Windhoek II

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Fast schon zögerlich betrete ich die kleine Bar und bleibe in der Tür stehen. Ich betrachte den Mann, der dort an dem Tisch sitzt und durch die Bilder im Speicher seiner Kamera zu blättern scheint. Seine Haare sind wie beim letzten Mal chaotisch und er trägt ein dunkelblaues T-Shirt, seine Haut leicht glänzend, weil Abiolas Bar über keine Klimaanlage verfügt.

Das letzte Mal als ich Milan sah, war es dunkel und wir waren auf einem anderen Kontinent, aber nach dieser Nacht würde ich ihn dennoch unter Tausenden wiedererkennen. Mehr als einmal habe ich mich seitdem gefragt, was aus ihm geworden ist und warum ich ihn in dieser Nacht nicht nach seiner Nummer gefragt habe.

Mir ist bewusst, dass es nur schwierig sein kann, bei dem Leben, das ich führe, einen Partner zu finden, der das akzeptieren und auch tolerieren kann und darum habe ich mich schon vor einiger Zeit mit der Tatsache abgefunden, zwar viele Freunde und Bekannte in allen Ecken der Welt zu haben, aber dass es wohl den einen Menschen für mich nicht gibt.

Doch nun stehe ich hier, in der vermutlich winzigsten Bar des Landes, in dem wir gerade sind, und blicke auf den Mann, der mir die unglaublichste Nacht seit Ewigkeiten beschert hat.

Milan muss das Gefühl haben, beobachtet zu werden, denn er runzelt seine Stirn und blickt von seiner Kamera auf. Als er mich im Türrahmen lehnen sieht, weiten sich seine Augen überrascht und ein stummes „Raphael" liegt auf seinen Lippen.

„Bist du auch hier, um Abiolas Yam zu probieren?", frage ich möglichst unverfänglich und versuche, mir das Rasen meines Herzens in meiner Brust nicht anmerken zu lassen.

Milan steht hektisch auf, reißt dabei fast den kleinen, hölzernen Tisch um, an dem er sitzt, und kommt auf mich zu. Seine warmen Hände legen sich auf meine Oberarme und er schüttelt ungläubig den Kopf, seine Augen fassungslos, aber glücklich funkelnd.

„Was tust du hier?", fragt er lachend und ich grinse. Er findet den Umstand, dass wir uns ausgerechnet hier begegnen offenbar ebenso unwahrscheinlich wie ich.
„Das Gleiche könnte ich dich fragen."
„Sie kennen sich?", fragt Abiola amüsiert hinter uns und kommt auf uns zu.
„Könnte man so sagen", murmelt Milan, ohne seinen Blick von mir zu nehmen. In seinen Augen erkenne ich, dass er an unsere Nacht in Buenos Aires zurückdenkt und auch mich durchfährt ein wohliger Schauer bei der Erinnerung daran.

„Dann mache ich euch zweimal das Yam", verkündet unsere Gastgeberin. „Los, setzt euch! Setzt euch!"
Lachend scheucht sie uns zu Milans kleinem Tisch, an dem wir beide Platz nehmen, ohne unseren Blickkontakt dabei abbrechen zu lassen.

„Ich kann nicht glauben, dass ich dich hier treffe", sage ich leise und lasse es zu, dass er meine Hand unter dem Tisch greift und unsere Finger miteinander verschränkt.
„Ich dachte, ich sehe dich nie wieder", flüstert er und lächelt noch immer vollkommen ungläubig.

Abiola kommt zu uns und stellt zwei gekühlte Bierflaschen vor uns auf den kleinen Tisch.
„Yam kommt gleich", kündigt sie an und Milan und ich lachen beide. Wir nehmen die Bierflaschen und ich sage kopfschüttelnd: „Auf zufällige Begegnungen."
Milans Zunge befeuchtet seine Lippen und er nickt, bevor er seine Flasche gegen meine stößt und antwortet: „Auf zufällige Begegnungen."

•••

„Abiola, dieses Yam ist das Göttlichste, was ich seit langem kosten durfte", lobe ich unsere Gastgeberin wenig später, als ich mich vollends gesättigt auf dem kleinen Stuhl zurücklehne. Noch immer hält Milan meine Hand unter dem Tisch und jedes Mal, wenn sein Daumen über meinen Handrücken streicht, durchfährt mich ein wohliges Schaudern.

„Möchtest du mir jetzt verraten, was du in Windhoek tust?", frage ich ihn interessiert und seine Augen weichen meinem Blick für eine Sekunde aus.
„Ich bin beruflich hier", antwortet er nur und ich habe das Gefühl, dass er mir nicht mehr sagen möchte. Ich kann seine Zurückhaltung verstehen, denn auch ich habe schon nach kurzer Zeit in meinem Beruf als Pilot aufgehört, die Wahrheit über mein Leben zu erzählen.

Zu oft wurde man von Bekanntschaften angesprochen, ob man sie vielleicht mitnehmen oder ihnen Flüge besorgen könnte und jedes Mal drehten sich alle Unterhaltungen anschließend nur noch um meine Arbeit.
Ich liebe meinen Job, aber das bedeutet nicht, dass ich nur darüber definiert oder darauf reduziert werden möchte.

Dennoch bin ich bei Milan neugierig und sehe ihn prüfend an.
„Beruflich?", hake ich nach und er zuckt mit den Schultern.
„Pilot", antwortet er, doch an der Tatsache, dass er mich nicht ansieht, sondern die Reste seines Essens auf dem Teller umherschiebt, spüre ich, dass er mir nicht die Wahrheit sagt. Daran und anhand des Wissens, dass ich alle Piloten der Fluggesellschaften, die Windhoek anfliegen, zumindest beim Namen kenne, und keiner von ihnen Milan heißt.

„Ist das so?", hinterfrage ich skeptisch und er seufzt.
„Wollen wir wirklich über die Arbeit sprechen oder lieber über den unglaublichen Zufall, dass wir uns beide hier wieder begegnen?", erwidert er und drückt meine Hand.
„Okay", flüstere ich und winke Abiola heran, um unser Essen zu bezahlen.

Draußen ist es bereits dunkel und anders als in Buenos Aires deutlich kühler; jetzt, wo die Sonne nicht länger vom Himmel brennt.
„Mein Zimmer ist nur zwei Querstraßen weiter", erklärt Milan, ohne meine Hand loslassen zu wollen. „Ich möchte nicht unhöflich oder zu dreist erscheinen, aber möchtest du mich vielleicht begleiten?"

Ich zögere, doch die Art wie er mich ansieht, lässt mein Inneres wieder in dieses Feuer ausbrechen und so spüre ich, wie mein Kopf ohne mein Zutun nickt und er mich mit sich zieht.

Auf dem Weg sprechen wir kein Wort und in mir tobt ein Kampf. Soll ich das wirklich tun? Schon wieder? Was denkt er von mir, dass ich schon wieder mit ihm gehe? Andererseits bin ich schon lange allein, kurze Liebschaften waren noch nie etwas für mich, doch diese Nacht in Argentinien mit ihm war anders als alles, was ich bisher erlebt habe. Und wie hoch sind die Chancen, dass wir uns nach diesem Abend wiedersehen?

Mein Kopf kalkuliert die Anzahl der Städte, die ich in einem Jahr anfliege, die Häufigkeit, in der ich ein und denselben Menschen ein zweites Mal traf und bis auf dieses eine Mal, liegt diese bei Null.
Mein Herz macht kleine Hüpfer, als er die Tür zu dem unscheinbaren Haus, in dem er offenbar übernachtet, öffnet und mein Bauch sagt mir, dass dies wohl meine letzte Gelegenheit auf noch so eine unglaubliche Nacht sein wird und ich unsagbar dumm wäre, diese verstreichen zu lassen.

Und so folge ich meinem Bauchgefühl, beschließe, das hier richtig zu genießen und lasse mich bereitwillig in den winzigen Raum mit dem schmalen Bett ziehen.

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