Kapitel 25

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Marie

Am nächsten Morgen begann für mich dann wieder der Ernst des Lebens. Doch ich freute mich darauf, nun wieder regelmäßig mit meinen Mädels und meinem Kaffeebecher im Hörsaal zu sitzen und mehr oder weniger aufmerksam der Vorlesung zu folgen. Ich war neugierig, welche Fächer mir in diesem Semester gefallen würden und ob ich der Entscheidung, in welche Fachrichtung ich später einmal gehen will, wohl näherkommen würde.
So saß ich also an diesem Montagmorgen um 8.30 Uhr zum ersten Mal seit fast drei Monaten wieder auf meinem Lieblingsplatz in der letzten Reihe des Hörsaals zwischen Lena, Hannah und Sophia und versuchte, den Ausführungen des Dozenten zu folgen. Und entgegen meiner Erwartungen konnte ich mich sogar recht gut auf die Vorlesung konzentrieren und dachte nicht ständig nur an Wincent.
Aber natürlich musste ich meinen Freundinnen versprechen, später in der Pause noch von meinem restlichen Wochenende zu erzählen. Mittlerweile wussten sie auch alle, dass hinter dem ‚Geschenk‘ mehr steckte. Scheinbar waren unsere Blicke am Samstagabend nicht unbemerkt geblieben, denn Hannah fragte direkt, was denn noch zwischen uns gelaufen war. Ich erzählte ihnen also, was passiert war, als wir später allein waren. Dass wir uns geküsst hatten und er bei mir auf der Couch übernachtet hatte. Ich erklärte ihnen aber auch, dass wir es langsam angehen lassen wollten und bat sie, das alles vorerst für sich zu behalten. Denn ich wollte nicht, dass irgendwas an die Öffentlichkeit geriet, bevor ich nicht wenigstens mit Wincent darüber geredet hatte und wir uns sicher waren, wo das mit uns hinführte.
Die ersten zwei Semesterwochen vergingen noch relativ entspannt und wir hatten noch nicht so viel zu tun, was wir natürlich auch voll ausnutzten. Wir nutzten die letzten warmen Sonnenstrahlen im Park, gingen abends in kleiner oder größerer Runde in unsere Lieblingsbar und machten auf den ersten Partys zum Semesterbeginn die Nacht zum Tag. Kurzum: wir genossen das Studentenleben in vollen Zügen, bevor wir bald wieder Berge an Lernstoff zu bewältigen hatten. Es war also der typische Semesterstart.
Und doch war es dieses Mal irgendwie anders. Denn plötzlich gab es neben meiner Familie und meinen Freunden noch jemanden in meinem Leben, der mir wichtig war. Plötzlich gab es noch jemanden, der sich dafür interessierte, wie es mir ging und wie mein Tag war. Wincent und ich schrieben täglich miteinander und versuchten auch so oft wie möglich zu telefonieren oder facetimen. Nachdem er sich jedes Mal nach meinem Unialltag erkundigte, erzählte er mir, wie die Tourproben so liefen und welche Streiche sie sich gegenseitig spielten. Wenn ich ihm da immer so zuhörte, musste ich jedes Mal lachen und bekam doch Lust, da irgendwann auch mal dabei zu sein. Seine Band schien eine echt lustige Truppe zu sein. Doch trotz der regelmäßigen Telefonate musste ich auch zugeben, dass ich ihn vermisste. Zwar nicht so, wie in der Zeit nach dem Konzert, denn immerhin wusste ich dieses Mal, dass ich ihn sicher wiedersehen würde. Aber ich freute mich einfach darauf, wenn er wieder vor mir stand und ich ihn wieder umarmen, durch seine Haare wuscheln und seinen Geruch tief in mich aufsaugen konnte. Umso glücklicher war ich, als er mir offenbarte, dass er mit der Band vereinbart hatte, nach zwei Wochen Probe eine kurze Pause einzulegen und mich übers Wochenende besuchen zu kommen.
 
Am Freitagmorgen kam ich mehr schlecht als recht aus dem Bett. Ich war mit meinen Mädels feiern gewesen und erst gegen 5 Uhr im Bett. Dementsprechend müde war ich, als um halb sieben der Wecker klingelte. Ich hätte zwar auch einfach liegen bleiben können, denn heute hatten wir eh nur Vorlesungen, bei denen es keine Anwesenheitspflicht gab, doch ich stand trotzdem auf und machte mich auf den Weg zur Uni. Was das anging, war ich doch ein kleiner Streber, frei nach dem Motto ‚Wer unter der Woche feiern kann, kann auch zur Uni gehen‘. Außerdem konnte ich notfalls ja im Hörsaal schlafen, falls die Vorlesung sehr langweilig werden sollte. Später gingen wir noch in der Mensa Mittag essen, bevor ich mich auf den Heimweg machte. Wincent würde eh erst gegen Abend kommen, also ging ich noch einkaufen und legte mich danach einfach noch eine Weile auf die Couch, denn ich war immer noch müde.
Ich musste dann wohl doch eingeschlafen sein, denn ich wurde durch die Klingel geweckt. Ich ging zur Tür und schaute im Vorbeigehen auf die Uhr. Es war schon fast 18.30 Uhr. Hatte ich wirklich fünf Stunden geschlafen? Immer noch nicht richtig wach öffnete ich die Tür und ließ einen glücklich lächelnden Wincent rein. Doch sein Lächeln verschwand sofort, als er mich sah: „Hey, ist alles gut bei dir? Du siehst echt scheiße aus.“ Wow. Zum Glück kannte ich ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er häufiger mal redete, ohne vorher nachzudenken. Deshalb nahm ich ihm diese Aussage auch nicht übel. „Na vielen Dank auch. So hatte ich mir die Begrüßung vorgestellt“, antwortete ich gespielt beleidigt und fing dann an zu lachen, „Ne, alles gut. Hab‘ nur gerade geschlafen.“ Jetzt musste er auch lachen und nahm mich erstmal in den Arm. Ich schmiegte mich an ihn und schloss kurz die Augen, um den Moment zu genießen. Obwohl wir uns bisher eher selten nahegekommen waren, hatte ich seine Nähe in den letzten fast zwei Wochen vermisst. Als ich mich von ihm löste und versehentlich in den Spiegel sah, erschrak ich doch etwas. Meine Haare waren zerzaust, mein Gesicht sah total verschlafen aus und meine Klamotten waren ziemlich verknittert. Na toll, ich sah aus wie eine Vogelscheuche. Während Wincent seine Sachen ins Wohnzimmer stellte, ging ich deshalb ins Bad, schmiss mir eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht, kämmte meine Haare und strich meine Kleidung glatt, um wenigstens wieder etwas ansehnlich auszusehen und wacher zu werden.
Zurück im Wohnzimmer stand Wincent auf einmal direkt vor mir und lächelte mich schief an. „Sorry wegen eben. Das ist mir irgendwie einfach rausgerutscht. Du siehst natürlich auch verschlafen süß aus.“ Er kratzte sich am Hinterkopf und sah mich abwartend an. Ich musste lachen: „Jaja, jetzt schön rausreden und einschleimen, was? Keine Sorge, ich nehm‘ dir das nicht übel. Ich weiß doch, dass du gerne mal Sätze raushaust, ohne vorher drüber nachzudenken.“ Er schien erleichtert und sah mich einfach nur an. „Was ist? Worüber denkst du nach?“, fragte ich ihn dann. „Ich überlege, ob ich dich jetzt einfach küssen soll oder ob ich dich damit wieder überfalle…“, sagte er leicht unsicher. Doch anstelle einer Antwort überbrückte ich den Abstand zwischen uns und legte einfach meine Lippen auf seine. Er erwiderte den Kuss sofort und ich konnte eine gewisse Sehnsucht spüren. Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und zog ihn näher zu mir heran. Wir lächelten beide in den Kuss hinein. „Das hab‘ ich in den letzten zwei Wochen echt vermisst“, murmelte Wincent und lächelte mich an, als wir uns wenig später voneinander lösten. „Ich auch…“, erwiderte ich, „aber wir müssen trotzdem reden…“

Seit du bei mir bist, bin ich wieder ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt