Kapitel 17 - In der Wüste

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[Fred]


Die patagonische Wüste war eine weitläufige, karge Steppe. Nur wenige strauchige und dornige Büsche wuchsen aus dem trockenen Boden und die Stille der Weite wurde nur gelegentlich durch das Schreien eines Kondors durchbrochen. Es war kalt im winterlichen Juli von Argentinien und unter gewöhnlichen Umständen fand sich inmitten der Einöde nichts als frostiges Rispengras, erdfarbene Hasen und ein gelegentlich vorbeihuschendes Gürteltier.

In diesem Jahr jedoch war etwas anders. Wäre ein Wanderer zufällig auf die Idee gekommen, die Wüste zu durchqueren, so wäre ihm vermutlich nichts Merkwürdiges aufgefallen. Das einzig Ungewöhnliche wäre vielleicht die Tatsache gewesen, dass er, ohne es zu merken, ständig von seinem eigentlichen Weg abwich. Wenn er sich also vorgenommen hätte, vom argentinischen Teil Patagoniens Richtung Westen zum chilenischen Teil zu wandern, so würde er sich möglicherweise plötzlich an den Toren der Stadt Neuquén am dort entstehenden Río Negro wiederfinden. Auch Hirten, die mit ihren Viehherden eine bestimmte Route in der Steppe hatten nehmen wollen, stellten plötzlich fest, dass sie an ganz andere Orte gelangten als ursprünglich geplant. Manchen von ihnen fiel während ihrer Arbeit auch mit einem Mal ein, dass sie Daheim etwas Wichtiges vergessen hatten, oder aber eins der Tiere begann plötzlich, in eine völlig andere Richtung zu laufen und der Rest der Herde musste folgen. Im Großen und Ganzen jedoch wäre niemand auf die Idee gekommen, dass hier, inmitten der Einöde, etwas Seltsames, ja nahezu Magisches geschehen könnte. Und doch traf es sich, dass genau das der Fall war.

So waren bereits seit Wochen überall in der Umgebung merkwürdige Menschen in langen Umhängen und mit Spitzhüten auf den Köpfen aufgetaucht. Sie sprachen alle möglichen Sprachen und wirkten nun überhaupt nicht so, wie die lokale Einwohnerschaft es normalerweise tat. Mitte Juni war plötzlich eine ganze Gruppe japanischer Männer in langen Roben aufgelaufen, die in einem Café in der Stadt Bariloche am Fuße der Anden deshalb auffielen, weil sie wiederholt nach einem Getränk verlangten, von dem die dortige Belegschaft noch nie gehört hatte. Als auch der dazu gerufene Eigentümer des Cafés beteuerte, noch nie von so etwas wie Elfenwein gehört zu haben, ließen sich die Männer stattdessen die Empfehlung des Hauses bringen und versuchten anschließend mit klimpernden Goldmünzen zu bezahlen.

An einem besonders frostigen Morgen schließlich kam es, dass inmitten der patagonischen Wüste ohne Ankündigung und begleitet nur von einem leisen Knall vier Menschen und ein alter, rostiger Eimer auftauchten. Sie waren wie aus dem Nichts gekommen und dennoch wirkten sie, als wären sie nur gerade aus dem Bus gestiegen. Der Eimer, den alle vier umklammert hatten, fiel scheppernd zu Boden und die vier Personen sahen sich um. Es waren zwei Erwachsene und zwei Kinder; eine dunkelhäutige, hochgewachsene Frau mit langen, geflochtenen Haaren und ein rothaariger Mann, dem ein Ohr fehlte. An der Hand der Mutter hing ein neunjähriges Mädchen mit zwei buschigen Zöpfen und daneben stand ein Junge mit dunklen Locken und einem so breiten Grinsen, dass man es auch in hunderten Metern Entfernung noch sehen konnte.

Der Junge klopfte sich den Staub von der Hose und sah sich neugierig um. »Wo ist es denn nun?«, fragte er und drehte sich einmal um die eigene Achse, doch weit und breit war nichts als trockene Steppe zu sehen. Ein kleines Gürteltier kroch wenige Meter vor ihnen über den Boden, langsam und beständig, doch mit einem Mal schien es wie an einer unsichtbaren Wand abzuprallen. Es wich zurück, schüttelte verwirrt den Kopf und begann dann, in die Richtung davon zu krabbeln, aus der es gekommen war.

»Na los, kommt«, sagte Mrs. Weasley und griff nun auch ihren Sohn bei der Hand, der so aufgeregt war, dass er sie nicht sofort abschüttelte. Gemeinsam trat die kleine Familie einige Schritte vor bis zu der Stelle, an der das Gürteltier nicht weitergekommen war. Die Karten, die sich sorgsam aufgehoben in ihren Taschen befanden, sorgten dafür, dass sie, anders als das Tier, jedoch nicht zurückgeworfen wurden. Stattdessen war es, als würden sie durch einen Vorhang aus Watte treten.

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