Warum man nicht zu Fuß nach Hause gehen sollte

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Busfahren war doof. Nicht immer und allgemein, aber es wurde mies, wenn die Route im Verlauf der Fahrt an einer staatlichen Schule hielt und man im zarten Alter von siebzehn einen Anzug trug, der einen wie einen Bänker aussehen ließ, während alle anderen Kerle in normalen Sachen herumlaufen durften. Jedenfalls hatte ich mir öffentliche Transportmittel abgewöhnt, nachdem irgendwelche fremden Typen angefangen hatten, Witze über mich zu reißen. Meine Antwort darauf, ein höchst intelligentes und keineswegs versnobtes Eifersüchtig?, hatte mir damals nämlich für eine ganze Woche ein blaues Auge eingehandelt.

Verprügelt werden war echt nicht toll – das hieß, wenn die falsche Person zuschlug. Obwohl ich ja noch nicht einmal wusste, wie es tatsächlich wäre, sollte es jemals dazu kommen, dass Alexander mir eine langte. Im sexuellen Sinne natürlich. Ganz Banane war ich nämlich nicht.

Ich schüttelte den Kopf und blieb am Eingang zum Campusgelände stehen, lockerte zeitgleich die mintgrüne Krawatte um meinen Hals, ein zutiefst hässliches Teil, das ich eventuell gemocht hätte, müsste ich es nicht jeden Tag anziehen. Bei so etwas wurde ich leicht bockig.

„Kannst du mal nicht mitten im Weg rumstehen?" Ein älterer Kerl schob sich ungeduldig an mir vorbei. „Scheiß Kinder."

„Selber Kind!", zischte ich, gerade laut genug, dass er es nicht mitbekam. Zum Eigenschutz. Außerdem musste ich niemandem etwas beweisen, schließlich war ich fast volljährig. Das war fast erwachsen. Bereit, um Dates bis nach Mitternacht zu haben. Kinder hatten keine Dates bis nach Mitternacht, deren Sperrstunde begann, wenn der Mond hallo sagte.

Pfft.

Ich riss meinen Blick von dem Wichser los und schlurfte Richtung Freiheit, wenn man es denn so nennen konnte, während alle um mich herum von Angestellten abgeholt wurden oder eben selbst fuhren.

Wir hatten keine Angestellten. Und meine Mutter würde einen Teufel tun und ihren stöckelschuhigen Hintern ins Auto bewegen, um ihren Sohn abzuholen. Ich wohnte eh nur bei ihr, weil mein Vater jetzt eine neue Familie hatte und ich dort nicht hineinpasste. Laut ihm. Auf jeden Fall waren die Gerichtstermine übers Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht sehr interessant gewesen. Zwei Eltern, die sich darüber stritten, wer das nervtötende Wechselbalg behalten musste, nicht durfte.

Zum Kotzen.

Ich bog nach links ab.

Das Wetter teilte meine Meinung übers Leben und schickte erste Tropfen zu mir runter, weil why the fuck not, und vor mir lagen noch gute dreiunddreißig Minuten Fußweg. Das entsprach circa acht Liedern und einem klatschnassen Jonah.

Sehr gute Voraussetzungen, die meine Stimmung auch absolut nicht gen Untergeschossebene zwei beförderten. Ich liebte Regen, weil mein Immunsystem dermaßen toll funktionierte, dass schon ein seichtes Lüftchen für regelmäßige Mittelohrentzündungen reichte.

Bis letzte Woche hatte ich eine Mütze getragen. Wir hatten Anfang Mai.

Ich schob es auf den Klimawandel.

Mir entglitt ein Seufzen, irgendwo ganz tief aus der Brust. Es wäre cool, wenn ich wie in Amerika schon jetzt ohne Begleitung Autos fahren dürfte. Wobei ich dafür eh erstmal meinen Führerschein machen müsste. Aber dafür bräuchte ich die Kreditkarte meiner Mutter oder wahlweise ein eigenes Girokonto, auf dem sich mehr als zehn Euro befanden, was ich beides nicht besaß, damit ich lernte, mit Geld umzugehen. Weil man ja bekanntlich am besten lernte, mit Münzen und Scheinen zu hantieren, wenn man keine zur freien Verfügung hatte. Logik plus zehn.

Ich rieb mir übers Gesicht.

Eigentlich nutzlos, darüber zu sinnieren. Ich hatte kein eigenes Vermögen und ohne eigenes Vermögen keinen fahrbaren Untersatz. So einfach war das. Und trotzdem-

Morbid AppetiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt