Mizzie und Träumender Geist

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Windherz starrte Mizzie entgeistert an. „Junge?" keuchte sie entsetzt. „Wie kommst du denn darauf? Ich bin nicht schwanger!"
Sie klang ruppiger als gewollt und als sie Mizzies erschrockene Miene sah, schämte sie sich beinahe etwas für ihren wütenden Tonfall. Die Kätzin hatte es nur gut gemeint. Woher sollte sie auch wissen, dass der LichtClan Heilerin bei diesen Worten das Herz in die Schwanzspitze rutschte?
Das zierliche Hauskätzchen blinzelte sie verdattert an.
„Du weißt nicht dass du Junge erwartest?" miaute sie überrascht. „Ich dachte du wärst Heilerin!"
Windherz schnappte nach Luft. Hektisch blickte sie sich nach Adlerflug und Träumender Geist um, doch zum Glück warteten beide Kätzinnen hinter dem Zaun und konnten sie nicht hören. Trotzdem senkte die Heilerin deutlich die Stimme, als sie erklärte: „Ich kann gar keine Junge erwarten! Ich darf es gar nicht! Ich darf nicht mal einen Gefährten haben!"
Eigentlich hatte sie alle Zweifel ausräumen wollen, doch die aufkeimende Panik in ihrer Stimme hatte Mizzie unmöglich überhören können.
Du hast dich nicht an diese Regel gehalten... erinnerte sie eine leise Stimme in ihrem Kopf. Du hast dir einen Gefährten genommen obwohl du es nicht darfst. Vor Angst krampfte sich ihre Brust schmerzhaft zusammen. Wir sind doch gerade mal knapp über einen Mond zusammen! versuchte sie sich zu beruhigen. Junge sind so gut wie unmöglich!
Mizzie schüttelte nur den Kopf über Windherz' seltsames Verhalten. „Es ist aber so," miaute sie sachlich. „Es spricht alles dafür."
Nun wurde es Windherz zu bunt. „Was? Was spricht alles dafür?" fauchte sie. „Ich bin nicht schwanger!" Wütend, wie um ihren Worten die nötige Glaubwürdigkeit zu verpassen, fuhr sie die Krallen aus und ein. Nur war sie sich selbst ihrer Worte gar nicht mehr so sicher.
Für Windherz war es eine schreckliche Vorstellung, trächtig zu sein. Sie hatte gerade erst Lichtfleck verloren, und nun erwartete sie angeblich seine Jungen, obwohl es Heilern verboten war, überhaupt erst einen Gefährten zu haben! Doch theoretisch war es möglich. Theoretisch konnte sie tatsächlich schwanger sein. Und dieser Gedanke schnürte ihr die Kehle zu.
„Warum so unglücklich?" wunderte sich Mizzie. „Es ist nun mal so! Noch sieht man es dir vielleicht nicht an, aber gib es zu, du hast dich in letzter Zeit oft schwer und müde gefühlt." Ihre Augen verengten sich forschend, während sie auf Windherz' Reaktion wartete. „Außerdem hat sich dein Geruch verändert," fuhr das Hauskätzchen erbarmungslos fort. „Nur kaum merklich zwar, aber wenn man selbst so riecht, fällt einem das schon auf. Abgesehen davon habe ich schon viele trächtige Kätzinnen gesehen. Du wärst nicht die erste, die es nicht wahrhaben will."
Windherz starrte Mizzie an, als wäre sie eine SternenClan Katze. Nun, da sie darüber nachdachte, wusste sie, dass das Hauskätzchen recht hatte, doch das machte die ganze Sache auch nicht besser. Sie erwartete Junge und das war das Schlimmste, was ihr je hätte passieren können. Früher oder später würde alles auffliegen und dann wären Lichtfleck und sie Katzenfutter.
„Da...das kann nicht... Ich darf nicht!" stotterte Windherz, hellauf entsetzt, während sich in ihrem Kopf ein Schockszenario nach dem anderen abspielte.
Sie sah sich selbst, wie sie sich schützend um einen Wurf Jungen ringelte und knurrend einem zähnefletschenden Lindenstern entgegen starrte, der mit einem höhnischen Lachen über Lichtflecks Leichnam stieg und langsam auf sie zu kam... Die entsetzten und enttäuschten Mienen ihrer Clangefährten, als sie ihnen alles beichtete. Tränen traten ihr in die Augen.
„Ich... Lichtfleck... Nein!" Windherz begann zu zittern und zu schluchzen. Das war das Ende. Sie würde alles verlieren, was sie je geliebt hatte, mit Lichtfleck angefangen. Wenn er herausfand, dass sie seine Jungen trug und damit ihn und seine Beziehung zu Apfelblüte gefährdete, würde er sie hassen. Weinend brach die LichtClan Kätzin auf dem Rasen vor Mizzies Bau zusammen und vergrub das Gesicht zwischen ihren Pfoten.
„Aber, aber!" besorgt trat Mizzie zu Windherz heran und leckte ihr tröstend die Schulter. „Das ist doch überhaupt nichts Schlimmes! Junge sind etwas Tolles!"
Windherz schüttelte nur stumm den Kopf. „Nicht für mich!" schluchzte sie. Tränen vernebelten ihr die Sicht. „Ich darf keine Jungen bekommen, so gerne ich das auch möchte! Ich werde sie nie behalten können! Ich werde ihnen nie eine Mutter sein können!" Es schüttelte sie. „Meine Beziehung zu Lichtfleck ist illegal! Niemand darf davon wissen, nicht einmal Adlerflug!"
Windherz konnte sich Mizzies mitleidigen Blick lebhaft vorstellen, als die Kätzin sich nun eng an sie presste und sie tröstend zwischen den Ohren leckte, doch sie sprach zitternd weiter. „Außerdem hat er wahrscheinlich sowieso schon eine andere Gefährtin! Eine legale!" Der Satz endete in einem Schluchzen.
Mizzie schnurrte beruhigend. „Das wird schon wieder," murmelte sie in ihr Fell. „Du bist eine starke Katze! Du schaffst das."
Windherz schniefte und blickte aus verquollenen Augen zu ihr auf. „Meinst du wirklich?" wimmerte sie. „Ich schaffe es ja nicht mal, eine Beziehung zu führen, ohne dass sich mein Gefährte nach einem Mond eine andere sucht!"
Mizzie lächelte ihr aufmunternd zu und nickte leicht. „Natürlich schaffst du das!" miaute sie ernst. „Du wirst diesem Lichtfleck zeigen, was er an dir hat und dann werdet ihr euch gemeinsam um die Jungen kümmern." Freundschaftlich stupste sie Windherz in die Seite. „Und wenn du mich brauchst, ich bin immer für dich da."

Mizzie und Träumender Geist begleiteten Windherz und Adlerflug bis zur Grenze des LichtClan Territoriums. Dort verabschiedeten sie sich herzlich von einander und die Clankatzen setzten ihre Reise allein fort.
Windherz war die ganze Zeit ungewöhnlich still und nachdenklich, während Adlerflug munter drauflos plapperte.
„Oh, die Jungen werden bestimmt wunderschön!" schwärmte sie, während sie durch den Düsterwald tappten. „Und eines von ihnen wird Traumjunges heißen! Oder doch Buschjunges? Nein, jetzt hab ich's! Federjunges! Wobei... Birkenjunges klingt auch nicht schlecht..." Sie hielt nachdenklich inne. „Windherz, was meinst du?"
Windherz schreckte hoch. „Äh... wie wär's mit Ahornjunges?" schlug sie vor. Es war der erste Name, der ihr einfiel und eigentlich war sie mit den Gedanken ganz woanders und nicht wirklich bei der Sache, doch Adlerflug war sofort begeistert.
„Der ist klasse!" rief sie. „Aschenschweif sieht das bestimmt genauso!"
Windherz nickte leicht und verfiel dann wieder in Schweigen, während sie in ihrem Kopf sämtliche Varianten eines Gesprächs mit Lichtfleck durchging. Wie sollte sie ihm nur klarmachen, dass sie seine Jungen erwartete, obwohl er doch schon eine andere Gefährtin hatte?
Inzwischen war ihr klargeworden, dass sie mit ihm über alles reden musste. Allein würde sie diese Jungen niemals großziehen können. Außerdem hatte Lichtfleck es verdient, von ihnen zu erfahren – immerhin war er ihr Vater. Und Träumender Geist hatte ihr geraten, ihm noch eine Chance zu geben...
„Du, Windherz, lass uns hier Pause machen." Adlerflug riss die Heilerin erneut unsanft aus ihren Gedanken, als sie plötzlich stehen blieb.
Windherz nickte einfach nur, immer noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf irgendein Gespräch mit der hellen Kriegerin eingehen zu können und hielt ebenfalls an. Die schien das zum Glück nicht zu kümmern. Auch sie war ganz in ihrer eigenen Welt versunken.
Die Kätzinnen ließen sich unter einer Eiche am Flussufer nieder, aber Adlerflug sprang gleich wieder auf.
„Ich muss noch was fangen," erklärte sie. „Ich hab dem Clan gesagt, dass ich jagen gehe und dabei nach dir Ausschau halte. Macht's dir was aus, wenn du hier kurz auf mich wartest?"
„Nein, alles in Ordnung," antwortete Windherz monoton. Insgeheim betete sie, dass der Kätzin nichts an ihrem komischen Verhalten auffiel, doch sie hatte Glück.
„Danke!" miaute Adlerflug nur und verschwand prompt im Schilf. Nun war Windherz alleine und starrte auf ihr verschwommenes Spiegelbild im trüben Flusswasser, allerdings ohne es richtig zu sehen.
Junge... dachte sie geistesabwesend. Ob sie Lichtfleck und mir ähnlich sehen werden? Irgendwie ja schon ein schöner Gedanke... duzende kleine Lichtflecks mit Smaragdaugen... Bei dieser Vorstellung musste sie schnurren, doch schon im nächsten Moment blieb es ihr im Halse stecken. Ich werde mich nie um sie kümmern können. Sie werden geheim sein... Sie seufzte. Das bedeutet es also, das Gesetz der Heiler zu achten... Traurig ließ sie den Kopf hängen.
Und dann war da immer noch die Sache mit Apfelblüte. Windherz musste Lichtfleck von seinen Jungen erzählen, doch wenn rauskam, dass er sie die ganze Zeit nur betrogen und ausgenutzt hatte... Sie wusste nicht, ob sie dann immer noch die Kraft hätte, sich ihm anzuvertrauen. Aber ich werde ihm eine Chance geben, versprach sie sich. Und je nachdem, ob er sie nutzt oder nicht, werde ich ihm das mit den Jungen sagen, oder nicht.
Unwillkürlich musste sie an Minzblatt denken. Windherz hatte ihrer Mentorin versprochen, dem LichtClan eine gute Heilerin zu sein und nicht mehr dem Kriegerdasein nachzutrauern. Dieses Versprechen hatte sie gebrochen und nun erwartete sie Junge, die sie dem Clan aber nicht einmal schenken konnte. Denn der durfte nichts davon erfahren.
Sie fühlte sich einfach schrecklich. Als wäre sie eine Verräterin. Sie sollten mich verbannen. Nie habe ich das getan, was von mir erwartet wurde. Ich kann Kämpfe vorhersehen und doch konnte ich Entenfeder und Lilienstern nicht retten. Ich bin Heilerin und trotzdem mussten Robbensee und Minzblatt sterben. Ich bin nicht einmal selbst dafür verantwortlich, dass der Clan den Grünen Husten überlebt hat! Stattdessen habe ich gelogen und das Gesetz gebrochen und schlussendlich meine Clangefährten im Stich gelassen, weil ich so eine selbstsüchtige, arrogante Närrin war...
„Windherz!" Eine aufgeregte Stimme von der anderen Uferseite riss die Heilerin aus ihren Gedanken.
Erschrocken sah sie auf, doch da war die andere Katze schon mit einem Satz in den eisigen Fluss gesprungen, und schwamm mit kräftigen Zügen auf sie zu.

Als der Kater aus dem Wasser stieg, schien Windherz in eine Art Trance zu verfallen. Sekunden lang konnte sie ihn nur anstarren, so unwirklich war es.
„Lichtfleck..." flüsterte sie schließlich.
„Windherz," antwortete der Kater.

Windherz' Sternenpfoten || ÜberarbeitetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt