Moskau

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Milan

Moskau?

Stalkst du mich?

Nein, ich höre nur gut
zu :)

Du etwa auch?

Ich friere mir den Arsch
ab.

Ja, die russische Peitsche.

Das und die nicht
funktionierende Heizung
in meiner Pension.

Scheiße, ernsthaft?

Ja. Und der Typ, der hier
angeblich zuständig ist,
versteht nichts! Ich glaube,
der tut nur so, weil er keine
Lust hat, etwas zu
reparieren.

Dir ist klar, dass es heute
Nacht sehr kalt wird?

Ich hab mir schon eine lange
Unterhose und dicke Socken
gekauft.

Du spinnst. Komm her!

Was?

Ich fliege erst morgen Mittag.
Komm her, hier funktioniert
die Heizung und es gibt sogar
Roomservice.

Ich kann doch nicht einfach
auf die Kosten deiner
Fluggesellschaft ein Zimmer
nehmen.

Tust du ja nicht. Du bleibst
bei mir. Ich hab sogar ein
ausziehbares Sofa.

Du musst das nicht tun,
Raphael.

So machen das Freunde aber.
Also beweg deinen Arsch hierher.

Ich schicke ihm die Adresse meines Hotels und bestelle anschließend warmen Tee und Suppe über den Roomservice.

Eine halbe Stunde später klopft es an der Tür, als ich gerade den Roomserviceangestellten verabschiedet habe, und ein sichtlich durchgefrorener Milan steht vor meiner Tür.
„Hi", schlottert er und ich ziehe ihn schnell zu mir herein.

„Hey Frosty", begrüße ich ihn scherzhaft. „Gut, dass der Tee und die Suppe gerade kamen. Und danach kannst du auch noch in die heiße Wanne."
„D-Du hast eine W-W-Wanne?" Milans Zähne klappern regelrecht vor Kälte und er hält seine Arme dicht an seinem Körper.
„Mit heißem Wasser", verkünde ich und schiebe ihn ins Zimmer.

„K-Kann ich erst in d-d-die W-Wanne?", fragt Milan bibbernd und ich betrachte ihn besorgt.
„Okay", sage ich und eile ins Badezimmer, um die Badewanne mit heißem Wasser zu füllen. Da es keinen Badezusatz gibt, gebe ich einen Schuss meines Duschgels hinzu.

Zurück im Zimmer sitzt ein zitternder Milan auf meinem Bett und reibt sich verzweifelt die halb erfrorenen Hände.
„Und du wolltest die Nacht dort verbringen?", sage ich und setze mich zu ihm, um ihm über die Arme zu rubbeln.
„V-Vielleicht springt die Heiz-z-zung erst abends an", überlegt er und ich schüttele den Kopf.
„Los, ab ins Badezimmer mit dir", befehle ich und ziehe ihn ins schwülwarme Bad, wo die Wanne sich allmählich füllt.

„Ohh", macht Milan genussvoll. „Das riecht voll gut nach d-dir."
„Ist nur mein Duschgel", rede ich mich heraus. „Handtücher liegen dort, ich bin gleich hier draußen, wenn was ist–"
Milans eiskalte Hand packt mein Handgelenk und er sieht mich bittend an.
„B-Bleibst du hier?"
„Was?"
„W-Wir könnten uns unterhalten. Ich finde Baden so langweilig."
Ich schlucke und nicke.
„Okay."

Und so stehe ich inmitten einer dampfigen Wolke in einem winzigen Badezimmer in Moskau und beobachte, wie mein guter Freund Milan Henderson sich langsam vor mir auszieht.

Liv hätte ihre helle Freude daran, hat sie mich seit ich ihr von Milans und meiner „Freundschaft" berichtete, doch nicht mehr mit ihrem Gefasel über Schicksal und ‚Aus Freundschaft wird bald mehr' in Ruhe gelassen. Es war vollkommen sinnlos, ihr wieder und wieder zu betonen, dass Milan und ich nur Freunde sind und auch nachdem ich ihr erzählt hatte, dass er offenbar sehr routiniert darin ist, wie sein ehemaliges Verhältnis zu oder mit Chad ja beweist; Liv beharrt auf ihrem Standpunkt, dass da mehr zwischen uns ist.

Und während ich Milan so betrachte, muss ich dem Drang widerstehen, nicht laut zu seufzen oder ihn gar zu berühren, denn die Wahrheit ist, dass diese Freundschaft mich zerfrisst. Zu wissen, dass ich ihn nie ganz haben werde; zu wissen, was ich verpasse. Das war zuvor, als wir uns nur flüchtig kannten und nie wirklich viel gesprochen hatten, schon hart für mich. Doch in den letzten Wochen und Monaten habe ich die Person Milan Henderson kennengelernt und ob ich will oder nicht, mag ich ihn noch mehr als vorher.

Seit wir nur Freunde sind, hat keiner von uns beiden das Thema Buenos Aires oder Windhoek angesprochen und mehr als einmal war ich kurz davor, ihn zu fragen, ob er manchmal daran denkt, doch genau in diesen Momenten betonte er wieder einmal, dass wir Freunde sind und mich verließ der Mut. Und so muss ich mich mit der Tatsache abfinden, dass er, feinfühlig wie er ist, mein Vorhaben gespürt haben muss und einer unangenehmen Unterhaltung aus dem Weg gehen wollte, in der er mir sagt, dass nie etwas aus uns werden wird und er mir nicht mehr als seine Freundschaft bieten kann.

Ich sehe mich hilflos in dem kleinen Bad um und überlege, wo ich mich hinsetzen könnte, als ich sehe, wie Milan seine Boxershorts herunterzieht. Eilig flitze ich zurück ins Hotelzimmer und atme dort tief durch.
„Wo willst du hin?", ruft Milan mir nach.
„Ich hole uns nur den Tee", erwidere ich laut und hoffe, er hört nicht das Zittern in meiner Stimme.

Wir sind nur Freunde, Raphael, rede ich mir in meinem Kopf gut zu. Er ist kurz vor dem Erfrieren und kann sich wohl kaum in Klamotten in die Wanne legen. Er ist nur ein Mann wie alle anderen. Wenn du im Fitnessstudio oder im Schwimmbad duschst, sind da auch andere nackte Männer, die du nicht gleich anspringen willst.
Aber diese Männer sind auch nicht Milan Henderson. Nur Freunde. Nur Freunde. Nur Freunde.

„Aus der Hotelküche?", höre ich Milan lachen und atme erneut tief durch, bevor ich die beiden Tassen und die heiße Kanne nehme und ins Bad zurückgehe. Zu meiner Erleichterung liegt Milan bereits in der Wanne und ich sehe nur seinen Oberkörper und sein hübsches Gesicht aus dem Wasser  ragen.
„Ha. Ha", mache ich und schenke etwas von dem heißen Getränk in eine der Tassen, die ich ihm reiche. Der blöde Löffel klappert leider etwas am Porzellan.

„Ist alles okay, Raphael?", fragt Milan und sieht besorgt auf meine Hand. „Du zitterst."
„Klar, dein Bibbern ist nur ansteckend", lüge ich und widme mich der zweiten Tasse. Zwar habe ich gerade überhaupt keinen Durst, aber so kann ich Milans eindringlichem Blick ausweichen.
„Weißt du, ich kann auch Platz machen, dann passen wir beide in die Wanne", höre ich ihn leise sagen.

Weltenbummler | ✓Where stories live. Discover now