Teil 10 - Maurice

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Peinlich. Es war Maurice so verdammt peinlich, dass er aus Versehen das Bild 'geliked' hatte. Nicht einmal die Tatsache, dass Michael schon seit Monaten nicht mehr online gewesen war machte es besser. Früher oder später würde der andere erfahren, dass Maurice ihn gestalked hatte und obwohl Maurice ja nicht einmal etwas erfahren hatte, war er sich sicher, dass Michael davon ganz und gar nicht begeistert sein würde.

Vielleicht machte es ja die Tatsache besser, dass er ihn kurzerhand, Emilys Tipp folgend, gefolgt war und alle Bilder und Videos geliked hatte. Er hatte ihm sogar eine direkte Nachricht geschickt.

"Hi, ich bin's. Maurice. Aber das hast du dir bestimmt schon gedacht. Coole Fotos. Ich bin heute wieder auf der Bank, würde mich freuen wenn du auch kommst."

Je länger er nachdachte, desto unangenehmer wurde ihm das Ganze. Verunsichert starrte er alle paar Minuten auf sein Handy, um zu überprüfen ob die Sätze auch grammatikalisch richtig waren, doch er sah auch, dass Michael die Nachricht nicht las.

Deswegen wollte er es ihm beichten, sobald er ihn wieder traf. Doch.... Ob Michael tatsächlich wieder kommen würde?

Die Frage beantwortete sich ziemlich schnell von selbst, weil der andere einfach wie aus dem Nichts auftauchte.

Maurice stand sofort auf und umarmte Michael, so wie er es auch mit seinen Eltern und Geschwistern getan hätte, doch er merkte sofort, wie Michael sich verspannte und wurde kurz darauf auch schon weg gedrückt.

Peinlich berührt sah er zu Boden. "Das war wieder falsch, oder? Sorry, ich habs nicht so gemeint.. Ich wollte mich nicht aufdrängen."

Michael machte nur eine unbestimmte Handbewegung, brummte etwas unverständliches und setzte sich dann auf die Bank. Maurice folgte ihm fast sofort, hielt aber brav etwas Abstand. Er wusste ja, dass Michael das nicht mochte.

"Du.... Ich hab dich auf Instagram angeschrieben. Aber du hast nicht geantwortet."

Das war vielleicht nicht die ganze Wahrheit, aber besser als nichts. Es war ein Anfang. Maurice wollte eigentlich noch mehr sagen, aber Michael unterbrach ihn.

"Kann sein.. Ich habs deinstalliert, du brauchst also gar nicht auf eine Antwort zu warten."

Maurice wusste nicht so recht was er darauf antworten sollte und so zuckte er nur mit den Schultern. Er hatte doch gar keine Ahnung vom echten Leben. In Filmen zeigte man die Unterhaltungen, die nicht relevant waren gar nicht, er wusste nicht so richtig über was man sich unterhalten konnte.

"Ich... Ich hab eine Katze. Also eigentlich einen Kater. Ganz schwarz. Shadow heißt er. Hast du auch ein Haustier?"

Der Blonde bemerkte sofort, dass das nicht die beste Frage gewesen war. Er konnte Michael in dem trüben Laternenlicht nicht so gut sehen, doch dass sich das Gesicht verspannten, das war zu erkennen.

Also wieder ein sensibles Thema. Davon gab es bei Michael scheinbar mehr als genug. Umso überraschter war Maurice, als dann tatsächlich doch eine Antwort kam.

"Ich...hatte mal einen Hund. Ein Mischling. Aus Rumänien. Eigentlich hat sie meinem Vater gehört.. Aber es war der Familienhund. Muss ein Malinois oder so sein, eine Hündin. Luna hieß sie."

Maurice rutschte, obwohl er es besser wusste, wieder etwas näher zu Michael, legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter. Michael ließ die Berührung zu.

"Was ist mit ihr passiert?" wollte Maurice leise wissen, musterte den anderen neugierig. Viele Möglichkeiten konnte es ja nicht geben.

"Meine Mutter hat sie weg gegeben. Ich meine... Nachdem mein Vater weg war und es mir nicht mehr so gut ging... Stopp, vergiss das alles. Der neue Freund meiner Mutter hat eine Allergie dagegen und dann musste sie weg."

Maurice wollte Michael nicht unterstellen ein Lügner zu sein, doch er glaubte ziemlich sicher zu wissen, dass die vermeintliche Allergie doch nur der zweite Grund war.

Michael hatte ihm eben was von sich erzählen wollen. Ihm ging es nicht gut und sein Vater war weg. Aber irgendwas hielt den anderen davon ab sich zu öffnen. Das war okay, sie kannten sich erst ein paar Tage.

"Das tut mir Leid für dich. Wenn du möchtest, dann kannst du mal mit zu mir kommen und Shadow streicheln. Vielleicht hilft dir das ja."

Michael nickte erst nach einigem Zögern, was Maurice lächeln ließ. "Ich red deswegen mal mit meiner Familie. Und wenn du mir deine Nummer gibst, dann schreibe ich dir sogar wann du kommen kannst."

Der blonde sah, wie sich Michaels Kehlkopf bewegte, als er heftig schluckte, kurz mit sich rang.

"Mir ist es lieber, wenn du anrufst. Ich geb dir gerne meine Nummer, aber bitte ruf eher an als zu schreiben. Ich.... Ich bin nicht viel am Handy und Nachrichten ignoriere ich meistens aus Versehen."

Das klang durchaus einleuchtend. Deswegen nickte Maurice nur und streichelte Michaels Schulter ein bisschen." Ich ruf an, kein Problem. Gibst du mir dann deine Nummer? "

Statt der Nummer bekam er gleich das Handy des anderen in die Hand gedrückt.

Maurice speicherte die Nummer kurz in seinem Handy ein, dann gab er Michael das Gerät zurück und steckte aus Höflichkeit das eigene weg.

Neben ihm konnte er hören, dass Michael wieder zu summen begann. Jetzt konnte er sich auch fast sicher sein, dass der andere das nicht bewusst machte.

"Was summst du da?" fragte Maurice zur Sicherheit trotzdem und Michaels Gesicht verriet ihm, dass der andere es wirklich nicht mitbekommen hatte.

"Ähm...." Michael stammelte einige Momente lang herum, Maurice beschloss ihm zu helfen. Er überlegte kurz, dann versuchte er die Melodie möglichst gut nachzuahmen. Es schien zu funktionieren.

"Achso, ja klar." Michael lächelte ihn an. "Ich.. Ich bin mir nur nicht sicher wie es heißt. Hab zur Zeit viel um die Ohren."

Maurice lächelte verständnisvoll. "Hey, kein Problem. Kannst du mir es vor singen? Du.. Du summst manchmal vor dich hin, aber manchmal singst du auch. Deswegen... Vielleicht ist das ja ne Möglichkeit? Es klingt schön, weißt du? Also das Lied, die Melodie. Aber auch wie du singst. Du singst gut, ehrlich. Ich... Rede schon wieder nur Blödsinn, oder? "

Michael antwortete darauf nicht. Stattdessen begann er leise zu singen.

"And the shells jumped through the smoke
And into the sand
That the blood now had soaked
She collapsed with a flag in her hand
A flag white as snow"

Kurz war es still, weil Michael wohl nachdachte, dann sang er weiter.

"A hero of war
Is that what they see
Just medals and scars
So damn proud of me
And I brought home that flag
Now it gathers dust
But it's a flag that I love
It's the only flag I trust"

~

"Machs gut, ja?" Obwohl Maurice wusste, dass Michael das nicht mochte, umarmte er ihn zur Verabschiedung kurz. "Ich versuchs."

Michael lächelte ein dünnes, etwas schiefes Lächeln, was Maurice nur noch mehr strahlen ließ.

"Sehen wir uns morgen wieder?" wollte er wissen, doch anders als erhofft sagte Michael nicht sofort ja. Stattdessen war es ein bisschen still, bevor Michael sich umdrehte und dann einfach so ging.

Maurice sah ihm noch kurz nach und beschloss dann, dass er Emily noch etwas ausquetschen würde.

Als er sich dann schließlich umdrehte und weg ging, summte er leise vor sich hin.

Midnight Tears ~ ZomdadoWhere stories live. Discover now