💕19💕Geheimnisse unter Geschwistern

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🧭POV. Jiang Jia Hao (江家豪)

Ich starrte für einen Moment an die weiße Wand, dann wieder zu dem Krankenbett.

Die Decke erzitterte leicht über dem schmächtigen Körper und ich riss besorgt die Augen auf. "Ist dir kalt?"

Sie bemühte sich zu einem leichten Lächeln und schaute mich mit einem belustigten Funkeln in den Augen an. Wie konnte sie sich in ihrer Verfassung immernoch über meine Besorgnis amüsieren?

"Mir geht es gut.", beschwichtigte Māma, aber die eingefallenen Wangen und die blasse Haut waren deutlich zu erkennen. Es schmerzte mich, sie in so einer Verfassung zu sehen und dass ich nichts daran ändern konnte, außer bei ihr zu sein.

"Aber ganz offensichtlich beschäftigt dich etwas ganz anderes." Sie schaute mich interessiert an und hatte den Impuls, sich aufzurichten, bis ihr Gesicht sich vor Schmerzen verzog und ihr Kopf wieder auf das Kissen sackte. Ich griff nach ihrer Hand und hatte ihre Worte bereits vergessen. Jedoch nur bis sie weiter nachstocherte.

"Was ist passiert, hm? Du wirkst so abwesend." 

"Ach, es ist wegen Jiěmèi [Schwester]." 

Eine normale Mutter hätte es dabei belassen und gefragt, was ihre Tochter jetzt schon wieder angestellt hat, aber nicht meine Māma. Ihre Sinne waren unnatürlich scharf.

"Bist du dir sicher?"

"Naja, es ist auch wegen Jiěmèi [Schwester]"

Mit der wagen Aussage schien sie sich immernoch nicht zufrieden zu geben, denn sie hob erwartungsvoll die Augenbrauen an.

"Es ist wegen Ren Hai Zhen.", nuschelte ich und verdammte mich gerade selbst dafür, dass ich nicht einfach die Klappe halten konnte.

Natürlich wusste Māma sofort, wer Ren Hai Zhen war und ihr Blick wurde mitleidig.

"Oh dieses arme Mädchen musste so viel durchmachen. Erst trennen sich ihre Eltern und der Kontakt zu ihrer Mutter bricht komplett ab und dann begeht ihr Bruder auch noch Selbstmord."

Ich zuckte bei den Worten zusammen und sofort zog sie meine Hand zu sich und meinte reuevoll:"Tut mir leid, ich hab mich gerade nur zurück erinnert, ich hätte das nicht laut sagen sollen. Natürlich weißt du, was passiert ist."

...ja, das wusste ich nur zu gut.

Ich schaute abwesend auf die Bettdecke und konnte mich nicht dazu bringen, ihr in die Augen zu schauen.

"Hast du sie wiedergesehen?"

Ich nickte stumm.

"Und?"

Was sollte ich darauf sagen?

"Magst du sie immernoch?", hakte sie weiter nach und ließ nicht locker. Bei sowas war Māma erbarmungslos. Ich wusste sie tat das nicht aus Neugierde, sondern einzig und allein, damit  ich selbst herausfand, wie ich zu einer Sache stand - in diesem Fall zu Ren Hai Zhen.

"Mögen ist das falsche Wort.", stieß ich beinahe verächtlich hervor und trotz ihrer scharfen Sinne verstand sie mich dieses Mal falsch.

Ich glaube sie dachte ich würde Ren Hai Zhen hassen.

"Du gehst doch sowieso auf eine andere Schule, so schwer kann es doch nicht sein, ihr aus dem Weg zu gehen."

Ich hob einen Mundwinkel an und sah ihr wieder in die Augen, dann nickte ich langsam.

Ja, was genau war so schwer daran, ihr aus dem Weg zu gehen? Ich musste zwar den halben Tag an sie denken und selbst in den Träumen ließ sie mir keine Ruhe, aber das bedeutete noch lange nicht, dass ich sie wirklich sehen musste.

"Xièxie [Danke]  Māma." Ich hauchte meine Lippen kurz gegen ihre Stirn und drückte sie so gut es mir in dieser Position möglich war, an mich. "Ich sollte jetzt gehen."

"Ich bin so stolz auf dich, das weißt du, ja?", murmelte sie und hüstelte daraufhin kränklich. Bei dem Geräusch zog sich mein Herz zusammen und ich nickte. "Ich weiß."

🧭🧭🧭🧭🧭🧭🧭🧭🧭🧭🧭

Ich fuhr den Wagen in die Garage und suchte dann im ganzen Haus nach Jiang Yi Xiu. Sie müsste schon längst zuhause sein, selbst mit Taxi. Ich suchte überall, auch in ihrem Badezimmer, aber alles was ich fand, war ihr Rucksack auf dem Schreibtischstuhl. Sie musste also schon hier gewesen sein.

Als ich in jedem einzelnen Raum nachgeschaut hatte und sie nirgends zu finden war, eilte ich durch den Garten über den Rasen zu dem Häuschen daneben. In dem Häuschen befand sich der Pool und in dem Pool befand sich tatsächlich Jiang Yi Xiu.

"Man, kannst du nicht wenigstens eine Nachricht schreiben, wenn du nach Hause kommst?" Meine Stimme hallte durch den Raum und vermischte sich mit ihrem Geplatsche. Ihr Gesicht war unter Wasser, aber meine Worte sollten laut genug sein, dass sie sie hören konnte. Und trotzdem reagierte sie nicht und schwamm weiter. "Hallo!"

Ich trat näher zu ihr und hätte sie am liebsten aus dem Wasser gezerrt.

Dann bemerkte ich aber die Kopfhörer in ihrem Ohr und verdrehte die Augen. Ich konnte so laut schreien wie ich wollte.

Kurz stand ich unentschlossen am Beckenrand, verließ dann aber das Häuschen und holte mir aus meinem Zimmer eine Badehose.

Keine 10 Minuten später hechtete ich in das kalte Wasser zu ihr und bekam so endlich ihre Aufmerksamkeit. Jiang Yi Xiu schwamm zum Beckenrand und zog die Kopfhörer aus den Ohren. "Ich dachte wirklich, ich könnte nie mehr schwimmen, nachdem was mit Ren Xiang passiert ist." Seit über einem halben Jahr hatte ich seinen Namen nicht mehr aus ihrem Mund gehört.

"Genau darüber muss ich mit dir reden.", erwiderte ich.

Sie zog sich mit den Ellenbogen am Beckenrand ein Stück weit hoch und schaute mich belustigt an, aber ich sah hinter die Fassade, die wirklich gute Arbeit leistete, ihre Verwirrung und ihren Schmerz zu verhüllen.

"Wir sollten darüber reden, was passiert ist.", erklärte ich und dachte daran, dass wir Ren Xiang seit jenem Tag nicht einmal am Rande erwähnten.

"Was gibt es da zu reden? Er ist tot." Ihre Stimme klang trocken und sie schluckte unmerklich. Und dann dachte ich, wie traurig es eigentlich war, dass sie nie ihre Gefühle zeigte und immer versuchte, die Starke von uns beiden zu sein. Nicht, dass sie in Wahrheit schwächer war als ich, aber ich wusste ganz genau, dass Ren Xiangs Tod sie nicht einfach kalt ließ. Ganz im Gegenteil. Und auch Ren Hai Zhen konnte ihr nicht egal sein, ganz gleich was sie ihr in meiner Abwesenheit alles angetan hatte.

Ich schwamm zu ihr an den Beckenrand und stützte mich direkt neben ihr ab.

"Es tut mir leid, dass ich nach Australien gegangen bin."

"Es war doch nicht deine Schuld, Bàba [Papa] hat dich dazu gezwungen.", murrte sie und schlug meine Entschuldigung ab.

"Trotzdem hast du mich gebraucht...und ich hab dich gebraucht.", fuhr ich fort und sie verdrehte gespielt genervt die Augen. 

"Komm her kleiner Bruder." Sie legte einen Arm um meine Schulter und zog mich ruckartig an sich.

"Versprich mir, dass du Ren Hai Zhen in Ruhe lässt.", murmelte ich leise und sie seufzte, gab aber nach.

"Nur solange du ihr aus dem Weg gehst.", stellte sie als Gegenbedingung. "Ich weiß du magst sie immernoch, kleiner Bruder, aber sie darf niemals die Wahrheit erfahren. Wenn sie die Wahrheit über ihren Bruder erfährt, sind wir fällig."

Sie hatte recht, Ren Hai Zhen durfte niemals erfahren, was am Tag des Todes ihres Bruders wirklich abgelaufen ist und genau aus dem Grund musste ich mich aus ihrem Leben fernhalten.

⚡Underdogs⚡Where stories live. Discover now