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Keyden

„Ich trainiere nie wieder mit diesem Miststück!“, zischte Sammy und hielt sich ein Kühlakku auf sein blaues Auge, welches zugegebenermaßen noch die harmloseste seiner Verletzungen war. „Selbst Schuld, wenn du ihr sagst, dass sie vermutlich wie ein Mädchen schlägt“, brummte Ruben belustigt und sah Sammy kopfschüttelnd an, ebenso wie alle anderen im Raum. Wie konnte man auch nur so dumm sein?

„Nick hat recht. Hör auf wie ein Baby zu heulen! Das nervt dezent“, zickte Jara und schmiss eine Packung Piratenpflaster auf unseren demolierten Kumpel. 

Ich konnte mir ein lachen nicht verkneifen, als plötzlich ein lauter Knall durch das Haus hallte – und noch einer. Als ich mich umsah, erkannte ich Sammy mit starrem Blick und einem Loch in der Stirn auf dem Sessel sitzen, während Jara mir einem Aufschrei ihre Hand auf die Brust presste. Da sie heute ein weißes Sommerkleid angezogen hatte konnte man deutlich erkennen, wie sich langsam die rote Farbe ihres Blutes darauf ausbreitete. „Nick-“, sagte sie noch den Namen ihres Bruders, bevor sie mit ebenfalls starrem Blick in sich zusammenfiel.

Es brach mir das Herz, doch das durfte ich in Moment nicht zeigen. Nicht, bevor ich nicht sichergestellt hatte, dass kein weiterer meiner Freunde sterben würde.

Wir anderen wollten soeben unsere Waffen zeihen, als ich den Lauf einer Glock an meiner linken Schläfe spürte. „Wenn ihr nicht wollt, dass euer Junior abkratzt, solltet ihr lieber keine Waffe auf mich richten“, knurrte eine mir bekannte Stimme. Die anderen bewegten sich daraufhin tatsächlich nicht mehr, waren jedoch noch immer in Alarmbereitschaft. 

Mit mahlendem Kiefer sah ich zu Selenas ehemaligem Bodyguard, der es irgendwie geschafft zu haben schien aus dem Keller zu entkommen. Dennoch schaffte ich es gespielt gelangweilt und genervt auszusehen. Ich bereute es definitiv ihm nicht sofort umgebracht zu haben, aber diese kleine Folter war nun einmal nötig gewesen. Tja, hinterher ist man immer schlauer...

„Ich will nichts beschönigen, Bryn. Du siehst scheiße aus“, sagte plötzlich eine amüsierte Stimme hinter dem ehemaligen Bodyguard meiner Freundin.

Jeder im Raum konnte deutlich erkennen, wie Bryn zusammenzuckte beim Klang von Selenas Stimme.

„Oh, wie süß! Du erinnerst dich ja noch an mich“, säuselte mein Schatz, von der ich wünschte sie wäre nicht hier. „Hach, da kommen einem Erinnerungen hoch. Wie war das noch? Du hast Jack erzählt, dass ich mich seinen Anweisungen widersetzt und mich den Feind rangemacht habe. Das war es doch oder?“

Ich sah wie Bryn stark schluckte und den Griff seiner Glock noch verkrampfter umschloss. „Selena...“, begann er, doch sie unterbrach ihn mit scharfer Stimme.

„Hat er dir überhaupt gesagt, was er deshalb mit mir gemacht hat?“ Die Stimme meiner Freundin war so voller Hass und Schmerz, dass ich es riskierte meinen Kopf leicht zu drehen, um sie anzusehen.

Ihre wunderschönen grasgrünen Augen funkelten hasserfüllt, während sie ihrerseits eine Pistole an Bryns Hinterkopf hielt. Sie musste von hinten in den Raum geschlichen sein, als sie die Schüsse gehört hatte. In diesem Moment sah sie so unglaublich Selbstsicher aus, dass ich keine Sekunde daran zögerte, dass man mit ihr lieber nicht spaßen sollte. 

„Hat dir dein Lover erzählt, dass er mich schon seit Tagen in seinem beschissenen Keller foltert? Wahrscheinlich nicht, denn dazu müsste er dir vertrauen. Ich nehme an, er hat dir auch nicht verraten, dass-“

„Ich wusste es. Und er hat mit alles erzählt, du brauchst dir also gar nicht erst die Mühe zu machen deine unheilvollen Verkündungen kund zu machen. Er vertraut mir ebenso, wie ich ihm vertraue“, los sie so überzeugend, dass sogar ich geglaubt hätte ihr alles erzählt zu haben, wenn ich nicht die Wahrheit kennen würde.

„Dennoch hast du mir nicht meine Frage beantwortet. Aber so wie du mich ansiehst, scheinst du nicht zu wissen, was Jack getan hat.“

Bei ihrem Worten schluckte Bryn schwer, bevor er die Stirn runzelte. „Was sollte er de-“

„Erinnerst du dich an das erste mal, als du bestraft wurdest, weil du mich das Haust hast anzünden lassen, anstatt deinen Job zu machen?“, unterbrach meine Freundin ihm abermals und ich nahm mir vor sie irgendwann mal unbedingt zu fragen, wieso um alles in der Welt sie ein Haus angezündet hatte!

Bryn zuckte abermals zusammen, während seine Augen groß wurden und er sich ruckartig zu Selena umdrehte. Ich wollte schon eingreifen, doch der Blick, den sie mir zuwarf, sagte deutlich, dass sie wusste was sie tat, weshalb ich beschloss ihr zu vertrauen.

Meine unvorhersehbare Freundin schien mit Bryns Reaktion gerechnet zu heben, doch die währte sich nicht und folgte der Bewegung ihres ehemaligen Bodyguards. Dass er ihr so nah stand passte mir gar nicht, doch ich ließ es geschehen. Ich könnte ihn ja schließlich auch noch später, um diesen Freundinnen-Küsser kümmern. Er drehte sie mit den Rücken zu sich und strich ihr die Haare aus dem Nacken.

Verwirrt runzelte ich die Stirn, als ich sah, dass Bryn seine Waffe fallen ließ und perplex von Selena weg stolperte. Nach drei Schritten brach er schließlich zusammen und blickte mit leerem Blick auf seine Hände, während Selena sich jetzt zu ihm gedreht hatte und auf ihm herab grinste. „Er stellt in nächster Zeit erst mal keine Gefahr dar. Brynilein erlebt sein kleines Trauma gerade noch einmal in seinem inneren Augen durch, deshalb rate ich euch in jetzt dorthin zu bringen von wo er geflüchtet ist. So wie er aussieht, schätze ich mal auf euren tollen Keller.“

Nick setzte sich sofort in Bewegung, verständigte weitere Männer, um Sammy und Jara fortbringen zu lassen und packte Brynilein am Arm, doch der währte sich gar nicht, sondern ließ sich apathisch von Nick wegziehen. Mein Gott, was war denn bei der Familie Remorse los, dass alle immer in solche Zustände verfielen?!

Einige unserer Männer kamen ins Wohnzimmer gestürmt und hoben ohne Fragen zu stellen Jara und Sammy hoch, bevor sie sie weg trugen. Was sie mit Sammy machten wollte ich nicht wissen, aber bei Jara wusste ich, dass sie sich vorläufig konservieren würden, damit Nick sich von ihr verabschieden konnte.

Plötzlich fing Ruben an zu lachen. „Sammys letzte Worte waren: Ich trainiere nie wieder mit diesem Miststück!“

Selena legte Daumen und Zeigefinger gespielt überlegend auf ihr Kinn und legte den Kopf schief. „Wieso habe ich das Gefühl, dass ich damit gemeint bin?“ Nun konnte auch sie ihr Grinsen nicht mehr zurückhalten.

„Ist doch süß, seine letzten Worte galten dir!“, stellte Ruben fest und machte Herzchen mit seinen Händen, während Selena sich mit einem übertriebenem Awww! die Hand auf ihr Herz legte.

Ich wusste nicht ob ich die beiden dafür beneiden sollte, dass sie nicht trauern konnten oder bemitleiden. Sicher war jedoch, dass ich mich erschöpft fühlte, weshalb ich mich wortlos umdrehte und in den Trainingsraum ging, während Selena und Ruben weiterhin scherzten.

Noch während ich durch den Raum schritt zog ich mir mein Shirt über den Kopf und warf es achtlos auf dem Boden bevor ich anfing auf dem Boxsack einzuhämmern.

Ich schlug Jack, weil er seiner Tochter scheinbar etwas angetan hatte, was selbst einen 1,85 großen Kerl traumatisierte.

Ich schlug Bryn, weil Selena ihm gesagt hatte, was ihr Vater getan hatte und er am Tod meiner Freunde Schuld war.

Ich schlug Trauer und Frust weg, bis sich die Wut tief in mich gefressen hatte und meine Knöchel bluteten.

Ich schlug und schlug, während ich bemerkte, wie mir währenddessen Tränen über mein Gesicht liefen. 












Lying  LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt