Windhoek

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„Hast du denn jetzt ein paar Tage frei, Raphael?", fragt mich Dave, als er neben mir Platz nimmt.
„Ja", seufze ich erleichtert und reibe mir einmal kurz über die Augen. „Eineinhalb, bevor ich wieder nach Addis Abeba muss und von dort... ich hab's vergessen."

„Dann sind die zwei Stunden jetzt ja fast schon ein Kinderspiel", lacht mein heutiger Co-Pilot und dreht sich um, als es an der Cockpittür klopft. Dave öffnet die Tür und Irina steckt ihren Kopf herein.
„Huhn oder Fisch", sagt sie nur und Dave und ich sagen wie aus einem Mund: „Huhn!"

Irina lacht und antwortet: „Dann müsst ihr das wohl auslosen."
„Nimm du das Huhn", lächelt Dave, doch ich schüttele den Kopf.
„Schon okay, ich nehme den Fisch. Besonders hungrig bin ich ohnehin nicht", widerspreche ich und Dave nickt Irina zu.
„Wenn du heute Abend immer noch Lust auf Huhn hast, ich kenne ein hervorragendes Restaurant in Windhoek, das das beste Huhn in ganz Afrika zubereitet", bietet Dave an und ich zwinge mir ein Lächeln auf, bevor ich das Mikrofon meines Headsets richte.

„Meine lieben Damen und Herren", beginne ich meine Durchsage. „Herzlich Willkommen an Bord des Flugs von Kapstadt nach Windhoek. Mein Name ist Raphael Andrews, ich bin heute ihr Pilot, an meiner Seite sitzt Co-Pilot Dave Friggs. Meine liebe Kollegin Irina Romanov und ihr Team werden Sie gleich in die Sicherheitsbestimmungen an Bord einweisen. Unsere voraussichtliche Flugzeit beträgt zwei Stunden und fünf Minuten, das Wetter in Windhoek ist wie hier sonnig und warm, deshalb hoffe ich, Sie haben Ihre Wintermäntel zu Hause gelassen. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug mit uns."

•••

Dreieinhalb Stunden später lasse ich mich auf mein Bett in meinem Hotelzimmer fallen und warte sehnsüchtig darauf, dass die Klimaanlage ihren Job beginnt. Letzte Woche in Malmö habe ich noch gefroren und mir am Flughafen einen dicken Fleecepullover kaufen müssen, da ich meinen Wollstrickpulli vor zwei Monaten in einem Hotel vergessen haben muss. Leider fällt mir beim besten Willen nicht ein, in welchem.

In den vergangenen Jahren war ich in so ziemlich jeder Stadt dieses Planeten, die über einen Flughafen verfügt, und kann mich an kaum einen meiner Aufenthalte erinnern. Nur wenige bleiben in meiner Erinnerung.
Die Treffen mit meiner Mutter in Kuala Lumpur, der unfreiwillig verlängerte Aufenthalt auf Madeira, als wir auf Grund von Sandwinden aus der Sahara für drei Tage auf der Insel festsaßen oder Buenos Aires...

Mein Handy brummt und ich sehe, dass es Dave ist, der anruft.
„Hey Raphael", sagt er, als ich den Anruf annehme. „Wie sieht's denn jetzt aus mit dem Hühnchen?"
Ich seufze und setze mich auf.
„Eigentlich bin ich total erledigt, Dave."
„Ach komm schon", drängt er. „Wann haben wir nochmal die Gelegenheit einen Abend zusammen in Windhoek zu haben? Ich muss morgen früh schon wieder nach Johannesburg."
„Alles klar, Dave", willige ich ein. „Ich bin in zehn Minuten soweit. Wohin soll ich?"
Er gibt mir die Adresse, die ich dem Taxifahrer nennen darf und wir verabreden uns dort.

•••

Zwanzig Minuten später stehe ich vor einem vor Touristen nur so wimmelnden Restaurant, welches ganz klar einer Kette angehört, und bereue bereits, auf Daves Angebot eingegangen zu sein. Dies ist ganz und gar nicht das, was ich mir unter einem angenehmen Abend vorstelle.

Dave winkt mir von einem Tisch aus zu und ich setze mich missmutig zu ihm.
„Alles okay, Raphael?", fragt er und ich schüttele den Kopf.
„Ganz schön voll hier", gebe ich zu und er nickt freudig.
„Der Laden ist immer total voll, war letztens in einem Reiseführer als Geheimtipp gelistet."
„So geheim scheint er ja dann nicht mehr zu sein", brumme ich und zucke schon fast zusammen, als ich eine Gruppe älterer Menschen sehe, alle mit Sonnenbrillen, breiten Safarihüten und Kameras an langen Bändern ausgestattet.

„Die haben wohl auch alle den Artikel gelesen", lacht Dave neben mir und greift nach einer der schlecht laminierten, klebrigen Speisekarten. Mir ist der Appetit gänzlich vergangen und ich zerbreche mir den Kopf, wie ich dieser Situation möglichst galant entkommen kann, ohne Dave vor den Kopf zu stoßen.

Mein Begleiter ist schon vollkommen in der Speisekarte versunken und schwärmt davon, wie gut das Hühnchen mit den Kochbananen ist, als ich mir theatralisch an den Kopf fasse und sage: „Oh nein! Ich habe mein Handy im Taxi vergessen!"
„Was?", fragt Dave entsetzt und sieht mich mitleidig an. „Und nun?"
„Ich muss zurück ins Hotel, damit die mir helfen können", erkläre ich und stehe auf.
„Meinst du, die können das?"
„Bestimmt. Die arbeiten eng mit dem Taxiunternehmen zusammen."
„Aber hat das nicht vielleicht Zeit bis nach dem Essen?"
„Nein, Dave", erkläre ich empört. „Meine Mutter hat morgen einen wichtigen Arzttermin, da ist es dringend notwendig, dass ich erreichbar bin."
„Oh, okay", entgegnet er betreten. „Soll ich dich beglei-"
„Nein, schon gut!", unterbreche ich ihn. „Vielleicht geht es ja ganz schnell, iss' du ruhig. Ich melde mich."

Dave blickt mich mitleidig an, als ich ihm zuwinke und mich zwischen einer weiteren Gruppe Touristen hindurchdränge.

Zu Fuß gehe ich die Straße entlang, in der sich dieses Höllenloch befand und stelle zu meiner Erleichterung fest, dass die touristisch geprägten Läden ab der dritten Querstraße weniger werden und ich nach zwei weiteren Blocks vollkommen meine Ruhe habe.

Hier gibt es fast ausschließlich Wohnhäuser, kleine lokale Lebensmittelgeschäfte und verlassene, leerstehende Läden. Mein Magen grummelt etwas und so spreche ich einen jungen Mann, der so aussieht als wäre er von hier, an: „Hi, könnten Sie mir ein gutes Restaurant in der Nähe empfehlen?"

Er lächelt und will mir bereits die Touristenmeile vorschlagen, doch ich schüttele schnell den Kopf und erkläre verzweifelt: „Bitte keine Touristen. Ich weiß, ich sehe selbst aus wie einer, aber ich möchte einfach nur meine Ruhe haben."
Er lacht und nickt.
„Kann ich gut verstehen", stimmt er mir zu. „Eine Straße weiter gehst du rechts und dann am Ende, dort ist eine kleine Bar. Frag nach Abiola. Sag ihr, Ngunoue schickt dich und du sollst ihr Yam probieren."
„Ich danke dir, Ngunoue", sage ich freundlich und klopfe dem netten Mann auf die Schulter.
„Genieße das Yam, mein Freund", verabschiedet er sich und geht weiter.

Wie Ngunoue mir gesagt hat, folge ich seiner Wegbeschreibung und finde die beschriebene Bar. Sie ist so winzig, dass nur ein kleiner Tisch davor steht und beim Blick nach innen erkenne ich auch dort nur einen einzigen Tisch. Ich entscheide mich für den Platz an der Straße, da ich hier das bunte Treiben auf der Straße besser beobachten kann und kurz nachdem ich mich gesetzt habe, steht eine junge Frau vor mir.

„Hallo", grüße ich sie freundlich. „Ngunoue schickt mich, ich soll nach Abiola und ihrem Yam fragen."
Die Frau lacht ein breites Lachen und nickt fröhlich. „Ich bin Abiola und ich will verrückt werden, dass ich heute ausschließlich Weiße als Gäste habe."
Fragend sehe ich sie an und sie deutet in die kleine Bar.

Dort, am einzigen Tisch im Raum, nimmt gerade ein großer Mann Platz – offenbar kam er soeben aus dem hinteren Bereich des Lokals – und ich bin kurz davor, ebenso verrückt zu werden wie Abiola, denn der Mann ist Milan.

Weltenbummler | ✓Where stories live. Discover now