Fire Island IV

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In einer weinroten Shorts und einem weißen T-Shirt stehe ich vor der Tür des großen Hauses mit der Glasfront. Inzwischen ist es dunkel und Liv und Wendy stehen kichernd hinter mir. Beide haben auf dem Weg hierher schon mit ein paar Shots vorgeglüht und haben nur ihre Arme umeinander gelegt, während sie sich hinter mir und der Flasche Rum in meiner Hand verstecken. Die letzten Meter hierher haben sie sogar ihre Stilettos ausgezogen und ich musste sie davon abhalten, die Schuhe nicht einfach im Sand liegen zu lassen.

„Wenn ihr weiter so gackert, erwarten die noch, dass ihr Eier legt", zische ich, was Wendy dazu animiert, Hühnergegacker zu imitieren.
„Ich denke, die Jungs da drin eher an deinen Eiern interessiert, Raph", prustet Liv und ich schüttele ungläubig meinen Kopf, obwohl ich mir ein Grinsen verkneifen muss.
„Was für Eier?", fragt genau in diesem Moment Chad, der uns die Tür öffnet.

Jetzt trägt er keine Badehose, sondern ein enges, kurzärmeliges Hemd und dazu eine ähnliche Shorts wie ich. Seine Füße sind barfuß.
„Keine Eier, nur Rum", presse ich hervor und drücke ihm besagte Flasche in die Hand.
„Ah, perfekt", freut er sich. „Kommt rein, ihr Hübschen. Raphael, du siehst toll aus. Ihr natürlich auch, Ladies."

Liv und Wendy brechen in weiteres Gekicher aus und winken ab.
„Schmachte du mal weiter Raphael an", lacht Liv. „Wir kommen klar."
Chad sieht mich fragend an und ich sage entschuldigend: „Stressige Hochzeitsvorbereitungen plus Shots zum Vorglühen macht zwei alberne Hühner."
Er hält uns die Tür auf und lächelt galant: „Dann ist für die gute Laune ja gesorgt. Fühlt euch ganz wie zu Hause. Drinks gibt es in der Küche, Musik und Tanz im Wohnzimmer und auf der Terrasse. Carlo ist schon voll dabei, er meint ja, er hätte eigentlich DJ werden sollen."

Ich lache und lasse mich von meinen beiden Hühnchen in die Küche zerren. Liv fackelt nicht lange, drängt sich zwischen muskulösen Männern hindurch – gibt es bei der Anreise nach Fire Island eigentlich eine Gesichtskontrolle? Hier sind nur schöne Menschen. Okay, überwiegend Männer, aber allesamt sowas von gutaussehend – und greift nach einem sauber aussehenden Glas.

„Wodka, Rum oder Tequila, Raphael?", fragt sie mich und lässt ihre Hand über den benannten Flaschen schweben.
„Eigentlich lieber Wasser", wende ich ein.
„Nix da", sagt sie streng. „Gin hätte ich noch. Mit Tonic sieht das doch auch aus wie ein Wasser, wenn wir die Gurke weglassen."
Ich rolle mit den Augen und wieder steht Chad neben mir.
„Komm schon, Raphael. Hör auf deine Freundin."

„Ja, Raphael. Hör auf deine Freundin", lacht auch Wendy neben Liv und schenkt bereits irgendetwas Alkoholisches in zwei Gläser ein. „Und dann kannst du dich gleich noch weiter mit ihm da unterhalten."
Lachend zeigt sie auf Chad, der verlegen seine Hände hebt.
„Kannst du machen, aber mehr auch nicht", lacht er. „Mein Freund kommt später auch noch, der ist noch beruflich unterwegs und verspätet sich etwas."
Ich sehe Wendy eindringlich an und diese zuckt mit den Schultern. „Zum Glück läuft hier ja noch mehr rum."

Ein kühles Glas wird in meine Hand gedrückt und Liv küsst liebevoll meine Wange.
„Nur gucken, Raphael. Keine Sorge, wir verraten es niemandem, wenn du Spaß hast."
„Ich hasse euch", murre ich und trinke einen Schluck. Der Geschmack des herben Longdrinks katapultiert mich gedanklich sofort zurück nach Argentinien und ich verziehe mein Gesicht.
„Du liebst uns und jetzt runter damit", befiehlt Liv und ich tue, was sie sagt.

•••

Es ist spät und ich bin müde. Liv und Wendy sitzen knutschend auf einem der Loungesofas auf der Terrasse und ich lehne missmutig am Geländer.

Es ist nicht so, dass ich keine Angebote bekommen hätte, denn die gab es heute Abend haufenweise, aber das Gespräch mit Liv zum Essen hat mich sentimental werden lassen.

Zwar ist Windhoek schon vier Monate her, aber ich muss leider zugeben, dass ich seitdem oft an Milan dachte und das nicht gerade mit einem guten Gefühl im Bauch. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, denn so wie Liv heute ihre Sicht auf die Dinge schilderte, hatte ich das Ganze bislang nicht betrachtet.

„Na?", reißt Chad mich aus meinen trüben Grüblereien. „Geht so mit dem Spaß, oder?"
Ich seufze.
„Tut mir leid, Chad. Tolle Party, alle sind super nett."
„Aber du bist mit deinen Gedanken woanders."
Ich nicke nur zustimmend.
„Weiß er es?"
„Wer?"
„Der Typ, über den du nachgrübelst. Vielleicht sagst du ihm, dass du über ihn grübelst. Kommunikation wirkt Wunder", sinniert Chad und ich winke ab.
„Es ist kompliziert", seufze ich.
„Das ist es immer", lächelt Chad. „Wenn du reden willst, ich bin ganz gut im Zuhören, wurde mir gesagt."

Lautes, freudiges Rufen einiger Männer kündigt weiteren Besuch an und Chads Gesicht beginnt zu strahlen. Offenbar ist sein Freund gerade eingetroffen, so wie seine Augen leuchten.
„Entschuldige mich", grinst er und geht ins Wohnzimmer, in das zwei weitere Männer kommen, die von den anderen umarmt und abgeklatscht werden. Einer der beiden hat dunkle Haare und auffallend braune Augen.

Der andere ist Milan.

Weltenbummler | ✓Where stories live. Discover now