Teil 9 - Maurice

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Maurice starrte raus auf das dunkle Wasser und knabberte sich ein wenig auf der Unterlippe herum. Ob der andere wohl wieder kommen würde? Er hatte sich extra wieder auf dieselbe Bank gesetzt und für den Fall dass Michael ihn Zuhause abfangen wollte, hatte er ihm sogar eine Nachricht hinterlassen, hatte sie auf einen Zettel geschrieben und unter den Stein geklemmt.

Das war vielleicht nicht so offensichtlich, aber wenn der andere ihn wieder treffen wollte, dann würde er sich genug Mühe geben, um es herauszufinden.

Der Blonde wusste selbst nicht so recht, warum er Michael wieder treffen wollte, immerhin war der andere wirklich ein bisschen komisch, zumindest sagte Emily das, doch... Da war irgendwie eine Verbindung zwischen ihnen, die er nicht einordnen konnte.

Ihm war bewusst, dass Michael nicht wie er war, Michael konnte tagsüber rausgehen, aber irgendwie war da immernoch diese kleine, irrationale Hoffnung, dass er von dem anderen Verständnis und vielleicht Hilfe bekommen könnte.

Und was auch noch mit rein spielte war, dass Maurice wusste, dass mit Michael auch was nicht stimmte. Halluzinationen wollte er also haben. Maurice kannte sich nicht mit dem Leben aus, aber er wusste, dass nicht jeder Halluzinationen hatte.

Je mehr er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass Michael am Vorabend geweint hatte, bevor sie sich getroffen hatten.

Der andere war nicht gefährlich. Er war nicht ausgebrochen, er wollte niemanden umbringen... Michael war genauso kaputt wie er selbst. Und deswegen hatte Maurice sich vorgenommen, dass er ehrlich zu ihm sein wollte.

Den ganzen Vormittag über hatte es an ihm genagt, dass er gelogen hatte, erst recht weil er das Gefühl hatte, dass sie einander öfter sehen würden, dass sie vielleicht Freunde werden konnten. Wenn er wollte, dass Michael ehrlich zu ihm war, dann sollte er wohl anfangen.

Ein leises Räuspern riss Maurice wieder aus seinen Gedanken.

Er sah hoch und dort stand wieder Michael. Der andere stand dort ganz ruhig, er trug ein schwarzen Hoodie mit zwei Pfeilen, die einen Kreis bildeten und etwas umrandeten, was Maurice erst auf den zweiten Blick als Faust erkannte. Das Symbol kam ihm seltsam bekannt vor, doch er konnte es nicht einordnen, sah deswegen wieder hoch und sah, dass Michael wieder die Kopfhörer trug, die er in der letzten Nacht nicht einmal abgesetzt hatte, als sie geredet hatten.

"Du bist gekommen." stellte Maurice fest und lächelte ihn an. "Setz dich doch." Michael brummte etwas, setzte sich dann aber tatsächlich. "Was hörst du?"

Für einige Momente war es still, Michael schien nachzudenken, dann kam eine knappe Antwort. "Nichts."

Maurice zuckte etwas zurück, nickte dann aber und hielt Michael zur Besänftigung die Packung Kekse hin, die er mitgenommen hatte.

"Okay." Wenn Michael es nicht sagen wollte, dann war es eben so. Maurice würde ihn nicht drängen es zu sagen. Stattdessen wartete er lieber, ob Michael etwas anderes sagen wollte, doch der Junge blieb stumm. Also ergriff Maurice wieder das Wort.

"Weißt du.... Ich war gestern nicht ganz ehrlich zu dir. Und... Das klingt jetzt vermutlich total blöd, weil wir uns eigentlich gar nicht kennen, aber irgendwie hab ich ein gutes Gefühl bei dir. Ich mag dich. Zumindest ein bisschen, soweit ich das beurteilen kann."

Maurice biss sich unsicher auf die Unterlippe und verstummte dann wieder, weil er das Gefühl hatte, sich zum Idioten zu machen.

Doch wider erwarten lachte Michael nicht. Der andere musterte ihn einfach nur aus den kühlen, grau blauen Augen und griff dann einen Keks.

Maurice bemerkte jetzt erst die tiefen Augenringe, die Müdigkeit die Michael generell ausstrahlte. Fast versank er in dem Augenblick, bis Michael dann mit einer unwirschen Handbewegung die langen Haare zurück strich und ihn heraus fordernd anstarrte.

Midnight Tears ~ ZomdadoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt