Demo in Berlin II

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»Also studierst du nur, um den Staat zu stürzen?«, grinste Fede.

»Also zu allererst ist Studieren eh die beste Begründung um jeden Tag zu saufen«, lachte Levio. »Aber Staat stürzen is schon ne sehr geile Sache.«

»Feuchte Träume von allen Linken oder so«, grinste ich.

»Ey, an deiner Stelle wär ich mal ganz leise.« Er hob die Augenbrauen.

»Wieso?«

»Was für Staat stürzen, jetzt auf einmal? Ich mein, mir geht's jetzt nicht darum, Deutschland scheiße zu finden, sondern Staaten an sich. Und zwar alle, egal, wie sozialistisch und was weiß ich die daher kommen. Weißte, ansonsten laberst du mir immer einen von bla bla ich halt nichts von politischen Utopien, bla bla bleib mir weg mit Anarchismus und jetzt kommst du damit«, lachte Levio kopfschüttelnd und trank einen tiefen Schluck.

»Hey, so hab ich das nicht gesagt!«, stellte ich klar. »Ich hab mich nur zu wenig damit beschäftigt, um mich als Anarchist bezeichnen zu können. Ich finds grundsätzlich voll vernünftig.«

»Ich mach dich schon noch zum Anarcho«, grinste er und boxte gegen meine Schulter. In seiner Stimme lag ein leichtes Lallen. »Ich mein, wir haben die ganzen Konzepte, die du geil findest. Direkte Aktion, Aneignung von Produktionsmitteln und Sabotage. 'n Scheißdreck is das Utopie, es sind einfach klare Antworten für'n Weg aus dieser Krise.«

»Also jetzt mal 'ne ernstgemeinte Frage«, meinte Fede und sah Levio an. »Auch wenn ich mir vorstellen kann, dass die immer jeder stellt und deswegen harter Abfuck ist.«

»Ja, hau raus.«

»Aber wie stellst du dir eine Welt vor, in der gar keine Regeln und Gesetze mehr gelten?« Fede klang ziemlich interessiert und ließ seinen Blick auf Levio ruhen. »Das ist doch das, was Anarchismus bedeutet, auch wenn ich davon nicht so den Plan hab. Kein Staat, keine Herrschaft, keine Autorität.«

»Is doch einfach natürlich, Alter. In deiner Familie oder deinem Freundeskreis isses doch auch nich so, dass es da Gesetze gibt und wehe, du verstößt dagegen, dann wirst du bestraft. Das klingt doch schon super toxisch. Und es funktioniert eben ohne Gesetze. Es ist ganz normal, dass es funktioniert. Weil wir alle gleichwertig sind und ich nicht das Recht haben, über einen von euch Befehle zu geben. Ganz einfach.« Levio hob die Augenbrauen und lehnte sich zurück.

»Er hat Jay noch nicht kennengelernt«, warf der Kerl im Tanktop ein. »Der hält sich doch für den Anführer jeder Gruppe.« Er erntete Gelächter.

»Ey, Aykan, lass mein Bruder aus dem Spiel, Alter. Der's korrekt«, kam es von Maxim.

»Und du sein Fanboy, ey.«

»Warum können wir dann nicht unsere ganze Gemeinschaft so gestalten?«, fuhr Levio fort, ohne auf Fedes Antwort zu warten. »So wie hier, in der Gruppe. Und Regeln gibt's auch in anarchistischen Gesellschaften. Heißt ja nich, dass sich da jeder abmetzeln kann und es die Gemeinschaft nich juckt. Dass das keine Konsequenzen haben wird. Es gibt halt bloß keinen Staatsapparat, der die Sachen von oben herab durchdrückt, sondern jegliche Entscheidungen liegen in den Händen aller Menschen. In meinen genau wie in deinen.«

Federico hatte die Stirn in Falten gelegt, während er über Levios Worte nachdachte. Er strich über das Etikett auf seiner Bierflasche. »Ja, stimmt schon. Aber Staaten kommen ja nicht von irgendwoher, das hat sich ja alles entwickelt. Weil wir halt auch in größeren Gruppen außer Familien und Freundeskreisen agieren und es irgendwie die bisher beste Lösung war, das alles zu organisieren. Also so vom Grundprinzip her.«

»Staaten sind übertrieben pervers«, widersprach Levio und irgendwie liebte ich es, mit wieviel Leidenschaft er immer dabei war, sobald es um Anarchismus ging. »Weißt du, einfach das Ding, dass wir Menschen irgendwelche komischen Gebilde erfinden und die dann über alle eine verfickte Autorität ausüben, die null Sinn macht. Weißte, wie ich mein? Du kannst das Ding Deutschland nennen oder USA oder was auch immer, letzten Endes ist es immer ein Fantasiekonstrukt. Eines, das unser ganzes Leben bestimmt.«

Von Helden und VerlierernWhere stories live. Discover now