𝕾𝖎𝖊𝖇𝖙𝖟𝖊𝖍𝖓𝖙𝖊𝖘 𝕶𝖆𝖕𝖎𝖙𝖊𝖑

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Die Nachmittagssonne erschwerte uns den Weg durch das Dorf, wo es kaum Schatten gab. Alle Dorfbewohner sahen aus ihren Fenstern oder gingen auf die Straße als sie uns sahen. Sie jubelten und klatschten. Offensichtlich waren sie froh darüber, nicht mehr Leute aus der Familie im Krieg zu verlieren. Es musste eine riesige Erleichterung für sie sein. Und genau das wollte ich erreichen. Trotzdem war ich froh, als wir das Dorf hinter uns gelassen hatten. Wir ritten durch einen farbenfroheren Wald, der alles andere als gefährlich aussah.
Trotzdem warnte Lilian vor giftigen Tieren, die in den Gebüschen auf den richtigen Moment lauerten um eines unserer Pferde zu fressen. Oder einen von uns.
Außer den kurzen Warnungen von Lilian waren wir unterwegs ziemlich still. Alle waren in ihren eigenen Gedanken unterwegs und keiner suchte nach einem Gespräch. Erst als wir unser erstes Lager aufstellten, da die Sonne bereits unterging, fingen wir an, miteinander zu reden.
„Heute Nacht wird es wahrscheinlich regnen." meinte Brooke nachdenklich.
„Woher willst du das wissen?" fragte ich, während ich das Feuer machte. Jake half Lilian beim Zelt und T war auf der Suche nach Nahrung, während Brooke kleine Fallen um das Lager stellte und dabei nachdenklich in den Himmel schaute.
„Nur so ein Gefühl. Aber meistens lieg ich richtig."
„Hoffentlich gibt es kein Gewitter." erwiderte ich. Im nächsten Moment flammte das Feuer auf und ich half Brooke bei den Fallen.
Fünf Minuten später kam T mit zwei vollen Körben mit Beeren, Pilzen, Wurzeln und anderem. Lilian machte sich daran, zu kontrollieren, ob nichts giftig war.
Tatsächlich konnte sie nicht finden und wir machten uns über das Essen her. Die Pferde bekamen ihr Futter aus dem Proviant, aus dem wir nur im Notfall essen sollten.
„Wir müssen morgen früh raus, um diese Reise in vier Tagen zu schaffen." meinte Lilian während sie in einen Apfel biss.
„Sollte vielleicht jemand Wache halten?" fragte T in die Runde.
„Keine schlechte Idee. Ich kann sie diese Nacht übernehmen." meldete sich Jake freiwillig, worüber wir alle sehr froh waren. Todmüde legte ich mich später auf meine dünne Matratze und schloss die Augen.
Die Nacht fühlte sich ungefähr so an wie meine erste Nacht nach meiner Flucht aus dem Palast. Es war kalt, ungemütlich und laut. Und selbst wenn Jake draußen Wache hielt, war die Angst vor Raubtieren nicht verschwunden.
Irgendwann war ich dann doch eingeschlafen, denn am nächsten morgen wurde ich von Lilian geweckt. Auch wenn man nicht sagen kann, das es Morgen war. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und es war immer noch eiskalt.
„Guten Morgen." murmelte Brooke verschlafen, als ich ihr eine der Wasserflaschen in die Hand gab, die ich an einem Bach in der Nähe aufgefüllt hatte, und gähnte verschlafen.
„Guten Morgen." gab ich zurück, mindestens genauso müde. Nach einem kleinen Frühstück bauten wir das Zelt ab und löschten das Lagerfeuer. Dann sattelten wir und ritten direkt weiter.
Ich hatte Mühe, nicht von Shadows Rücken zu fallen. Ständig fielen mir die Augen zu.
Lilian ritt voraus, da sie den Weg am besten kannte. Gerade unterhielt sie sich mit Brooke über irgendein Heilmittel, das anscheinend sehr umstritten war.
Wie so oft sagte mir der Name nicht. Doch ich war glücklich zu sehen, dass sie sich gut verstanden. Als ich die vier beim Tor getroffen hatte, hatte ich mir schlimme Szenarien vorgestellt, wie sie sich gegenseitig umbringen. Doch anscheinend schienen sowohl Lilian als auch T, Brooke und Jake über das vergangene hinüber zu sein und jetzt auf der selben Seite zu stehen.
Jake ritt auf meiner Höhe, doch wir redeten nicht. Jake schien der Wald sehr zu faszinieren und ich war zu beschäftigt, nicht vom Pferd zu fallen.
Bis auf einmal ein Brüllen ertönte. Es war eindeutig nicht weit weg von hier, in der Richtung, in die wir ritten. Ich schreckte hoch, Brooke zuckte zusammen und T schaute panisch umher. Nur Jake und Lilian waren ruhig. Ich blickte nach vorne. Der Waldpfad hatte sich mittlerweile in einen schmalen Weg verwandelt, was bedeutet, das in ein paar Kilometer ein Dorf kommen müsste.
Lilian drehte sich zu uns um.
„Lasst uns schauen was das war."
Ohne auf eine Antwort zu warten, welche bei mir eindeutig aus den Wörtern ,nein' und ‚danke' bestanden hätte, ritt sie in Richtung Schrei. Wir folgten ihr alle bis zu einer Brücke, die einen Fluss überquerte. Auf der anderen Seite war eine kleine Lichtung, dann folgte wieder der Wald. Vor der Brücke lag etwas, was ich anfangs nicht erkannte. Erst als ich zweimal hinschaute sah ich das gerissene Reh am Boden. Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Lilian stieg von ihrem Pferd ab und kniete neben das Tier. Sie legte ihre Hand an den Nacken des Tieres.
„Das wurde erst gerade getötet." meinte sie.
Dann holte sie aus ihrer Satteltasche einen Beutel und ich ahnte schon, was sich in ihm befand. In Arîs pflegte man es, tote Lebewesen eine Götterblüten auf die Wunde zu legen. So wurden die Götter auf es aufmerksam und holten die Seele des Toten Lebewesen zu sich.
Tatsächlich holte Lilian die Blaue Blüte aus dem Beutel und legte sie auf das Reh. Zuerst wunderte ich mich, wieso sie Götterblüten dabei hatte. Doch nach einigen Sekunden wurde mir klar, dass diese wahrscheinlich für alle gedacht waren, die in der letzten Schlacht sterben würde.
Lilian erhob sich wieder.
„Reiten wir weiter. Was auch immer dieses Tier  gerissen hatte, ist noch nicht weit. Und da wir seine Mahlzeit gestohlen haben, hat es noch Hunger."
Das stimmte. Den jedes Lebewesen, von Drache bis Maus, wagte es nicht, ein Tier anzurühren, welches durch eine Götterblüte das Leben neben den Göttern versprochen ist.
Nachdem Lilian wieder aufgestiegen war, überquerten wir die Brücke. Wir gingen einzeln  hinüber, aus Angst, die Brücke könnte unter dem Gewicht von uns allen zusammenbrechen.
Ich ging als erstes. Shadow lief ganz langsam über die dünnen Holzplatten, immer darauf bedacht, ihr Gewicht nicht zu schnell zu verlagern. Als wir in der Mitte waren hatte man eine unglaubliche Aussicht flußabwärts. Man sah bis zum Ende des Waldes und an die Klippe, an der sich ein Wasserfall gebildet hatte. Und dann war ich auch schon auf der anderen Seite. Erleichtert klopfte ich Shadow am Hals. Ich sah zu den anderen. Alle sahen mich erschrocken an. Hatten sie etwa erwartet, dass ich in den Fluss falle?
Brooke wedelte mit den Händen, doch ich konnte nicht entschlüsseln was sie meinte. In dem Moment hörte ich erneut ein Brüllen. Ohne zu zögern sprang Jake von Milky-Moon und rannte über die Brücke. Ich hatte mich inzwischen auf Shadow umgedreht und sah, wie ein riesiges, muskulöses Wesen mit großen Fangzähnen auf mich zu rannte.

Throne of ArîsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt