Warum man keine Menschen provozieren sollte.

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Eine Party. Ich war noch nie in meinem Leben auf eine Party eingeladen gewesen. Ich meine, früher in der Grundschule schon, aber das zählte nicht, weil damals immer ausnahmslos die gesamte Klasse hatte kommen dürfen. So etwas war keine Einladung, das war eine Duldung.

Ich drehte den Zettel in meiner Hand.

Es könnte natürlich auch bloß eine Verarschung sein, aber das würde nicht erklären, warum Alexander die letzte Woche ständig in meiner Nähe aufgetaucht war und mich sogar angefasst hatte – wenn auch nicht auf die Art, die ich bevorzugt hätte. Außer er wollte mich zuerst anheizen, um mich anschließend vor einer möglichst großen Gruppe von Menschen zu demütigen. Alles irgendwie denkbar.

Ich brummte, faltete das Papier zusammen und stopfte es mir vorne in die Hemdtasche, damit es nicht verlorenging, bevor ich mir meinen Rucksack schnappte und die Treppen ins Erdgeschoss hinuntersprintete. Wo meine Mutter in der Küche bereits auf mich wartete.

Ein seltener Anblick.

„Heute Nachmittag habe ich einen wichtigen Termin", meinte sie und strich ihre Anzugshose glatt, obwohl da nichts zum Glattstreichen war. „Das heißt, du musst dir selbst etwas zu essen machen."

So eine Überraschung, das war ja noch nie vorgekommen!

Ich verdrehte die Augen, aber nur innerlich, und fummelte ein bisschen am Türrahmen herum. „Darf ich am Samstag zu einer Party gehen? Ich wurde gebeten, zu kommen."

„Du solltest deine Wochenenden zum Lernen nutzen und nicht zum Feiern. Das kannst du, sobald du deinen Master hast."

Nur dass ich gar keinen Master machen wollte. Und ich wollte bestimmt nicht erst damit anfangen, mein Leben in irgendeiner Weise zu genießen, wenn ich dreiundzwanzig war. „Die Party ist nicht einfach von irgendwem, sondern von-"

„Es ist mir vollkommen egal, wer dich eingeladen hat. Ich habe gesagt, du wirst nicht hingehen, also wirst du auch nicht hingehen."

Ich atmete tief ein. „Sie ist von Alexander."

Sie hielt inne. Ihr gerade noch wenig interessierter Blick fraß sich an meinem Gesicht fest. Und es kam nicht gerade oft vor, dass sie mich ohne äußere Ablenkungen ins Visier nahm. „Alexander Jekyll? Der Erbe von CeuticalPharm?"

„Jupp." Möglichst unauffällig nahm ich die Finger wieder vom Türrahmen, überkreuzte sie hinter meinem Rücken und wippte auf meinen Fußballen vor und zurück, überhaupt nicht nervös. „Genau der."

Noch einen kurzen Moment lang betrachtete sie mich, dann lachte sie laut auf. Knapp und bissig. „Und warum sollte jemand wie er ausgerechnet dich einladen?"

Autsch. Ich meine, klar, ich verstand schon, wie unwahrscheinlich das klang, vor allem, weil ich auch studiengangstechnisch keinerlei Kontakt zu ihm hatte, aber trotzdem. Hätte sie die Frage nicht netter formulieren können?

„Ja, also, das ist so, weil ..."

Weil er sich entweder über mich lustig machen oder mir an den Allerwertesten will, um mich direkt danach wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen, aber das ist okay, solange ich bloß ein einziges Mal-

Mama schnalzte mit der Zunge. „Lügst du mich an, damit du dich mit einem Mädchen treffen kannst?"

Ich blinzelte, völlig aus dem Konzept gebracht. „Was?"

„Du bist sechzehn, du brauchst dich noch nicht für Mädchen zu interessieren. Ende der Diskussion." Und als wäre es tatsächlich das Ende, schob sie mich an den Schultern beiseite wie eine stillgelegte Schaufensterpuppe und trat in den Flur, wo sie sich ihren Blazer überstreifte und mit Handtasche und Autoschlüssel bewaffnet die Tür öffnete. „Wehe, du kommst auf die Idee, dich am Samstag aus dem Haus zu schleichen, wenn ich mich mit meinem Klienten treffe. Die Alarmanlage wird eingeschaltet sein."

Morbid AppetiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt