2 | Saufen in Theorie und Praxis

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Als die Taxifahrerin vor der U-Bahn-Station anhielt, entdeckte ich Fede sofort. Er stand da, gegen eine Graffitiwand gelehnt, die Kapuze seines Hoodies auf dem Kopf. Seine Beine steckten in seiner engen Jogginghose, die ich so sehr an ihm liebte, verdammt. In nichts sah sein Arsch besser aus. Fede wirkte müde, wie er seinen Blick auf den Boden gesenkt hatte und die Hände in den Taschen vergraben. Mich hatte er noch nicht bemerkt.

»Stimmt so«, meinte ich und drückte ihr einen Fuffi in die Hand. 22,54 zeigte der Taxizähler an.

Dankend nickte sie mir zu. »Dafür, dass du mir die Karre vollgeblutet und fast vollgekotzt hast?«, grinste die ältere Frau mit dem türkischen Akzent und dem dunklen Dutt, der an einigen Stellen von Grau zersetzt war. Wir kannten einander, ich war schon öfter mit ihr gefahren. Sie war einer der hart arbeitenden Menschen aus unserem Viertel, dies schwer genug hatten, ihre Familien durchzubringen. Da waren paar Euro Trinkgeld nicht verkehrt.

»Pass auf dich auf, mein Junge«, sagte sie zum Abschied, ehe ich die Beifahrertür hinter mir zu fallen ließ und dann in Fedes Richtung ging. Da hob er seinen Blick, über sein Gesicht huschte ein schwaches Grinsen.

Hier hingen irgendwelche Jugendlichen rum, soffen Billo-Wodka und machten sich einen Spaß daraus, mit Feuerwerk herumzuballern. Eine Rakete schoss in die Richtung des wegfahrenden Taxis, sie johlten laut und klatschten sich an den Händen ab. Original wir, früher immer an Silvester.

Angenehmeres Publikum als in dem Bonzenloch. Hätte ich keine Sekunde länger ertragen, diese topgestylten Missgeburten, deren Perfektion mir den Mageninhalt hochtrieb.

»Ey, Bro, alles klar?«, rief einer von ihnen mir zu. Ich beschränkte mich auf ein Nicken, keine Zeit für sowas, und ich hatte eh keinen Plan, wer das war. Niemand, der wichtig für mich sein würde. In den letzten Monaten häuften sich die Menschen, die mit mir rumhängen wollten, weil sie sich persönliche Vorteile davon erhofften.

»Tut mir leid, Jay. Dass ich dich so kurzfristig versetzt habe«, erklärte Fede und klang ein wenig gestresst.

Ich begrüßte ihn mit Handschlag und zog ihn zu einer innigen Umarmung an mich ran. Stieß dabei irgendwie gegen seine Schulter. »Ja, kein Stress, Alter. Als hätts mich gejuckt.«

Fede sah mich skeptisch an. »Hast bestimmt die ganze Zeit auf den Handy geguckt und gewartet, dass ich schreib. Und dir mein Profilbild angeguckt.«

Ich stieß ihn in die Seite, konnte mir aber ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. »Wichser.«

»Was?«, lachte Fede. »Ich weiß noch ganz genau, als ich letztens zu dir gekommen bin und Lexie mich reingelassen hat und du in der Küche gesessen bist und da-«

Grob drückte ich meine Hand auf seinen Mund. »Schnauze.«

Ich sah ein Grinsen über Fedes Gesicht huschen, ehe er mir grob in die Finger biss. Schmerz war da keiner und ich sah ihn nur ausdruckslos an, während er fester biss. Und noch fester.

»Scheiß Kokser«, seufzte er, ehe er seine Lippen zurückzog. Tiefe Bisswunden waren auf meinen Fingern zurückgeblieben und ich wusste schon jetzt, dass sie sich morgen blau verfärben würden.

Ich grinste und ging ihm dann voran in den Spät. An der Glastür hing ein abgenutztes Plakat. Das Stadt gehört uns – Gemeinsam gegen Gentrifizierung Und da wunderten sich die Linken, dass sich keiner für sie interessierte. Was für Gentrifizierung, Alter, verstand doch keiner.

Fede hielt ich die Tür auf, was der mit hochgezogener Augenbraue und »Oha, ein Gentleman« quittierte. Unzählige Flaschen, Kippenschachteln und anderer Krimskrams empfingen uns, stickige Heizungsluft schlug in unsere Fressen. Zielstrebig nahm ich einen Sixer Sterni und drückte ihn Fede in die Hand, nahm einen zweiten selbst. Da tauchte auf einmal etwas Spitzes in meinem Rücken auf. Eine weitere Reihe Getränkekästen. »Du Hurnsohn, nich so frech, ey«, lallte ich.

Die Verlierer - Herz aus BetonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt