Los Angeles

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Die Sonne scheint und ich bin froh, zur Abwechslung mal in meinem Heimatland zu sein, als ich das Flugzeug sicher in Los Angeles auf den Boden bringe.

Kaum dass ich den Flughafen verlasse und mein Handy einschalte, habe ich schon eine Nachricht von Milan.

Milan

Dienstag bis Freitag
L.A. Du?

Ich schaue in meine Kalender-App. Heute ist Montag. Da werden wir uns wohl knapp verpassen, denn ich muss morgen früh schon weiter.

Milan

Gerade genau dort
gelandet.

Ernsthaft? Cool!

Nicht cool, morgen 5:00h
geht's schon wieder weiter
nach Seattle.

Trotzdem cool.

Wieso?

Weil ich in 20 Minuten
lande.

Und du hast dein Handy an?

Das sind doch alles nur
Ammenmärchen, Raphael.

Mach dein Handy aus und
beweg deinen Arsch her.
Ich warte solange.

Ich fliege schon schneller! :)

Handy aus!!

Augenrollend und grinsend stecke ich mein Telefon ein und gehe wieder zurück ins Flughafengebäude.

Milan und ich sind nur Freunde, aber dennoch freue ich mich jedes Mal wie ein Trottel, wenn er sich meldet oder wir es sogar schaffen, uns auf unseren Reisen zu treffen.

Seit einem halben Jahr geht das nun schon so. In Wien haben wir unsere Nummern ausgetauscht und seitdem schreiben wir nicht unbedingt täglich, aber doch sehr regelmäßig und immer dann, wenn Milan gerade unterwegs zu einer neuen Destination ist, um Bilder zu machen. Das ist fast so häufig wie ich fliege.

Im letzten Monat bekamen wir ganze vier Treffen hin, drei davon in Europa und sogar ein ganzer Tag war dabei. Das war in Athen und ich durfte Milan zu seiner Fotosession begleiten. Er hat die ganze Zeit geredet und Bilder gemacht und als er schließlich zugab, total hungrig zu sein, konnte ich mit meinem Wissen über ein winziges Restaurant in der Nähe der Akropolis punkten. Wir saßen den ganzen Abend draußen, tranken Ouzo und tauschten Berichte über lustige Reiseerfahrungen aus.

Milan und ich verstehen uns wirklich gut. Er ist humorvoll, schlau und hat immer etwas zu erzählen, kann aber ebenso gut schweigen und mir zuhören, wenn ich etwas zu berichten habe. Relativ schnell haben wir beide beschlossen, beieinander eine Ausnahme zu machen, was das Sprechen über die Arbeit betrifft, denn wir durften feststellen, dass es enorm guttut, mit jemandem darüber zu reden, der nicht direkt involviert ist.

Ich stehe an dem Gate, an dem Milans Flieger landet und bin nicht überrascht, dass er einer der Ersten ist, die direkt nach draußen treten. Für wenige Tage reist er nur mit Handgepäck. Als er mich erblickt, beginnt er zu strahlen und auch ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Seine Haare sind an einer Seite etwas plattgedrückt
– vermutlich hat er vor unserem Telefonat geschlafen – und sein graues, kurzärmliges Hemd ist leicht zerknittert. Er kommt auf mich zu und umarmt mich kurz, bevor er mir freundschaftlich auf die Schulter klopft.
„Schön dich zu sehen, Raphael", freut er sich.
„Gut geschlafen?", kichere ich und wuschele durch seine platten Haare.
„Erwischt", grinst er beschämt und sieht an sich herab. „Und ich werde Chad sagen, dass ich nie wieder ein Hemd zu einem Flug anziehe."

Ich nicke lachend und gemeinsam gehen wir zum Ausgang des Flughafengebäudes.
„Wo übernachtest du?", will Milan wissen, als ich uns ein Taxi heranwinke.
„Holiday Inn", entgegne ich. „Nichts spektakuläres."
„Ich bin in einem Appartement", sagt er skeptisch und ich sehe ihn fragend an.

Ein Taxi hält vor uns, wir steigen ein und ich nenne dem Fahrer die Adresse meines Hotels.
„Airbnb", erklärt Milan schulterzuckend.
„Na dann viel Glück dabei", antworte ich mitleidig und lache auf, als er mir scherzhaft gegen den Arm schlägt.
„Vielleicht ist das die beste Übernachtung überhaupt und du wirst mich um meine Unterkunft und meinen Gastgeber beneiden in deinem langweiligen Holiday Inn", meckert er und ich lache noch lauter.
„Bestimmt werde ich das, ähnlich wie vor zwei Monaten in Bordeaux, oder?"

Ich checke ein und Milan wartet währenddessen in der Lobby des Hotels. Als ich umgezogen wieder zu ihm komme, sieht er fast ein wenig enttäuscht aus.
„Was ist los?", will ich wissen.
„Du hast dich umgezogen."
„Ja", lache ich. „Ich gehe ungern in Uniform zum Essen. Sushi?"
„Unbedingt", lässt er mich wissen und steht auf. „Aber du siehst trotzdem echt heiß in der Uniform aus."
„Lass den Scheiß, Henderson", winke ich ab und versuche, das Kribbeln in meinem Bauch zu unterdrücken.
Nur Freunde.

Wenig später sitzen Milan und ich in einem Sushirestaurant etwas außerhalb der Stadt und tunken die kleinen Rollen in die dargebotenen Dips.
„Wie geht es Chad und Sam?", frage ich nach.
„Oh, geht so", erwidert Milan kauend und ich runzele die Stirn.
„Geht so?"
„Es gab Krach und Sam ist einfach mal für eine Woche in ein Hotel nach Costa Rica abgehauen."
„Autsch", mache ich. „Keine gute Sache."
„Nein, besonders mit Chad, der immer lieber alles direkt klären und aus der Welt schaffen will."

„Das würde mich auch fertig machen", überlege ich. „Meinst du, sie raffen sich wieder zusammen?"
Milan zuckt mit den Schultern.
„Keine Ahnung, das bleibt abzuwarten. Aber wenn Chad einen Schlussstrich zieht, bleibt der das meistens auch."
„Oh, okay", sage ich interessiert. „Kennt ihr euch schon so lange?"
„Ja", erwidert Milan und stibitzt sich ein
Lachsröllchen von meinem Teller. „Wir waren mal zusammen."

Meine Augenbrauen rutschen ungefragt nach oben und ich habe Mühe, ein neutrales Gesicht zu behalten. Milan und der hübsche Chad. Wow. Keine Überraschung, aber dennoch tun sich unzählige Fragezeichen in meinem Kopf auf.
„Er hat es beendet und das Ganze ist schon über sechs Jahre her", scheint Milan meine Gedanken lesen zu können und beantwortet zumindest zwei der vielen Fragen, die sich mir unweigerlich stellen.

„Hey, alles gut", wälze ich ab und lehne mich zurück. „Geht mich ja nichts an."
„Ich wäre ebenso neugierig und es ist nichts dabei", erklärt Milan und kaut unbeirrt weiter.
„Alles klar", lächele ich unbeholfen und schiebe mit meinem Stäbchen die kleinen Sushiteile auf meinem Teller herum. Was soll ich dazu auch sagen?

„Raphael", sagt Milan ernst. „Wir können über alles reden, okay? Ich möchte auch nicht, dass du mir irgendwas verschweigst. Und wenn du jemanden kennenlernst, würde ich sehr gern davon erfahren, ebenso wie ich dir erzählen würde, wenn ich jemanden habe. So machen Freunde das."
„Ja", sage ich leise. „So machen Freunde das."

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