Teil 1 - Michael

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"Fuck." Mit zusammengebissenen Zähnen wischte Michael sich das Blut an seiner Hose ab und warf der Regenrinne einen bösen Blick zu.

Eigentlich konnte sie nichts dafür, dass er sich verletzt hatte, aber es war immer leichter jemand anders die Schuld zu geben.

Michael schnaubte, griff dieses Mal aber nach dem Fensterbrett und nicht wieder daneben. Jetzt konnte er sich auch hoch ziehen, kletterte kurz an der Wand hoch und stieß das Fenster auf, um in sein Zimmer zu klettern.

Das Licht war aus, die Tür von innen nach wie vor abgeschlossen. Seine Mutter hatte also nicht mitbekommen, dass er weg war.

Besser so.

Die Kopfhörer flogen auf das ungenutzte Bett, der Teenager verzichtete darauf, sich etwas anderes anzuziehen und griff einfach nach seinem Ranzen, der neben dem Schreibtisch stand.

Blut tropfte auf den Boden, doch Michael bemerkte es kaum, versuchte blinzelnd die Tür zu öffnen. "Verdammte Scheiße!" er kniff seine Augen zusammen, riss sie auf und in den paar Momenten in denen er den Schlüssel sah, konnte er auch endlich den Schlüssel packen.

Das Aufschließen an sich war dann kein Problem mehr. Mit geübten Bewegungen drehte er den Schlüssel, zog dann die Tür zu sich.

Im Flur vor der Küche traf er auf Thorsten, den neuen Freund seiner Mutter.

Thorsten hatte schwarz gefärbtes, ziemlich lichtes Haar und Schweißflecken unter den Achseln.

Michael wusste nicht, was seine Mutter an ihm fand. Er konnte Thorsten nicht leiden.

"Na, hast du gut geschlafen?" Michael brummte als Antwort nur eine leise Verwünschung und schob sich an ihm vorbei.

Thorsten wusste ganz genau, dass Michael nicht schlief und trotzdem konnte er es sich nicht verkneifen, diese Frage jeden verdammten Morgen zu stellen. Normalerweise folgte darauf ein Lachen, wenn Michael nicht antwortete und dann versuchte er ihm durch die Haare zu wuscheln, doch diesen Morgen kam Michael darum herum, floh schnell genug in die Küche.

In der Küche roch es nach Rührei, am Herd stand Michaels Mutter. Ihre Haare waren so mausbraun wie seine, doch sie trug ihre Hüftlang. Michaels Haare gingen nicht einmal bis zu seinen Schultern und trotzdem rief man ihm auf dem Pausenhof ständig 'Mädchen' nach.

"Hast du Hunger, mein Schatz?" Michael merkte erst, dass sie mit ihm geredet hatte, als er einen Kuss auf die Wange bekam. Was sie wohl gefragt hatte?

"Michael?" sie riss ihn ein weiteres Mal aus den Gedanken, hielt ihm eine Dose hin. "Dein Essen für die Schule."

Als er zehn geworden war, hatte sie aufgehört ihm Pausenbrot zu machen, mit fünfzehn hatte sie wieder angefangen. Seit dem machte sie ihm auch wieder Frühstück und das obwohl Michael morgens eh keinen Hunger hatte. Thorsten würde es essen, das war so sicher wie die Tatsache, dass auch das Pausenbrot in den Müll wandern würde.

"Du musst es auch nehmen." Wie mechanisch griff Michael nach der Dose, räumte sie in seinen Rucksack. Sie meinte es ja nur gut mit ihm.

"Redest du nicht mit mir?"

"Doch." Michael musste stark blinzeln. "Was hast du gefragt?"

Ein leichtes Kopfschütteln war ihre Antwort. "Setz dich und iss was, ich sag Thorsten, dass er dich zur Schule bringen soll. Am Ende läufst du noch vor ein Auto."

"Oder er traut sich nicht über die Straße, weil er sich Autos einbildet." Thorsten war in die Küche gefolgt und piekte sich mit der Gabel direkt was aus der Pfanne.

Midnight Tears ~ ZomdadoWhere stories live. Discover now