XII

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Die erzwungene Untätigkeit und das Gefühl, etwas zu wissen und nichts tun zu können, machten mich schier wahnsinnig. Ich lief an jedem Tag mindestens einmal zu Mrs. Walsh und fragte sie nach Neuigkeiten zu Maddy und Noah.

Meine ehemalige beste Freundin war mittlerweile tatsächlich von ihren Eltern als vermisst gemeldet worden, das war in den Nachrichten gekommen und kursierte auch in den sozialen Netzwerken, sodass ich es auch ohne die Schulleiterin erfuhr. Ihre Eltern hatten sich auch an die meinen gewandt, die wiederum mich gefragt hatten, ob ich etwas wusste, doch ich hatte verneint. Natürlich hätte ich sagen können, dass Noah der Entführer war, doch bis auf Wills Vision hatte ich keinerlei Beweise und selbst wenn meine und Maddys Eltern einem Jugendlichen mit glühend gelben Augen vielleicht geglaubt hätten, wenn er von Visionen und Sehern erzählte, so würde die Polizei uns höchstens für verrückt erklären.

Noahs Eltern, die Mrs. Walsh sofort mit den Neuigkeiten versorgt und um Hilfe gebeten hatte, waren ähnlich ahnungslos wie wir. Sie wussten nicht, wo sich ihr Sohn aufhielt oder wo er sich verstecken könnte, versicherten jedoch, sich unverzüglich an Mrs. Walsh zu wenden, sollten sie etwas erfahren.

Es war zum Haare raufen. Natürlich merkten auch meine Freunde, wie sehr mich die Geschehnisse beschäftigten und ich hatte ihnen selbstverständlich auch sofort von all den Neuigkeiten erzählt. Die Direktorin hatte mir glaubhaft erklärt, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass sich die mögliche Zukunft dadurch verändern würde, dass ich meine engsten Freunde einweihte. Auf die ‚neue' fünfte Art hatten sie ähnlich verblüfft reagiert wie ich und mich mit Fragen bombardiert, die ich kaum beantworten konnte.

Auch bemühte ich mich seit der Unterhaltung mit ihm und Mrs. Walsh jetzt mehr um Will. Er blieb generell zwar lieber für sich, saß beim Essen freiwillig alleine und machte sich nichts aus gemeinsamen Aktivitäten, doch ich stellte sicher, ihm immer mal wieder mitzuteilen, dass er bei uns gerne willkommen war. Vielleicht würde das ja mit der Zeit werden, denn Freundschaften oder Sympathien brauchten immer Zeit und der Schwarzhaarige schien noch langsamer aufzutauen als andere Menschen.

Womöglich war es für ihn einfach ungewohnt und neu, dass sich jemand hier auf Arcalia um ihn bemühte, hatte er doch Anfang an einen ziemlichen unschönen Ruf gehabt. Und wenn er noch etwas Zeit brauchte, um sich mit dem Gedanken, Freunde zu gewinnen, anzufreunden, dann war das auch völlig in Ordnung.

Obwohl es mein letztes Jahr auf Arcalia war und ich mich eigentlich auf die Schule konzentrieren sollte, um einen guten Abschluss hinzukriegen, fiel es mir schwer, mich auf den Unterricht zu fokussieren. Meine Gedanken kreisten eigentlich konstant um Noah und nun auch um Maddy, um die ich mir große Sorgen machten.
Dass Noah ausgerechnet sie und nicht irgendjemand anderen entführt hatte, bewies mir jedoch, dass sich sein Ärger persönlich gegen mich zu richten schien. Ob es etwas mit meinem Element zu tun hatte, was sehr naheliegend war, oder wegen etwas völlig anderem wusste ich nicht. Ich konnte mir auch nicht erklären, weshalb er Maddy gekidnappt hatte beziehungsweise, was er sich davon versprach.

Er hatte keinerlei Forderungen gestellt und sich auch sonst nicht gemeldet, um uns zu drohen. Er setzte Maddy nicht als Druckmittel ein und genau das war es, was mich noch viel nervöser machte, als ich es sowieso schon war. Ich hatte absolut keine Ahnung, was sein nächster Schachzug sein würde und keinen Anhaltspunkt darauf, was in ihm vorging.

Amy riss mich aus meinen Gedanken, als sie sich in den Bibliothekssessel neben mir fallen ließ, einen Stapel an dünnen Heften in DinA-4 Größe in den Armen. Wir hatten uns an diesem freien Freitagnachmittag gemeinsam in die Bibliothek gesetzt, um ein wenig zu stöbern und nebenbei noch Nachschlagwerke für Amys Englischreferat zu finden.

„So, da bin ich wieder", die Schwarzhaarige bedachte mich mit einem langen Blick und blätterte dann durch die Hefte auf ihrem Schoß, „du bist in den letzten Tagen so still und nachdenklich und das verstehe ich auch, aber trotzdem musst du mal auf andere Gedanken kommen, deswegen..." – sie legte mir eines der Hefte auf den Schoß – „Tada!"

FeuertodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt