Der alltägliche Wahnsinn

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Triggerwarnung - Explizite Darstellung bezüglich selbstverletzendem Verhalten


Es war einer der Abende, die wie immer gleich verliefen. Durch die dünnen Wände klang die Stimme des italienischen Fernsehmoderators in unser Zimmer, überlagert von Alessias ausgelassenem Kichern. Gloria versuchte seit einer Weile erfolglos, sie ins Bett zu bringen, doch es misslang.

»Geh' jetzt schlafen, du kleine strega!«, war ihre genervte Stimme zu hören.

Polternde Schritte im Flur, wahrscheinlich versuchte Gloria unsere kleine Schwester einzufangen, die keinen Bock aufs Pennen hatte. Nur verständlich.

»Gloria, Alessia! State zitti! Papà non sta bene!«, kam es kurz darauf von meiner Mutter, dann Türenschlagen.

Ich saß auf meinem Bett und starrte vor mich hin. Es war einer dieser scheiß Tage, an denen ich gar nicht mehr klarkam. Nicht auf meinen verschissenen Kopf. An denen meine Gedanken an mir vorbeirasten und ich keinen von ihnen fassen konnte.

In solchen Momenten, in denen ich nicht mal wirklich sagen konnte, ob ich am Leben war oder nur eine verschissene leere Hülle. Klar, natürlich wusste ich, dass es mich noch irgendwie gab, dass ich atmete und so einen Bullshit, aber es fühlte sich nicht so an. Das machte mir eine verfickte Angst.

Meistens, wenn ich anfing über so einen Scheiß nachzudenken, war ich einer Panikattacke verdammt nah.

»Was is'n mit dir?«, fragte Fede mit einem Grinsen im Gesicht und stand von seinem Schreibtisch auf. Kurz warf er einen Blick auf sein Handy, ehe er es aufs Bett schmiss.

»Niente«, gab ich schulterzuckend zurück. Er sah mich einen Moment lang prüfend an.

»Alter, du starrst jetzt seit zehn verfickten Minuten einfach nur vor dich hin.«

Ich lachte. Wann war es eigentlich so einfach geworden, verdammt gut drauf zu sein, wenn es mir scheiße ging? »Lass mich halt nachdenken. Machen doch die ganzen Philosophen so.«

»Du bist Philosoph?«, grinste mein Bruder und hob die Augenbrauen.

»Ja, Mann«, grinste ich und schnappte mir eines der Bücher, die auf seinem Schreibtisch lagen. Naja, ursprünglich war es mal unserer gewesen, aber als ob ich halt so etwas wie einen Schreibtisch benutzen würde. Als ob ich halt seit der zweiten Klasse überhaupt ein einziges Mal Hausaufgaben gemacht hätte. »Und irgendwann schreib ich solche krass intelligenten Bücher. Wie dieser Lalande«, meinte ich mit Blick auf das Buch.

»Der war Astronom, kein Philosoph«, korrigierte er mich.

»Na und? Fakt ist, dass die ganzen Mädels auf seine Bücher masturbieren. Und du auch, wenn du ehrlich bist.«

»Definitiv«, grinste Fede und stopfte ein paar Sachen in seinen Rucksack. »Könnte mir keine bessere Wichsvorlage vorstellen.«

»Was wird das eigentlich?«, fragte ich ihn, während er den Schrank öffnet und sich dann einen Pullover über den Kopf zog.

»Ich geh noch zu Jay«, erklärte er mir.

»Ey, Mann, ich darf doch bestimmt mit, oder? Ist doch alles scheiße hier«, meinte ich hoffnungsvoll und war schon im Begriff aufzuspringen. Das könnte meinen Abend vielleicht retten. Mit Jay zu saufen war immer ziemlich cool.

Mein Bruder sah mich einen Moment lang an, dann schüttelte er den Kopf. »Scusa, Leonardo. Heute nicht, du musst morgen in die Schule.«

»Ja, scheiß mal drauf. Als ob's mich halt juckt.«

Von Helden und VerlierernWhere stories live. Discover now