Kapitel 5

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"Los komm, noch ein Lied!" Alexander schloss den Arm etwas fester um mich. Ich lachte ausgelassen.

"Nein, ich kann echt nicht mehr. Das hier ist schließlich erst dein zweiter Tanz. Ich, persönlich, habe bei Nummer acht aufgehört zu zählen."

"Wenn du mir versprichst wieder zu kommen, dann lass ich dich gehen!"

"Versprochen." Ich sah ihm tief in die Augen und lächelte ihn an.

"Na dann bis nachher." Und mit diesen Worten, lies er mich los und wandte sich von mir ab.

Mit einem Grinsen im Gesicht - man sollte auf's Lügen nicht stolz sein, aber ich war es trotzdem - sah ich mich im Saal um. Daphne tanzte gerade, aber Victoria und Layla standen am Rand und unterhielten sich. Ich machte mich auf den Weg zu ihnen, ein festes Ziel im Kopf.

"Zeit sich weg zu schleichen, oder Mädels?" Ich lächelte sie verschwörerisch an, doch in ihren Mienen blitzte kein Funke von Interesse auf, eher etwas Entschuldigendes.

"Ash, ich bleibe noch hier, vielleicht will der Prinz noch mit mir Tanzen. Das kann ich mir nicht entgehen lassen." Victoria sah mich zerknirscht an.

"Gut, und du Layla? Du hast doch schon mit ihm getanzt."

"Eine zweite Chance bekommt man auch nur einmal, sorry Ash", redete sie sich raus.

"Gut, dann bleibt gern hier stehen, steif wie Brokkoli und wartet darauf, dass jemand anderes euer Leben in die Hand nimmt."

Ja, ich war etwas zickig, aber zu recht, oder nicht?!
Auf dem Weg zu der unauffälligen Tür, die halb hinter einem Vorhang versteckt war, griff ich noch nach einem Sektglas und ließ meinen Blick einmal durch den Raum streifen. Niemand schenkte mir Beachtung.

Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich drückte die Tür auf. Als mich die Dunkelheit dahinter verschluckte, begann alles in mir zu kribbeln. Ich liebte den Garten mit seinen vielen, exotischen Blumen, den künstlich angelegten Bächen und dem stetigen Gefühl der Freiheit, das einen in diesen hohen Gemäuern schon einmal verlassen konnte. Und dabei lebte ich noch nicht einmal hier.

Mein Orientierungssinn ließ mich auch dieses Mal nicht im Stich. Ohne den Hauch eines Lichtschein schaffte ich es, durch die etwas wirren Gänge zu laufen, ohne irgendwo anzustoßen, und schließlich öffnete ich eine weitere, schwere Holztür, die mich endlich in die Freiheit entließ.

Einen Moment stand ich einfach nur da und genoss das Gefühl des kühlen Windes auf meiner Haut, der weiche Stoffe meines Kleides, der um meine Beine strich. Es dauerte nicht lang, da hatte ich meine Schuhe ausgezogen und an den Riemen gepackt. In der einen Hand die Schuhe, in der anderen Hand das Glas Sekt wanderte ich durch das schier unendlich scheinende Grün. Der Mond über mir glitzerte bereits am Himmel und auf dem leise vor sich hinplätschernden Wasser des Baches neben mir.

Irgendwo zwitscherte eine Nachtigall, man hörte Froschgesang und Grillengezirpe - ein angenehmer Kontrast zum ständigen Klang der Streichinstrumente des Orchesters. Ich verlor mich im Anblick der vielen verschiedenen Blüten, die sich mir, so herrlich duftend wie nirgendwo sonst, entgegenstreckten. Meine Finger fuhren sanft über die Blütenblätter einer blassrosa Pfingstrose und es juckte mich in den Fingern, sie an mich zu nehmen. Aber das wäre doch zu schade, sagte ich mir, nippte einmal an meinem Sekt und ging weiter.

Hinter einem riesigen, prachtvollen Rosenbusch blieb ich stehen und spähte durch die vereinzelten Blätter und Blüten hinauf zum Balkon. Ich war schon recht weit gelaufen, daher konnte ich nur schemenhafte Umrisse erkennen. Doch die kurzen Haare und der blaue Anzug waren unverwechselbar. Lillian stand gegen die Brüstung gelehnt, anscheinend etwas in der Hand haltend, und sah in die Ferne. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber sie schien mir äußerst angespannt, unzufrieden.

Leise seufzte ich. Es war einfach nicht fair. Wieso konnte sie nicht einfach glücklich sein, wie jedes andere Mädchen auch? Ich hatte Lillian vorhin nicht gefunden, doch jetzt beschloss ich, sie zu holen. Ihr würde ein Spaziergang durch die befreiende Natur des königlichen Gartens sicher gut tun!

Ich drehte mich um und wollte gerade zurück zum Eingang laufen, als ich prompt mit jemandem zusammenstieß. Ich stolperte und fiel nach hinten, doch eine Hand an meinem Arm hielt mich davon ab, hinzufallen.

"Nicht so stürmisch! Sonst tun Sie sich noch etwas!"
Prinz Thomas stand vor mir, meine Hand in seiner. Ich zog sie zurück.

"Vielen Dank, Prinz", sagte ich so kühl und doch höflich wie ich konnte. Alles in mir sträubte sich gegen ihn.

"Sie wissen aber schon, dass sie nicht hier sein dürften?" Er klang ein bissen angespannt und ein bisschen... genervt?!

"Aber Sie schon oder wie?", schoss ich zurück.

"Als Prinz darf man sich schon ein bisschen mehr raus nehmen, als die einfache Tochter eines Beraters."

"Wie bitte?" Ich verschränkte meine Arme vor der Brust. "Die einfache Tochter eines Beraters? Wenn ich mich nicht irre, ist mein Vater einer der wichtigsten Berater des Königs, der, meines Wissens nach, ihr Vater ist."

"Das gibt ihnen trotzdem nicht das Recht sich hier auf zu halten."

"Und was wollen Sie jetzt machen? Mich zurück zum Schloss schleifen?"

"Eigentlich wollte ich Sie lieb bitten und Ihnen dann meine Gesellschaft anbieten, aber..."

Ich schüttelte den Kopf. "Das ist doch lächerlich. Ich schleiche mich auf fast jedem Ball weg. Ich werde-"

"Tatsächlich?" Seine unerklärliche Wut schien genauso plötzlich verraucht, wie gekommen zu sein und er sah mich interessiert an.

"Ja." Ich probierte nicht pampig zu klingen und zuckte mit den Schultern.

"Wieso?"

"Wieso sind Sie gerade hier draußen?"

"Ich fliehe vor der Horde an Mädchen", gab er ehrlich zu. "Und Sie? Wovor fliehen Sie?"

"Wovor nicht?" Ich lachte trocken auf. "Nein, ich entgehe nur den strengen,  erwartungsvollen Blicken meiner Mutter."

Ich weiß nicht, wann wir uns in Bewegung gesetzt hatten, doch jetzt schlenderten wir, ganz langsam, in die entgegen gesetzte Richtung des Schlosses. Egal wohin, nur weg.

"Und wieso blickt ihre Mutter sie erwartungsvoll an?"

"Ach, da ist nur dieser Prinz und der soll sich jetzt eine Frau aussuchen  und natürlich sollte ich wenigstens versuchen  ihm schöne Augen zu machen, aber diese ganze Fleischbeschauung widert mich an."

"Mich auch", murmelt er leise.

"Haben Sie denn schon eine im Blick? Immerhin können Sie schon die Namen."

"Nein." Ich dachte, er würde noch mehr sagen,  aber das Schweigen dehnte sich aus. Es war gar nicht so unangenehm. Nur ... still.

Die Nachtigall fing wieder an und ich lauschte dem wunderschönen Gesang.

"Wie heißt es noch mal in Romeo und Julia? Mit der Nachtigall und der Lärche."

Er blieb stehen und ich tat es ihm nach, drehte mich fragend zu ihm um. Er sah mich an, sah mir direkt in die Augen und griff dann vorsichtig nach meiner Hand.

"Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern.
Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche,
Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang;
Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
Glaub', Liebster mir, es war die Nachtigall.
Drum bleibe noch,
zu gehn ist noch nicht Not."

Er  zitierte diese Zeilen mit so weicher Stimme und doch so voll Inbrunst, dass irgendwas in meinem Bauch anfing zu flattern. Ganz leicht, aber es war da.

Und die Nachtigall singt | Tom Holland ffWhere stories live. Discover now