5 | Unser süßes Geheimnis

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 Draußen hatte es angefangen zu schneien. Ein paar vereinzelte Schneeflocken verfingen sich in Tareks Bart, andere landeten auf dem Asphalt und transferierten dort zu ekelhaft braungrauem Matsch. Braungrau, die Farbe Berlins.

Ich lief Tarek hinterher, der auf sein Auto zusteuerte. Obwohl hier im Norden nicht nur der Hund, sondern alles andere Lebendige begraben lag, vor allem an kalten Tagen wie heute, hatten wir ein Stück weit weg parken müssen. „Jetzt hetz nich so, ey", ätzte ich und schmiss mich auf den Beifahrersitz des silbernen Kombis, als wir ihn endlich erreicht hatten. Wenigstens nicht mehr diese Ausgeburt direkt aus der Hölle, die sein Twingo dargestellt hatte. Aber das war auch typisch Tarek, die Karre wechseln wie Weiber ihre Slipeinlagen.

„Ich sags ja, du bis mindestens achtzig", grinste Tarek und startete den Motor. Vorbei an einem paar Neonwerbetafeln, vor denen die Schneeflocken tanzten.

„Im Leben nich. Ich fick alt werden. Kein Bock drauf. Krankheiten und so'n Shit. Lieber verreck ich mich, weil ich mich totgekokst hab oder mich einer niederballert." Berufsrisiko.

„Ach, komm, so paar süße Enkelkinder. Wär schon was." Über sein Gesicht huschte ein Grinsen und ich erkannte die Sehnsucht darin.

„Perfekte Voraussetzung mit deiner Ex, die dich dein Kind nich sehn lassn will", stichelte ich.

Er antwortete nichts, doch sein Blick reichte. Ruhig, wie immer, und doch erkannte ich die kühle Wut in seinen Augen. Ich sah sie nicht oft, nicht bei Tarek, der die meisten Dinge gar nicht an sich ranließ. Doch jetzt war sie da und er gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich mich zusammenreißen musste.

Und vielleicht war ich ein gottverdammter Wichser, der gerne mit dem Feuer spielte, aber ich hatte gelernt, dass Benzin manchmal ne kack Idee war.

Wir saßen bei Nassim im Hinterzimmer. Der hatte vor paar Monaten für seinen Immobilienscheiß tatsächlich ein Büro angemietet, in einer Seitenstraße in Mitte. „Ich hab'n Kontakt nach Tschechien, der könnte uns vielleicht was vermitteln", überlegte Tarek, der sich in einen der Stühle gequetscht hatte. War einer mit Armlehnen, was ihm offensichtlich gar nicht passte. Kein Wunder, so wie sein fetter Bauch darin zusammengedrückt wurde.

„Dann wissen wir ja, was wir vorhaben. Auf nach Tschechien." Ich grinste und zog an meiner Kippe.

Nassim lehnte an seinem Schreibtisch, der nicht aussah, als hätte er je daran gearbeitet. Eine geöffnete Plastikpackung mit Hummus, Essiggurken und Petersilie, eine Tüte mit Fladenbrot. Ein Laptop, auf dem ein YouTube-Video geöffnet war, das nach langweiligem Politikergelaber aussah. „Mach ma langsam, sind dasn vertrauenswürdige Leute?"

"Weiß ich nicht, ehrlich gesagt. Aber wir werden nichts riskieren, Bruder."


Ich war verkatert wie Fick und eigentlich war es ne schlechte Idee, mit der Ringbahn durch die ganze Stadt zu gurken. Warum auch immer die hässliche TU so weit weg sein musste. Aber hey, Fede und ein paar anderen dieser Studentenmissgeburten auf den Sack zu gehen, das wars wert.

Ey wo bist du, schrieb ich, als ich über den Campus lief. Moderne Gebäude zu meinen beiden Seiten, Glasfassaden, in denen sich die Wintersonne spiegelte. Fede hatte keine Ahnung, dass ich vorbeikommen würde. Hatte ich vor ner halben Stunde ja auch nicht gehabt. Aber meine Motivation, nach dem Feiern einfach pennen zu gehen, war gering. Und vielleicht vermisste ich Fede auch ein kleines bisschen, nachdem wir uns seit Silvester nicht mehr gesehen hatten. Beide zu beschäftigt mit Arbeit. In meinem dazu noch mit Saufen, in seinem mit Lernen.

Los sag mal

Langsam wurde ich ungeduldig.

Hab nicht ewig zeit

Die Verlierer - Herz aus BetonWhere stories live. Discover now