Die Wahrheit

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Lichtflecks grüne Augen schienen Windherz zu durchbohren. In ihnen schimmerte so viel Unausgesprochenes, wie es noch nie zwischen ihnen gestanden hatte. Erleichterung, Sorge, Freude, Hoffnung, Angst...
Windherz wusste nicht, wie ihr geschah, ihre Gedanken rasten und wirbelten in ihrem Kopf herum und waren unmöglich zu ordnen. Lichtfleck ist da! dachte sie immer wieder. Er ist der Vater meiner Jungen! Aber er hat mich hintergangen... er liebt Apfelblüte.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war nicht oft sprachlos, doch bei Lichtfleck blieben ihr die Worte weg. Dabei hatte sie ihm so viel zu sagen!
Auch dem Kater schien bei ihrem Anblick einiges durch den Kopf zu gehen. Stumm sah er auf sie hinab, mit unergründlicher Miene, nur seine Augen verrieten ein wenig von seinen Gefühlen.
„Wo bist du gewesen?" fragte Lichtfleck gekränkt. Er sah tatsächlich leicht beleidigt aus und unwillkürlich wollte Windherz sich an ihn pressen und sich bei ihm entschuldigen, weil sie einfach abgehauen war, doch dann kam ihr das Bild von Apfelblüte und ihm in den Sinn und sie ließ es bleiben.
„Du kamst letzte Nacht nicht zu unserem Treffen..." fuhr der Kater gereizt fort. „Und Vogelschweif hat dich gesucht. Sie wäre mir schier an die Kehle gegangen, weil sie glaubte, wir hätten dich gefangen genommen!" Noch immer tropfte er vor Nässe, doch er machte sich nicht die Mühe, sich zu schütteln.
„Wo warst du?" fragte er erneut und nun schlich sich ein verzweifelter Unterton in seine Stimme. „Ich hab mir Sorgen gemacht! Willst du dich denn nicht mehr mit mir treffen?"
Windherz starrte ihn eine Sekunde lang unentschlossen an. Sie schien ihn unwissentlich verletzt zu haben und das tat ihr leid, doch auch sie war nicht komplett heil geblieben. Es hatte weh getan, ihn mit einer anderen zu sehen und sie war sich nicht sicher, wie sie das am besten zur Sprache bringen sollte, ohne sich selbst verwundbar zu zeigen. Deshalb beschloss sie, ihm mit einer Gegenfrage zu antworten.
„Was läuft da, zwischen dir und Apfelblüte?" fragte die Kätzin gerade heraus und versuchte, möglichst emotionslos zu gucken, um die Trauer in ihrer Stimme zu verbergen. „Ich habe euch gestern am Fluss gesehen."
Lichtfleck blinzelte sie verständnislos an. „Was meinst du damit?" fragte er. „Zwischen uns läuft überhaupt nichts!"
„Lüg mich nicht an!" fauchte Windherz wütend. All die Trauer, die Enttäuschung und die Angst, die sie seit gestern verspürt hatte, kochten plötzlich auf einmal in ihr hoch und es gelang ihr nicht, sie zu unterdrücken. „Ich hab euch doch gesehen!"
Wieder sah sie das Bild von Apfelblüte vor sich, die sich schnurrend an ihren Gefährten kuschelte und ihm sagte, dass sie ihn liebte und unwillkürlich fuhr sie die Krallen aus.
Lichtfleck sah aus wie vor den Kopf gestoßen. Erschrocken wich er einen Schritt zurück und blickte hilflos zu der LichtClan Kätzin hinüber.
„Was... was hast du denn gesehen?" fragte er verwirrt.
„Du... ihr..." begann Windherz wütend, doch es wollte ihr einfach nicht über die Lippen kommen. Schwach stieß sie die Luft aus. Lichtfleck schien absolut ehrlich mit ihr zu sein und wirklich nicht zu wissen, wovon sie redete. Aber sie wusste, was sie gesehen hatte. Was sie gehört hatte.
„Du... du hast gesagt, dass du sie liebst!" rief Windherz verzweifelt und bemühte sich nun nicht mehr, all den Schmerz in ihr zu verbergen. Es wäre ihr sowieso nicht gelungen. Sollte er ruhig merken, was er angerichtet hatte! Sollte er ruhig alles leugnen und sich dann von seinem schlechten Gewissen zerfressen lassen! Doch der Kater schien überhaupt nichts leugnen zu wollen.
„Aber natürlich liebe ich sie!" miaute Lichtfleck nüchtern und immer noch verwirrt. „Sie ist meine Schwester, wusstest du das nicht?"
Windherz blickte ihn entgeistert an. Ein paar Herzschläge lang war sie wie gelähmt, bis die Bedeutung seiner Worte in sie eindrang.
„Deine... Schwester?" keuchte sie. Apfelwurm soll Lichtflecks Schwester sein?
„Ja!" sagte der SturmClan Krieger überrascht. Dann musste er lachen. „Windherz... warst du etwa... eifersüchtig?" Erleichtert kam er nun doch wieder zu ihr hinüber und lächelte sie liebevoll an.
„Ei...eifersüchtig?" hustete Windherz ungläubig. „Ich... Ich dachte... du... du..."
„Ich würde dich niemals mit irgendwem hintergehen! Niemals!" sagte Lichtfleck ernst und schüttelte sich nun doch noch das Wasser aus dem Fell. „Ich liebe dich und nur dich, vergiss das nie!"
Windherz wurde von einem Schwall Spritzwasser getroffen, doch das störte sie nicht. Mit einem Satz war sie bei ihm und presste sich an ihn, als könne er gleich wieder verschwinden. Tränen der Erleichterung strömten ihr übers Gesicht und sie brachte sogar ein heiseres Schnurren zustande, während sie leise in Lichtflecks Fell schluchzte. Lichtfleck liebt mich doch!
„Schhhh..." machte der Kater und leckte ihr zaghaft über den Kopf. „Es ist ja alles gut... ich bin da..." Seine Stimme klang belegt, als hätte er Schuldgefühle, weil er ihr solchen Kummer bereitet hatte und er erklärte: „Apfelblüte hatte Angst, Lindenstern würde sie verbannen, weil sie es vermasselt hat, Strauch zu zeigen wie man ein Eichhörnchen fängt." Er verschlang seinen Schwanz mit ihrem und gab ihr Halt, als sie schwankte, weil ihr klar wurde, wie grundlos ihre Eifersucht gewesen war.
„Und das alles nur, weil Eiswirbel sie durcheinander gebracht hat," fuhr Lichtfleck fort. „Sie ist in ihn verliebt und als er aus dem Unterholz kam, wurde sie so nervös, dass sie falsch abgesprungen ist und in einem Blätterhaufen landete. Es war ihr alles so schrecklich peinlich, dass sie sich erst mal bei mir ausgeheult hat."
Windherz schluchzte auf. All die Tränen waren umsonst gewesen und dass sie von Lichtfleck geglaubt hatte, er würde sie hintergehen, tat ihr leid.
„Entschuldigung," schniefte sie. „Ich hätt nicht gleich das Schlimmste denken sollen..."
Der Krieger schnurrte beruhigend. „Ist schon in Ordnung," miaute er. „Jetzt weiß ich immerhin, dass ich dir nicht völlig egal bin."
Windherz musste lachen. Es war unendlich befreiend und sie schmiegte sich wieder dicht an ihn, um in sein Schnurren einzustimmen. Ihr ganzer Körper vibrierte davon, dann fiel ihr auf, dass sie Lichtfleck ja noch ihre Geschichte schuldig war.
Sie erzählte wie sie sich verirrt, und Träumender Geist getroffen hatte, die ihr sofort ihre Hilfe anbot. Den Teil mit Adlerflug ließ sie weg, um die Kriegerin nicht in unnötige Verlegenheit zu bringen. Sie sagte nur, die Kätzin hätte sie, Träumender Geist und Mizzie an der Grenze getroffen und sich ihr angenommen und dass sie gerade jagen sei. Lichtfleck hörte ihr die ganze Zeit aufmerksam zu und die Erleichterung war ihm überdeutlich anzusehen.
„Und um deine Frage zu beantworten:" schloss Windherz schließlich, während sie ihm tief in die grünen Smargdaugen sah. „Natürlich will ich mich weiterhin mit dir treffen! Nur... heute Nacht wäre es wohl besser, wenn ich bei meinem Clan bleibe..."
Der Kater nickte verständnisvoll. „Natürlich! Ich will nicht, dass Vogelschweif mich nochmal so anfährt!" Er schauderte bei dem Gedanken. „Sie sah aus, als wolle sie mir das Fell über die Ohren ziehen, als ich gesagt habe, wir wüssten nicht wo du bist. Silberstreif musste sie festhalten, damit sie nicht einen Kampf anzettelte!"
Windherz musste schnurren. Dass Vogelschweif sich solche Sorgen gemacht hatte, erfüllte sie mit warmer Zuneigung für ihre Schwester, auch wenn es ihr unangenehm war, ihrem Clan solche Sorgen bereitet zu haben. Doch dann fiel ihr etwas ein und das Lächeln schwand aus ihrem Gesicht.
Vor lauter Glück, Lichtfleck doch nicht verloren zu haben, hatte sie das Wichtigste vergessen: Das kleine Detail, dass sie nun für immer miteinander verband.
Lichtfleck hatte scheinbar bemerkt, dass etwas anders war und er blickte Windherz fragend von der Seite an. „Ist alles in Ordnung mit dir?" fragte er besorgt.
Die Kätzin nickte. Natürlich war alles in Ordnung! Es war sogar besser als in Ordnung, wenn sie nur nicht solche Angst davor hätte!
„Lichtfleck..." begann sie zaghaft und sah zu Boden. Nun konnte sie Adlerflugs Befürchtungen, Aschenschweif zu sagen was los war, ziemlich gut verstehen. „Da... ist noch etwas..." Sie stockte. Ihre Augen schienen am Gras festgewachsen zu sein.
„Windherz..." sagte Lichtfleck langsam und sein Tonfall verriet seine Angst. „Bitte... bitte sieh mich an."
Es war etwas ganz Leichtes, doch es kostete die Kätzin mehr Kraft als sonst, ihren Gefährten anzusehen. Es war einfach diese Ungewissheit, wie er auf all das reagieren würde. Aber als sie sich schließlich in die Augen sahen, Lichtfleck besorgt, Windherz verzweifelt, fühlte die Kätzin trotz allem das seltsame Gefühl der Geborgenheit in sich aufkeimen. Dieser Kater, würde alles mit ihr durchstehen. Sie würde ihn immer an ihrer Seite haben, dass wusste sie. Er würde immer für sie da sein. Wie Mizzie gesagt hatte, würden sie die Jungen gemeinsam aufziehen und eine Lösung für all ihre Probleme finden. Sie würden für immer zusammen bleiben.
Ein sanftes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie sich all das klar machte. Und so holte Windherz einmal tief Luft und sagte dann: „Ich erwarte deine Jungen."
Lichtfleck blinzelte. Ein Mal. Ein zweites Mal. Unfähig ein Wort zu sprechen. „Junge..." hauchte er schließlich verzückt und in seine Augen schlich sich ein verträumter Glanz. „Junge! Ich werde Vater! SternenClan, ich werde Vater!" Ein heiteres Lachen verließ seine Kehle und er machte einen fröhlichen Luftsprung.
Windherz hatte ihren Gefährten noch nie so glücklich gesehen wie jetzt. Fast erschien es ihr wie eine ansteckende Krankheit, als er auch sie mit seiner Freude packte. Sie spürte förmlich, wie es ihn juckte, nach Hause zu rennen und allen die frohe Botschaft zu verkünden und auch sie hätte ihrem Clan gerne davon erzählt, doch das durften sie nicht und so schmiegten sie sich einfach glücklich aneinander und begannen zu schnurren.
Wieder vibrierte es in ihren Körpern, doch diesmal schien es auch auf die ganze Umgebung überzugreifen. Es war ein Moment, in dem Windherz nichts anderes spürte als Glück. Ich erwarte Jungen! Vom besten Kater der Welt! Das war mehr, als sie je zu hoffen gewagt hatte.
Schließlich trat Lichtfleck zurück und sah seine Gefährtin eine Weile einfach nur an, als wäre sie das Schönste auf der Welt. Und sie lächelte, schnurrte, konnte ihre Freude kaum in Worte fassen. Alles war wieder gut. Lichtfleck war ihr Gefährte und Vater ihrer Jungen. Er hatte sie nicht mit seiner Schwester hintergangen. Alles war perfekt.
Bis plötzlich etwas hell Geflecktes an Windherz vorbei raste, sich mit einem hohen Kreischen auf Lichtfleck stürzte und den glücklichen Augenblick zerstörte, als es den erschrockenen Kater am Boden festnagelte.
„Was machst du auf unserem Territorium?" fauchte Adlerflug.

Windherz' Sternenpfoten || ÜberarbeitetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt