𝕰𝖗𝖘𝖙𝖊𝖘 𝕶𝖆𝖕𝖎𝖙𝖊𝖑

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Ich kniff mein rechtes Auge zusammen, um  besser zu zielen. Dann perfektionierte ich die Richtung. Mein Pfeil zeigte direkt auf den Brief, den einer meiner Wachen hoch auf dem Turm der Außenmauer laß. Ich ließ den Pfeil los und er sauste auf die Wache zu. Der Wind ließ ihn einen kleinen Bogen machen, dann schoss er durch den Brief und nagelte ihn an die Wand. Wahrscheinlich hätte ich mich schnell verziehen sollen, als die Wache von der Mauer hinunter und auf mich zu kam. Aber hier wusste sowie so jeder, wer den Pfeil geschossen hatte. Und um mich zu finden müsste man einfach nur den mit einer Mauer umrandeten Hof und den dazugehörigen Abschnitt des Palastes durchsuchen. Wütend lief die Wache zu mir, den Brief in der einer, den Pfeil in der anderen Hand.
„Prinzessin Asena, ich muss sie doch bitten." Während er sprach versuchte er seine Wut zu unterdrücken.
„Gibt es für sie denn keine bessere Beschäftigung? Ist ihnen so langweilig?"
„Sir, Sie können ganz beruhigt sein."
Ich nahm ihm den Pfeil aus der Hand und steckte ihn in meinen Köcher an meinem Rücken. „Das ist wirklich die beste Beschäftigung, die ich mir vorstellen könnte."
Ich grinste ihn an und er verdrehte kaum sehbar die Augen.
„Prinzessin, das ist wirklich gefährlich!"
„Ich werd mich wohl nicht selber treffen."
„Nicht für sie, für alle um sie herum. Wenn sie schießen wollen, wäre es für alle besser, sie gehen in den Wald."
Ich zuckte mit den Schultern.
„Laufen da auch wilde, Liebesbrief lesende Wachen herum?"
Er seufzte.
„Das ist kein Liebesbrief." Er hob den Brief, und ich betrachtete stolz das Loch in der Mitte.
„Das ist, oder war, ein Schreiben von Madame Luis. Sie sagt, ihr seid seit drei Wochen nicht zum Unterricht gekommen."
Ich setzte eine unschuldige Miene auf.
„Das sind schon drei Wochen? Die Zeit geht aber schnell vorbei."
„Prinzessin, ich sollte diesen Brief eigentlich ihrem Vater geben."
Sofort fing ich an zu schwitzten.
„Mei...Meinem Vater? Dem König?"
„Wenn du keinen anderen Vater hast, ja."
Ich biss mir auf die Lippe. Das war gar nicht gut. Mein Vater durfte nicht erfahren, dass ich den Unterricht nicht besuchte. Sonst würde er noch mehr, noch strengere Wachen und Bedienstete bei mir einstellen. Und ich hätte noch weniger Freiheiten.
„Aber leider kann ich diesen Brief nicht mehr überbringen. Auch wenn er ziemlich vielsagend zeigt, was ihr statt dem Unterricht treibt."
Ich packte die Wache an den Schultern und rüttelte sie.
„Sie dürfen es auf keinen Fall dem König ausrichten! Bitte!"
Er verzog keine Mine.
„Ich bezahl sie auch!"
„Ich lasse mich nicht bestechen."
Ich ließ ihn los und ging ein paar Schritte zurück.
„Wie wäre es damit: Ich verspreche, jede Woche einmal in den Unterricht zu gehen!"
Die Wache faltete den Brief sorgfältig zusammen.
„Ihr Unterricht findet aber jeden Tag statt."
„Ich bin die Prinzessin von Arîs, ich darf doch wohl entscheiden..."
„Nein, dürfen sie nicht. Aber von mir aus werde ich sie verteidigen, wenn ich es ihrem Vater ausrichte, unter der Bedingung, das sie ab jetzt täglich zum Unterricht gehen."
Ich seufzte. Das lief in die ganz falsche Richtung.
„Von mir aus. Richten Sie ihm schöne, einsame Grüße aus."
Die Wache grinste.
„Das werde ich, Prinzessin Asena."
Er drehte sich um und ging zu dem großen Tor, das mich seit Jahren von der Außenwelt trennte.
Die Situation war ziemlich aussichtslos. Wenn er mich vor meinem Vater verteidigen würde, würde dieser denken, er sei weich geworden. Was er gewissermaßen auch geworden ist. Und dann wird er ihn ersetzten. Das hatte er bestimmt schon tausende Male gemacht, ich kannte keinen einzigen meiner Mitmenschen mit Namen. Ich merkte sie mir einfach mit ihrer Position. Die Wache gerade war ,Turmpost'. Er empfing Post... und war auf einem Turm. Ich fand, das machte ziemlich Sinn.
Ich machte mich auf den Weg zum Stall. Unterwegs traf ich wie immer drei Gärtner, fünf Wächter und zwei Stallburschen. Und obwohl in diesem Teil des Königlichen Hofes mehr als hundert Leute wohnten, fühlte ich mich einsam.

Shadow trappte aufgeregt auf der Stelle, als ich mich der Weide näherte.
„Hey meine Süße. Wie war dein Tag?"
Ich strich ihr über die Stirn. Die schwarze Stute drückte sich an mich.
„Ich hab dich auch vermisst. Wollen wir ausreiten?"
Ich öffnete die Zaunthor. Doch Shadow blieb wo sie war.
„Was ist los? Willst du nicht rauskommen?"
Sie schnaubte, dann lief sie los. Jedoch nicht zu mir, sondern weiter hinaus auf die Weide. Irritiert folgte ich ihr.

Shadow lief bis ans andere Ende der Weide. Dort stand zu meiner Verblüffung ein weiteres Pferd. Shadow war zwar nicht alleine auf der Weide, doch ich kannte eigentlich alle Pferde sehr gut. Und dieses Pferd erkannte ich nicht. Es hatte ein hellblondes Fell und eine weiße Mähne. Sie begrüßte Shadow freundlich.
"Hast du eine Freundin gefunden?"
Ich lief auf das Pferd zu, und es lies sich ohne Widerwort streicheln.
"Bist du neu hier?"
Ich schaute mich um, um vielleicht den Besitzer zu finden. Ich war noch heute morgen hier gewesen, und da war die Stute noch nicht hier. Also konnte der Besitzer nicht weit sein. Doch ich sah niemanden.
„Naja, ich glaube nicht das jemand was dagegen hätte, wenn ich dich mit zum Ausritt nehme."
Ich stieg auf Shadow. Ich hatte wirklich lange gebraucht, um zu lernen, in einem Kleid zu reiten. Anders war es mir nicht gestattet. Mittlerweile war ich ziemlich gut. Und da das Kleid so lange war, verdeckte es, das ich ohne Sattel ritt.
Die blonde Stute lief von alleine neben mir her. Wir trappten von der Weide hinunter und galoppierten dann Richtung Wald. Da die Bäume dort sehr eng standen, musste ich ab hier Schritt reiten.
Durch die Blätter schien schwaches Sonnenlicht und ließen das Fell der Stute milchig wirken.
„Ich glaub ich nenn dich Milky. Keine Ahnung wie du wirklich heißt, aber das macht ja nichts."
Wir kamen an einen breiten Bach und ohne zu zögern lief Shadow hindurch. Der Bach war in der Mitte sehr tief und sie begann zu schwimmen. Ich glitt von ihrem Rücken und tauchte in das kalte Wasser.
Es war alles so perfekt hier.
Als ich auftauchte, hatte sich Milky zu Shadow in das Wasser getraut. Zusammen schwammen sie an die andere Uferseite.
Ich folgte ihnen. Als ich aus dem Bach hinaus stieg, triefte mein Kleid. Es hatte sich mit Wasser voll gesaugt und war um einige Kilo schwerer. Ich drehte es so gut es ging aus und hoffte wirklich, dass ich es später irgendwie trocknen konnte, bevor es meine Schneider mitbekamen. Um ehrlich zu sein, hasse ich Kleider. Sie sind ungemütlich, unpraktisch und so schön nun auch wieder nicht. Die meisten zumindest. Außerdem standen sie mir nicht. Aber wie so oft hatte ich darüber nicht das Sagen.
Ich lief neben den Pferden her, weiter und tiefer in den Wald. Milky schien sich hier ziemlich gut auszukennen, was mich daran zweifeln ließ, dass sie auf die Weide gehörte. Niemand ritt hier hin aus. Außer Shadow und mir.
Irgendwann erreichten wir die Mauer, die das Terrain, in dem ich mich aufhalten durfte, umkreiste. Nur selten durfte ich es verlassen, meistens, wenn ich meinem Vater einen Besuch abstattete oder wenn wir Gäste hatten. Oder einer dieser übertrieben kitschigen Bälle.
Ich setzte mich auf einen Stein und schaute die Mauer hinauf. An dieser Stelle wäre es bestimmt am leichtesten, sie zu überqueren. Es kam nur selten eine Wache vorbei und die Steine waren nicht mehr so glatt. Aber ich könnte Shadow nicht auf den Erkundungsausflug mitnehmen, und ohne sie würde ich nicht hinausgehen.
Während die Pferde grasten, zog ich einen Pfeil aus meinem Köcher. Ich spannte ihn in den Bogen und zielte auf einen Apfel, hoch oben im Baum. Ich feuerte den Pfeil ab und er traf. Stolz hob ich den Apfel vom Boden auf und zog den Pfeil hinaus. Als ich Shadow den Apfel anbot, beachtete sie mich nicht. Sie wurde nervös und stampfte auf den feuchten Waldboden.
„Hey! Was ist den los, Kleine?"
Auch Milky wirkte plötzlich nervös.
Sie hatten mich vorgewarnt.
Und dann passierte es.
Hinter mir, am gegenüberliegenden Teil der Mauer, wo sich gleich neben dran der mein Palastabteil befand, flog alles in die Luft. Es gab einen riesigen Knall und die Pferde stiegen. Ich fiel rückwärts hin und Shadow und Milky rannten davon. Ich sah zu dem gewaltigen Feuer. Die Mauer war dort vorne eingebrochen. Ich stand so unter Schock, dass ich mich nicht bewegen konnte.
Und dann explodierte auch die Mauer hinter mir.

Throne of ArîsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt