11 | Kontrollverlust

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Angespannt lehnte ich mich gegen den rostigen Twingo, den Tarek mir ausgeliehen hatte, um ein paar Sachen in unser Lager am Stadtrand zu bringen. Zwischen meinen Fingern brannte eine Kippe, mit meinem Blick suchte ich den vierten Stock. Zählte die Fenster bis zu dem von Fede. Er war nirgends zu sehen.

Ich sah wieder auf mein Handydisplay. Kommse runter?, hatte ich vor einer Viertelstunde geschrieben. Wir hatten uns seit dem Morgen vor ein paar Tagen nicht mehr gesehen.

Okay, noch diese Kippe, dann würde ich mich wieder verpissen. Sein Problem, wenn er nicht rauskam. Er verpasste was, nicht ich.

Langsam ließ ich den Rauch entweichen. Es wurde Abend und der Himmel hinter den Plattenbauten dunkler. Hier und da leuchtete ein Licht auf, bläuliches Fernsehflimmern. Ein paar Mädels posierten in bauchfreien Tops und Jogginghose vor einer Handykamera, die sie auf dem Boden gegen eine Bierdose gelehnt hatten. Gelächter.

Der letzte Zug.

»Hey, Jay!«, vernahm ich auf einmal Fedes Stimme. Er kam aus Richtung der Bahnstation und steuerte mich an. In seinen Händen hielt er zwei volle Einkaufstaschen, aus denen ein Lauch und anderer Gemüsekram guckte. Als er bei mir ankam, zog er seine Kopfhörer aus den Ohren.

»Glück gehabt, ich wär gerade wieder gegangen.« Ich schmiss meine Kippe auf den Boden und sendete eine Ladung Rotz hinterher.

Er lachte. »Ich wusste ja nicht mal, dass du auf mich wartest.«

»Zu vielbeschäftigt, um dein Handy zu checken?«, grinste ich und griff an sein Handgelenk, um ihn an mich heranzuziehen. Natürlich nicht, ohne davor abgecheckt zu haben, dass uns keiner sah.

»Ich und vielbeschäftigt? Ich heiß doch nicht Jay.« Fede lehnte sich gegen mich. Doch mir entging nicht, dass auch er angespannt war. Da passte jemand definitiv auf, wer von uns wissen durfte und wer nicht.

»Bock auf ne Spritztour gleich?« Ich strich über seinen Rücken, ließ meine Hand zu seinem Hintern wandern.

»Ist das aus deinem erträumten Audi geworden? Schon traurig.« Fede grinste, schien meinem Vorschlag aber nicht abgeneigt gegenüber zu stehen. »Ich bring nur schnell den Einkauf auch und dann freu ich mich drauf, von dir durch die Gegend kutschiert zu werden.«


Es reichte für eine weitere Kippe und ein bisschen sinnloses Herumstehen, ehe Fede wieder herunterkam. Mein Herz schlug augenblicklich schneller, als ich ihn sah. Er hatte sich umgezogen. Für mich. Statt des gemütlichen Hoodies von vorhin und der Jogginghose trug er jetzt ein dunkelrot-schwarz gestreiftes Hemd und die enge Jeans mit dem Loch am Knie.

»Richtig schick gemacht, he?«, grinste ich, als ich mich auf der Fahrerseite niederließ und er auf dem anderen Platz. Ich ging in meine Musikbibliothek und wählte ein Album von Limp Bizkit aus.

»Ist doch quasi ein Date. Bisher wurde ich noch nicht so oft von Prinzen in so edlen Karossen ausgeführt.«

Ich lachte und gab Gas. »Lass die Karre in Ruhe, die stand uns immer zu Diensten.«

Wir fuhren durch die Siedlung, drehten die Musik auf. Frühlingsgeruch in der Luft, die Fenster einen Spalt geöffnet. Fede wippte mit dem Knie im Takt zur Musik und legte bald seine Hand auf meinen Oberschenkel. Über mein Gesicht huschte ein Grinsen, das ich nicht verbergen konnte. Und trotz meines nervös klopfenden Herzens war dieser Moment irgendwie gut. Ein paar Regentropfen fielen vom Himmel, die Scheibenwischer liefen, doch Orange und Rot verdrängten die dunklen Wolken am Himmel.


Schließlich fuhr ich an einem Parkplatz von der Straße ab. Dahinter lag ein kleines Wäldchen, daneben der Friedhof unseres Stadtteils. Im Sommer verkauften sie hier manchmal Erdbeeren und jetzt lag der Stand verlassen da.

Die Verlierer - Herz aus BetonWhere stories live. Discover now