lecken Rosenfells über Dunstjunges kleinen Körper.
Als nächstes erblickte ein Kater das Licht der Welt. Er war außergewöhnlich groß für ein neugeborenes Junges, fast so groß wie Fuchsjunges. Sein Fell war grau, mit dunkleren Flecken. Sturmlied nannte ihn Wolfsjunges. „Genau wie Nachtherz und ich es uns gewünscht haben."
Doch die Kriegerin wurde immer schwächer. Nach Stunden anstrengender Qualen, schwanden ihre Kräfte. Minzblatts Miene wurde immer verbissener.
Das letzte Junge war eine dunkelrote Kätzin mit weißen Flecken. Doch Dämmerjunges kam tot zur Welt. Und eine Stunde später trat auch Dunstjunges die Reise zum SternenClan an.
„Sie waren einfach zu schwach," flüsterte Minzblatt als das Junge seinen letzten Atemzug tat und seine Mutter es wimmernd an ihren Bauch schob.
Windpfote hatte noch nie etwas Traurigeres gesehen. Unaufhaltsam stiegen Tränen in ihre Augen und rollten langsam ihre Wangen hinab. Die arme Sturmlied. Stundenlange Qualen und ihr halber Wurf stirbt.
Und sie wusste, dass auch ein Teil in Sturmlied gestorben war, als die Kätzin sich trauervoll um ihre Jungen ringelte, die Nase in das Fell ihres Gefährten gepresst, während langsam die Sonne kalt über dem LichtClan Lager aufstieg, als wäre nichts gewesen.

Windherz' Sternenpfoten || ÜberarbeitetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt