Kapitel 30

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Mein Blick war eine einzige Warnung.

Er würde es nicht wagen, mich aufzufordern. Ich starrte ihn an, zeigte ihm, was ich nicht sagen durfte und trotzdem streckte er mir seine Hand entgegen.

Das war doch wohl nicht sein Ernst!? Er verlangte doch nicht wirklich von mir, dass ich mit ihm tanzte!?
Ich sah mich um, viele Blicke lagen auf ihm, manche auf mir, wie zum Beispiel seiner. Er sah mich unverwandt an, in seinen Augen eine Bitte.

Pff, die konnte er sich sonst wo hinschieben. Ich würde nämlich ganz sicher nicht mit ihm tanzen!

Ich wollte mich abwenden, ihn ganz öffentlich bloß stellen, so wie er mich, doch ich hatte mich halb umgedreht, da traf mein Blick auf die Augen meiner Mutter.

Sofort wandte ich mich wieder um. Sah ihn wütend an. Wütend darüber, dass er mir keine andere Wahl ließ, wütend darüber, dass ich es tun musste. Und dann legte ich meine Hand unsanft in seine und zischte so leise wie möglich "du hast Glück, dass meine Mutter anwesend ist"

Statt des schelmischen Grinsens, das ich eigentlich als Reaktion erwartet hatte, schluckte er nur, wandte sich von mir ab und führte mich zur Mitte der Tanzfläche.

Hätte meine Mutter nicht so viel Anstand gehabt, wie es nun einmal der Fall war, hätte sie wahrscheinlich lauthals gejubelt.

Während ich neben Prinz Thomas zur Mitte der Tanzfläche schritt, fiel mein Blick auf die Königin. Sie lächelte mir aufmunternd zu, die Hände vor ihrer, mit dunkelblauen Pailletten verzierten, Brust verschränkt.

Ich nickte ihr zu und sie erwiderte. Ich mochte sie. Und es schien, als wäre ich ihr auch  nicht allzu unsympathisch. Eine außerordentlich gute Idee. Von wegen.

Wir erreichten die Mitte und Prinz Thomas drehte mich zu sich herum. Die Blicke der anderen Mädchen brannten sich in meinen Rücken und ich war mir ziemlich sicher, dass ich den Prinzen mit dem gleichen Blick betrachtete, wie die anderen mich. Zögernd legte er eine Hand auf meine Hüfte.
Ich hingegen ließ meinen Arm schon mehr als ruppig auf seinen fallen, die Augen gelangweilt in die Ferne gerichtet.

"Du siehst wunderschön aus."

Ich schenkte ihm einen herablassenden Blick. "Nicht deinetwegen."

Das Orchester begann zu spielen und wir tanzten.
Es war nicht sonderlich schwer, sich auf den Tanz einzulassen. Es war wieder ein einfacher Walzer, langsam und innig, ein perfekt romantischer Auftakt. Er drückte mich an sich, führte - deutlich sanfter als das letzte Mal - und sein Duft stieg mir in die Nase.
Seine langen warmen Finger schmiegten sich um meine Hand, sacht und leicht, als hätte er nie etwas Wertvolleres und Zerbrechlicheres berührt.

All das brachte die Wut in meinem Inneren wieder dazu, hochzukochen. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht geschrien, er solle mich gefälligst in Ruhe lassen, sich eine andere aussuchen. Ich versteifte mich, meine gesamte Konzentration darauf gerichtet, ihn nicht von mir zu stoßen, als es passierte - ich trat ihm auf den Fuß. Und es tat mir nicht einmal leid.

"Entschuldigt", sagte ich, aber mein Tonfall sprach Bände.

Er schüttelte nur den Kopf und tanzte weiter, als wäre nichts gewesen. Dann seufzte er. "Ash?"

"Nenn mich verdammt nochmal nicht so", zischte ich wütend, den Blick noch immer über seine Schulter gerichtet.

"Wie soll ich dich denn sonst nennen?" Er klang leicht genervt.

"Nun, wie wäre es, wenn wir zum offiziellen Titel zurückgehen." Ich sah ihm in die Augen. "Eure Hoheit."

"Ash, das ist doch albern."

"So, ist es das?"

"Ja."

"Ich sehe das anders."

Wieder seufzte er und schloss für einen Moment die Augen, was mir die Möglichkeit gab, ihn genauer zu betrachten.
Jetzt aus der Nähe konnte ich die leichten, unter einer dünnen Schicht Puder versteckten Augenringe erkennen. Er schien die letzten Nächte wenig geschlafen zu haben.
Genauso wie ich auch. Wozu also Mitleid heucheln?

"Es tut mir leid."

"Schön."

Sein Blick traf mich so unvermittelt und so klar, dass es mir kurz die Sprache verschlug. "Du willst es mich aber auch nicht erklären lassen, oder?"

Meine Augen verengten sich wieder. "Du hattest mehr als genug Zeit, die Sache zu erklären. Du hast es nicht getan."

"Wie hätte ich das denn tun sollen? Wir haben uns ja nicht gesehen!"

"Wäre es dir wirklich wichtig gewesen, hättest du einen Weg gefunden."

Wir funkelten uns beide an. Dabei bemerkten wir gar nicht, wie wir stehen blieben. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Königin ihren Mann anstupste, welcher daraufhin jemandem ein Zeichen gab.

Da ertönte auch schon die Stimme: "Fühlen Sie sich willkommen, die Tanzfläche mit der königlichen Familie zu teilen."

Die feste Stimme des Sprechers holte mich und ihn wieder zurück ins Hier und Jetzt. Er begann wieder, sich im Takt der Musik zu bewegen und ich fügte mich widerwillig.
Die Tanzfläche um uns begann sich allmählich zu füllen, sodass wir etwas enger zusammenrücken mussten, um die anderen Paare nicht anzustoßen.

So weit zusammenrücken, dass sein Kopf neben meinem schwebte. Leise, damit es niemand anderes hörte, flüsterte er: "Du bist mir wirklich wichtig, Ash."

"Und wo warst du dann?" Wisperte ich und all meine Wut verflog. Ich merkte sein Unverständnis.

"Wo warst du, als Harrison mich einfach geküsst hat? Wo warst du, als er mich nicht losgelassen hat? Du warst mit meiner Freundin im Gang und hast mit ihr rumgemacht, du Ar-" Ich konnte mir die Beleidigung nur knapp verkneifen und während meine Stimme bei den ersten Sätzen zittrig und leise gewesen war, war der letzte Satz wieder Wut erfüllt.

"Ich hab doch gar nicht-" fing Tom, äh, Prinz Thomas natürlich, wieder an, brach dann aber ab.

"Er hat was getan?" Es musste ihn sehr viel Kraft kosten, die Stimme nicht zu erheben. Anscheinend traf ihn diese Information vollkommen unvorbereitet.

Er ließ mich los, sah mich ungläubig an und dann griff er nach meiner Hand und zog mich einfach aus der Menge.
Unzählige Blicke streiften uns, während der Prinz mich von der Tanzflächen führte, hinaus auf den Balkon, der gerade menschenleer war.

Er zog mich bis zum Rand, ließ mich dann los, stütze beide Hände auf der Brüstung ab, ließ den Kopf hängen und atmete ein paar Mal hörbar ein und aus.
Dann sah er mich wieder an. Sein Blick war... schwer zu deuten. Es schien als wäre er sauer, enttäuscht.

"Was genau hat er getan?", er sprach angestrengt zwischen zusammen gebissenen Zähnen.

"Er hat mich massiert" rief ich mir wieder in Erinnerung.
Es war unangenehm, die Situation noch einmal durch zugehen und das hörte man mir auch deutlich an.
"Und dann bin ich weg gegangen, weil mir klar geworden ist, dass er mehr will und er ist mir hinter hergekommen, er hat seinen Arm um mich gelegt und dann hat er mich geküsst", erzählte ich und während ich sprach schien es als würde es in ihm immer mehr zu brodeln anfangen.

Dann drehte er sich um und wollte Richtung Saal zurück gehen. Seine Fäuste waren geballt, seine Schultern angespannt und sein Wangenknochen trat deutlich hervor.

Mir kam es vor als würde sich ein Schalter in mir umlegen. Da ließ ich mir einfach von ihm weg ziehen, obwohl er absolut kein Recht dazu hatte, erzählte ihm, was passiert war und jetzt drehte er sich um und wollte gehen? War ich wirklich eine von denen, die das mit sich machen ließen?

"Ja, geh nur, weg gehen kannst du ja besonders gut"

Und die Nachtigall singt | Tom Holland ffWhere stories live. Discover now