Barcelona II

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Im Taxi wähle ich Livs Nummer und sie beantwortet meinen Anruf verhältnismäßig schnell.
„Raphael", sagt ihre überraschte Stimme.
„Bist du überhaupt in Barcelona?", knurre ich und kann sie verblüfft nach Luft schnappen hören.
Als keine Antwort kommt, weiß ich sie auch so.
„Das ist echt das Letzte, Olivia."
„Raphael, bitte", jammert meine Freundin. „Habt ihr wenigstens geredet?"

„Worüber denn?", schreie ich ins Telefon und kämpfe gegen die blöden Tränen an.
„Raphael, so konnte es nicht weitergehen."
„Doch, Liv! Konnte es und ist es. Und ich war fein damit!"
„Das glaube ich dir nicht."
„Darum geht es nicht! Du solltest dich da raushalten! Habe ich dir irgendetwas getan, dass du mir mein Leben ruinieren willst, Olivia?", schnauze ich.

„Habt ihr denn überhaupt über irgendetwas geredet?", fragt Liv leise, statt mir zu widersprechen.
„Nun, da du diese Information ja vermutlich brühwarm von Milan bekommen wirst, kann ich dir auch gleich sagen, dass nun alle Karten auf dem Tisch liegen", spucke ich.
„Alle?"
„Ja, Liv! Ich habe ihm gesagt, dass ich die ganze Zeit in ihn verliebt war. Jetzt könnt ihr euch schön darüber unterhalten und lachen, wie dumm der gute, alte Raphael war."
„Hast du ihn zu Wort kommen lassen?", will Liv wissen und ich starre mein Telefon vollkommen fassungslos an. Hat sie jetzt restlos den Verstand verloren?
„Sorry, nein. Aber auf eine Mitleidslüge hatte ich wirklich keine Lust."
„Raphael, er–"

Wütend drücke ich auf den roten Button, der den Anruf beendet und werfe das Telefon neben mir auf den Sitz.
Mein Display leuchtet kurz darauf auf und ich sehe, dass Liv mir eine Nachricht geschickt hat.

Liv

Er ist auch in dich verliebt.

Ungläubig starre ich auf das Telefon und nehme es ganz vorsichtig wieder in die Hand, sehe dass Liv noch immer zu schreiben scheint.

Liv

Darum ist er gegangen. Er
wollte es dir nicht sagen,
weil er dachte, du liebst
einen anderen.

„Señor", rufe ich dem Taxifahrer zu. „Volver por
favor!*"
Verwundert runzelt der Taxifahrer die Stirn und wendet wie gewünscht an der nächsten Kreuzung.

Kurze Zeit später hält er wieder vor dem Restaurant und ich gebe ihm zu den Fahrtkosten noch ein saftiges Trinkgeld, bevor ich aussteige.

Zurück im Restaurant sehe ich, dass Milan noch immer an dem kleinen Tisch sitzt und wie zuvor aus dem Fenster starrt. Es scheint, als wäre ich gerade einmal zwei Minuten weggewesen, dabei ist seitdem bestimmt eine halbe Stunde vergangen.

Vorsichtig gehe ich auf den Tisch zu und rutsche auf meinen Stuhl ihm gegenüber. Er sieht mich nicht an, sein Blick starr aus dem Fenster gerichtet, seine Finger ruhelos an seinem Kameragurt.

„Ist es wahr?", frage ich leise und Milan atmet tief durch.
„Spielt es denn eine Rolle?"
„Warum hast du nichts gesagt?", wispere ich.
„Warum hast DU nichts gesagt?", faucht er und ich zucke erschrocken zusammen.
„Ich... wir... du hast immer gesagt, wir sind nur Freunde", stammele ich.
„Ja, Raphael", seufzt Milan und sieht auf einmal unsagbar müde aus. „Das habe ich. Weil du das wolltest."

„Ich wollte das?", frage ich entsetzt.
„Du hast gesagt, alles andere endet nicht gut", erklärt Milan leise. „Also habe ich mich dem gefügt und wollte dein Freund sein. Ich dachte, das reicht mir. Aber... das tut es nicht. Es reicht mir nicht, nur dein Freund zu sein. Und dann erzählst du mir, dass du in jemanden verliebt bist und..."
Seine Hände umklammern den Gurt seiner Kamera.
„Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dich mit jemand anderem zu sehen. Darum ging ich. Es war egoistisch und es tat so weh, das tut es noch immer, aber ich konnte das nicht mehr."

Betreten sehe ich auf die Speisekarte, die noch immer auf dem Tisch vor mir liegt.
„Ich hatte keine Ahnung", flüstere ich und komme mir gerade unendlich dumm vor. All diese Monate, all diese Treffen, mein ganzes Leid und der Herzschmerz, den ich wegen Milan hatte, all das hätte ich vermeiden können, wenn ich einfach mal den Mund aufgemacht und ihm seine einzige Notlüge verziehen hätte.

Milan lacht lautlos und flach.
„Ich auch nicht", brummt er. „Das hätte uns einiges erspart."
„Wem sagst du das", murmele ich gedankenverloren.
Milan lehnt seinen Kopf in den Nacken und stöhnt gequält auf. „Du hast keine Vorstellung, wie oft ich kurz davor war, dich einfach zu küssen. Auch auf die Gefahr hin, dass du mich wegstößt."

„Ich wollte es dir sagen", gebe ich zu und er sieht mich fragend an. „In Moskau. Als der Anruf aus dem Krankenhaus kam. Da war ich gerade im Begriff dir zu sagen, dass du es bist."
Milans Hände verschwinden in seinen Haaren, wie immer, wenn er nervös oder ratlos ist. Er atmet noch einmal tief durch und sieht mich direkt an.

„Okay", sagt er entschlossen. „Wir fangen nochmal an."
„Was?"
„Wir fangen nochmal an. Ganz von vorn", kündigt er an und winkt den Kellner heran.
Der junge Mann kommt lächelnd an unseren Tisch und Milan sagt: „Hola, una cerveza por favor."
Der Kellner nickt mit einem „Sí, claro" und wendet sich mit einem „¿Y usted?" an mich.
„Gin Tonic por favor", antworte ich und er verschwindet freudig.

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen und Milan sieht mich fragend an.
„Was ist?"
„So geht das nicht", sage ich.
„Wieso nicht?"
„Er hat dich nicht angemacht."
Milan fasst sich theatralisch an die Stirn.
„Ach, Mist! Und jetzt? Ich hab da ein Stück die Promenade runter eine Gay Bar gesehen, sollen wir es da–"

Ehe er weitersprechen kann, habe ich mich über den Tisch gebeugt, den Kragen seines T-Shirts gepackt und ihn an mich gezogen.
„Dann improvisiere ich eben", hauche ich, bevor ich meine Lippen endlich wieder auf seine lege.

_______
* Drehen Sie bitte um!

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