Kapitel 56

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Marie

„Also pass auf… ich weiß nicht so richtig, wie ich dir das sagen soll…“ Ich machte noch eine kurze Pause und sammelte meine Gedanken, bevor ich weitersprach: „Wenn Wincent nicht mehr single wäre, würdest du dich dann für ihn freuen?“ Ich hoffte wirklich, dass sie den Wink mit dem Zaunspfahl verstand und selbst darauf kam. Natürlich wusste sie sofort, wer gemeint war, einen anderen Wincent gab es in ihrem Leben nämlich nicht. „Hä? Was willst du denn jetzt mit Wincent?“ Verwirrt sah sie mich an, bis ihre Augen sich geschockt weiteten. „Warte! Du willst mir jetzt aber nicht sagen, dass du mit Wincent Weiss zusammen bist?! Das ist nicht wahr, oder?“ Ihre Stimme klang leicht hysterisch und ihr entsetzter Blick ließ meine Nervosität nicht gerade weniger werden. „Ähm naja… doch, irgendwie schon…“, gab ich leise zu und sah meine Schwester unsicher an. Insgeheim bereitete ich mich schon auf einen Ausraster ihrerseits vor, doch sie blieb stumm. Abwartend schaute ich sie an. Ich konnte absolut nicht einschätzen, wie sie mit dieser Nachricht jetzt umging. „Wie kann das sein? Warum bekommst ausgerechnet du den hottesten Typen ever ab?“ Ungläubig starrte sie mich an und das gefährliche Funkeln in ihren Augen blieb mir nicht verborgen. Auch, wenn mir dieser Kommentar einen Stich ins Herz versetzte, hielt ich es für besser, jetzt nichts zu sagen und abzuwarten, bis sie wieder etwas gefasster war. So saßen wir eine Weile auf der Couch und Lara beachtete mich kein bisschen, während im Hintergrund gerade ‘Auf halbem Weg‘ lief. Wie passend. Doch irgendwann hielt ich die Stille zwischen uns dann doch nicht mehr aus. „Lara… bitte sag irgendwas…“, forderte ich sie vorsichtig auf, noch immer darauf bedacht, einen Wutausbruch ihrerseits zu vermeiden. „Sorry, aber den Schock muss ich erst mal verdauen…“, sagte sie nur abweisend, bevor es wieder still wurde. Okay, sie fand es also absolut nicht cool, dass ihr Lieblingssänger mein Freund war. Scheiße, was sollte ich denn jetzt machen? Ob ich jetzt vielleicht den Joker ziehen und Wincent anrufen sollte? Aber eigentlich wollte ich das gerne erst mit ihr geklärt haben, bevor ich ihn da direkt mit reinzog.
Ich beschloss, noch einen Versuch zu starten, dass sie wieder mit mir redete. „Hey, es tut mir leid, wenn ich dich damit überfallen habe… und ich will dir dein großes Idol auch gar nicht wegnehmen oder mich wichtigmachen, aber man kann halt nicht beeinflussen, in wen man sich verliebt… und er macht mich wirklich glücklich…“, versuchte ich sie zu besänftigen und ihr gleichzeitig klarzumachen, wie wichtig mir die Beziehung war. Sie seufzte, bevor sie sich schließlich doch wieder zu mir drehte und nach Worten rang: „Marie, ich… also… sorry…“ Sie sah mich stumm an und ich sah es in ihr arbeiten. „Aber wie… beim Meet & Greet? Erzählst du mir mehr?“, fragte sie dann schüchtern und konnte ihre Neugier nicht verbergen. „Und keine Sorge, ich werde nichts weitererzählen… das war gerade einfach ein Schock, aber ich würde Wincent nie in Schwierigkeiten bringen wollen, und dich natürlich auch nicht…“, fügte sie noch hinzu und ließ mich erleichtert aufatmen. Die erste und wohl schwerste Hürde war damit wohl schon mal geschafft. „Danke! Komm mal her! Was willst du denn wissen?“, ging ich darauf ein und zog sie erneut in meine Arme. Sie setzte sich dann direkt neben mich und lächelte mich an. „Na, wie kam es dazu? Nicht jeder hat ja die Chance, Wincent Weiss kennenzulernen… was ist beim Meet & Greet passiert, als Anika und ich backstage bei der Band waren? Habt ihr rumgeknutscht?“, prasselten die neugierigen Fragen schließlich auf mich ein und ich musste lachen. „Lara! Also erstens: könntest du ihn bitte nicht immer beim vollen Namen nennen, das macht es für mich echt komisch… und zweitens: beim Meet & Greet lief nichts, ich bin doch kein Groupie!“ Da musste auch sie lachen und die Stimmung zwischen uns wurde endlich wieder lockerer. Ich erzählte ihr dann, dass ich Wincent auf dem Ball in der Uni kennengelernt hatte und später aus allen Wolken gefallen war, als ich ihn beim Konzert auf der Bühne wiedererkannt hatte. Dass wir beim Meet & Greet wirklich nur geredet hatten und meine Freunde ihn schließlich zu meinem Geburtstag eingeladen hatten, wo wir es endlich geschafft hatten, einen Schritt aufeinander zuzugehen und Nummern zu tauschen.
Meine Schwester hörte gespannt zu und grinste die ganze Zeit. „Aww, das ist ja irgendwie schon voll süß…“, strahlte sie mich dann an. Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, fuhr sie schon fort: „Und um auf deine Frage von vorhin zurückzukommen: ja, ich freue mich für Wincent und dich… dass ihr glücklich seid… und bei dir bin ich mir wenigstens sicher, dass du ihn nicht verarschst und nur auf sein Geld und den Fame aus bist…“ Wann war sie so erwachsen geworden? Aber sie hatte recht. Sein Geld und seine Bekanntheit interessierten mich nicht im Geringsten, ich genoss einfach die Zeit mit ihm als Mensch, das machte mich glücklich. „Aww, du grinst voll verliebt!“ „Ja bin ich ja auch… du doch genauso, wenn du an Noah denkst“, erwiderte ich lächelnd und wir hingen beide einen Moment unseren Gedanken nach. „Bringst du Wincent denn dann bald mal mit her?“, fragte sie mich plötzlich leise und schon der Gedanke daran schien sie nervös werden zu lassen. „Ja bestimmt kommt er bald mal mit her… Mama und Papa wollen ihn doch auch kennenlernen… aber versprich mir bitte, nicht das Fangirl raushängen zu lassen, wenn es soweit ist. Das ist sein Privatleben, da will er sicher nicht ständig über die Musik reden oder deinen Merch unterschreiben…“ Ernst blickte ich sie an, das Thema war mir wirklich wichtig. Wincent sollte sich schließlich auch wohlfühlen, wenn er bei meiner Familie war. Ich hoffte, dass sie sich ihr Fangirl-Verhalten mit der Zeit abgewöhnen und normal mit ihm umgehen könnte, wenn er denn in Zukunft häufiger mal hier war. „Ja klar, versteh‘ ich total… das wird am Anfang sicher etwas seltsam für mich, aber ich werd‘ mir Mühe geben…“, versprach sie mir, „… aber meinst du, ich darf dann vielleicht öfter mal auf ein Konzert kommen?“ Ich musste lachen, hatte ich insgeheim doch schon die ganze Zeit auf diese Frage gewartet. „Was denn?“, grinste auch sie. „Naja, Wincent hat vorgeschlagen, dich mit Konzertkarten zu bestechen, falls du bei der Neuigkeit durchdrehst…“ „Na toll… aber ja, das klingt nach ihm“, stieg sie in mein Lachen ein. Mir fiel einfach ein riesengroßer Stein vom Herzen, dass Lara nach dem ersten Schock doch so erwachsen reagiert hatte und sich für Wincent und mich freute.
 
Unsere Eltern reagierten wie erwartet sehr locker auf die Nachricht, dass auch Lara ihren ersten Freund hatte. Somit stand einem entspannten Weihnachtsfest nun nichts mehr im Weg. Dieses genoss ich dann auch in vollen Zügen. Ich sah alle meine Verwandten endlich mal wieder und es wurde viel gequatscht, gegessen und getrunken. Natürlich wollten alle von mir wissen, wie mein Studium lief und waren hellauf begeistert, als ich ihnen mitteilte, dass ich bald mit meiner Doktorarbeit beginnen würde. Als ich dann auch noch die Bombe platzen ließ, dass ich seit Kurzem einen Freund hatte, freuten sich alle nur noch mehr. Auch für Lara freuten sie sich natürlich. Die jüngeren Mitglieder der Familie konnten sich dafür umso mehr für ihre zahlreichen Geschenke begeistern und beschäftigten Lara und mich ganz gut, indem sie uns ständig ihre neuesten Errungenschaften zeigten und sie immer am liebsten sofort mit uns ausprobieren wollten. Ich genoss diese Zeit in vollen Zügen, hatte ich solche Momente doch im Alltag eher selten, wenn ich mit meinem Studium beschäftigt war.
Mittlerweile war Weihnachten vorbei und Papa hatte mich gerade am Bahnhof abgesetzt, wo ich in den Zug Richtung Eutin stieg. Ich war voller Vorfreude und bekam mein Grinsen nicht aus dem Gesicht, als ich mir einen Platz suchte und es mir bequem machte. Kurzerhand schickte ich Wincent ein Selfie und ließ ihn somit an meiner guten Laune teilhaben. Kurz darauf bekam auch ich ein Foto von ihm und sein süßes Lächeln ließ mich sofort dahinschmelzen.
 
W: > Ich kann es kaum erwarten, dich nachher endlich wieder in meine Arme zu schließen ❤ <
M: > Ich auch 😊 Hab dich vermisst die letzten Tage ❤ <
W: > Und ich dich erst ❤ Wehe, der Zug hat Verspätung, das kann ich heute nicht akzeptieren! 😀 <
M: > Haha 😅 Darauf hab ich leider keinen Einfluss… <
W: > Ich wünsche dir einfach eine gute Fahrt, Süße! Ich warte dann am Bahnhof auf dich 😘 <
M: > Ich freu mich, bis nachher 😘 <
 
Lächelnd schloss ich den Chat und steckte mir meine Kopfhörer in die Ohren. Mit Musik verging die Zeit doch immer viel schneller. Glücklicherweise verlief die Fahrt einigermaßen nach Plan und ich schaffte meinen Anschlusszug in Hamburg ohne Probleme. Nach weiteren anderthalb Stunden stand ich in Eutin am Bahnsteig und sah mich nach Wincent um, als sich plötzlich von hinten zwei Arme um mich schlangen. Ich drehte mich um und sah in das strahlende Gesicht meines Freundes, welcher mich sofort an sich zog und mir einen Kuss auf die Wange drückte. Zu gerne hätte ich ihn richtig geküsst und ihm gezeigt, wie sehr ich ihn vermisst hatte, aber wir wollten ja kein Risiko eingehen. Also musste unser Begrüßungskuss wohl warten, bis wir bei seiner Familie zuhause waren. Und so sehr ich mich auch nach seiner Nähe sehnte, wusste ich gleichzeitig, dass diesbezüglich wohl nicht allzu viel passieren würde, während ich hier war, denn er hatte ja kein eigenes Zimmer und wir würden in Shays Zimmer schlafen.
Wir fuhren dann ein paar Minuten durch Eutin, bis Wincent schließlich vor einem gemütlich wirkenden Haus parkte. Das hier war also sein Zuhause. Es dauerte nicht lange und schon ging die Haustür auf und Shayenne strahlte uns an. Ich wurde herzlich begrüßt und sowohl von ihr als auch von Angela fest in den Arm genommen und fühlte mich sofort wohl hier. Sie ließen uns dann kurz allein und nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen hatten, steuerte Wincent mit meinem Koffer auf die Kellertreppe zu. Verwirrt sah ich ihn an. „Wo willst du hin? Ist Shays Zimmer da unten?“ „Nö… die Schlafzimmer der beiden sind oben…“, grinste er mich an und setzte seinen Weg fort. Noch verwirrter folgte ich ihm einfach, als er schließlich in einem Zimmer verschwand. Bevor ich mich umsehen konnte, drehte er sich um und presste seine Lippen auf meine. Ich seufzte leise auf und erwiderte den Kuss sofort, während ich meine Arme um seinen Nacken schlang. Wie hatte ich das vermisst! So standen wir eine Weile im Keller von Wincents Familie und konnten unsere Lippen nicht voneinander lösen. Als wir uns schließlich doch aus dem Kuss lösten, legte Wincent seinen Arm um mich und lächelte mich glücklich an. Ich erkannte dann relativ schnell das Bett und den Schrank im Raum. „Mein Weihnachtsgeschenk…“, strahlte er mich an und ich freute mich so für ihn. Er hatte also endlich wieder ein eigenes Zimmer und konnte sich hier richtig zuhause fühlen. „Hier unten haben wir auch mehr Privatsphäre und ich kann jederzeit ungestört das hier tun…“, nuschelte er und schon lagen seine Lippen wieder auf meinen. Einen Augenblick später hatte er mich schon zum Bett geschoben und ich ließ mich darauf sinken. Er stützte sich neben meinem Kopf ab und so lagen wir knutschend in Wincents neuem Bett und genossen unsere Nähe, auf die wir in den letzten knapp zwei Wochen verzichten mussten. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis wir uns schließlich voneinander lösten und ich mich einfach an Wincents Brust kuschelte und seinen unverwechselbaren Geruch in mich aufsog. „Wollen wir dann wieder hoch gehen? Mum und Shay haben bestimmt schon das Abendessen fertig…“, flüsterte er mir dann zu und ich nickte nur.

Seit du bei mir bist, bin ich wieder ichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt