IX

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Ich hatte in dieser Nacht verständlicherweise nicht mehr sehr gut geschlafen – wie denn auch, bei dieser Mitteilung. Die Vorstellung, Noah könnte hinter der eingetroffenen Nachricht auf Henrys Handy stammen, war an sich schon mehr als beängstigend. Doch wenn man dies einmal weiter sponn, lag die Vermutung, dass Henry auf Noahs Anweisung hin gehandelt hatte, gar nicht so fern.

Was, wenn er mich und Leela umbringen sollte? Und nur Leelas beherzter Einsatz und das Ankommen von Mrs. Walsh uns gerettet hatte? Was, wenn Noah vielleicht noch viel mehr Verbündete hatte? Er selbst musste gar nicht in Erscheinung treten, er konnte Leute wie Henry alles machen lassen.

Es machte nicht nur mir Angst, dass wir nicht einmal mehr auf Arcalia ansatzweise sicher waren, ich merkte auch, wie sehr es Leela mitnahm. Die Luftbändigerin wälzte sich – genau wie ich – den Rest der Nacht mehr oder weniger schlaflos herum und hatte am nächsten Morgen tiefe Ringe unter den großen, braunen Augen.

Beim Frühstück berichteten wir umgehend Amy, Trish, Jay und Cole von den Vorkommnissen der Nacht, denn obwohl die vier natürlich ebenfalls den Alarm gehört hatten, wussten sie nichts von unserem nächtlichen Besucher und dem Besuch bei Anthony und Henrys anderen Mitbewohnern.

Verständlicherweise reagierten unsere Freunde sehr geschockt und ich versprach, ihnen in der Pause oder nach der Schule die verkohlte Stelle an der Wand zu zeigen. Ich teilte auch meine Vermutung mit, Noah könnte Henry angestiftet haben und die anderen stimmten mir zu, dass es gar nicht unwahrscheinlich war, dass der Junge aus dem mittleren Jahrgang nicht der einzige Verbündete von Sams und Milas Mörder sein könnte.

Wir hätten uns mit Sicherheit noch ewig darüber unterhalten können, was wir vermuteten und welche Sorgen wir angesichts der neuen Entwicklungen hatten, doch die Zeit drängte und wir mussten langsam zur ersten Stunde aufbrechen. Als ich mein Tablett gerade weggebracht hatte und mich schwungvoll umdrehte, stieß ich beinahe mit jemandem zusammen.

„Huch, Entschuldigung", ich wich knapp aus und sah zu meinem Gegenüber nach oben. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich Will, der mich aus seinen hellbraunen, beinahe schon gelben, Augen kühl anblickte. Seine schulterlangen, schwarzen Haare, die er sonst immer offen trug, waren in einen festen Dutt gezogen, der zwar weder besonders gut, noch besonders schlecht aussah, aber den Gesamteindruck völlig veränderte.

„Oh wow, neue Frisur", merkte ich an, „sieht gut aus."

Will entgegnete nichts, sondern sah mich nur weiter unverwandt an, jetzt mit einem kleinen Funken Verständnislosigkeit in seinem Blick. Er schob sich an mir vorbei und stellte ebenfalls sein Tablett ab. Ich war schon drauf und dran, zu gehen, als er doch noch zu sprechen begann.

„Du hättest es verhindern können", sagte er mit seiner tiefen, harten Stimme, die trotz dieses einfaches Satzes einen leicht gruseligen Unterton hatte.

„Naja, wir sind ja immerhin nicht zusammengestoßen", korrigierte ich gutmütig, „das werte ich mal als Erfolg."

„Deine tote Freundin", unterbrach mich Will unwirsch und drehte sich zu mir um, „die blonde. Es hätte nicht so laufen müssen."

Mit diesen Worten ließ er mich einfach stehen, schob sich an mir vorbei und verschwand in Windeseile aus der Kantine. Man sollte meinen, dass jemand wie Will, der einen unverkennbaren Ruf an der Schule hatte und außerdem sehr groß war, jedem schon von Weitem auffallen müsste, doch Will war Meister darin, plötzlich aufzutauchen und wieder zu verschwinden, wann immer es ihm beliebte.

Mein Gehirn war jedoch bei dem stehen geblieben, was er gesagt hatte. Ich hätte Milas Tod verhindern können? Aber wie denn? Dass sie hatte sterben müssen war schrecklich und ich wünschte, es wäre nicht so, aber ich sah keine Möglichkeit, wie ich den Lauf der Dinge hätte ändern können.

FeuertodWhere stories live. Discover now