6 | Die Welt ist käuflich

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 Fede stand vor mir in der Bahn, während ich mich auf einen der letzten freien Sitzplätze gequetscht hatte. „Bei den meisten von denen bin ich froh, wenn ich sie nur in der Uni seh", seufzte er, während er sich nach oben gestreckt hatte und an einer der Halterungen hielt.

„Glaub ich. Die haben ja alle kein Plan." Ich stellte mir vor, wie ich ihn aus meiner sitzenden Position heraus umarmen würde, mich gegen seinen Oberkörper lehnen.

„Ja, echt mal. Bei Hannes, das ist der mit dem Dutt, da zahlen die Eltern auch die Wohnung. Also ist ja super toll und freut mich auch für ihn, aber man stelle sich das mal vor. 600€ nur dafür und dann kriegt er immer noch Geld für Essen und so."

„Hannes, digga. Da hörts bei mir schon auf."

„Okay, Jonathan."

Ich lachte. Wo er recht hatte. Kurz sah ich mich um. Vergewisserte mich, dass da keiner war, der mich kannte. Dann tat ich es einfach. Schlang meine Arme um seine Beine und zog ihn etwas näher an mich. Fede lachte überrascht auf. „Was wirdn das?"

„Mh."

„Wolltest du mich etwa näher bei dir haben?"

„Mh", machte ich erneut mit schwer zu deutender Tonlage.

„Das war eindeutig n Ja", grinste Fede und strich durch meine Haare, ehe er seine Hand in meinem Nacken ruhen ließ. Das tat er oft, mich dort zu berühren, und ich genoss es jedes Mal aufs Neue. Irgendwas an Fedes Grinsen sagte mir, dass er es mochte, wie ich ihn an mich gezogen hatte. Und das fühlte sich verdammt schön an.

„Ich glaub, bis ich angefangen hab zu studieren, hab ich nie gecheckt, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten in dieser Stadt sind", fuhr er mit dem Thema von eben fort, während er von Zeit zu Zeit seine Finger in meinem Nacken bewegte. „Also, war mir ja schon klar, dass es nich allen geht wie uns, aber ... ich glaub, du verstehst, was ich mein."

Ein paar Menschen stiegen zu und Fede wurde enger gegen mich gequetscht. Tief atmete ich seinen Geruch ein, ein bisschen nach Schweiß und nach Deo. Kaum merkbar unter dem Matschgestank, der verbrauchten Luft.

„Auf jeden", stimmte ich zu, während die Müdigkeit so in meinem Körper saß, dass es mir schwer fiel, eine vernünftige Antwort zu liefern. Auch wenn ich es gerne hätte, weil offensichtlich war, wie Fede dieses Thema beschäftigte. „Ich dachte halt auch immer, is normal, am Monatsende keine Kohle mehr zu haben und leerer Kühlschrank und das alles."

„Und genauso denken die halt, is normal, wie sie aufwachsen. Ist halt auch irgendwie verständlich, weil sie wie wir nichts anderes kennengelernt haben und wenns deinem ganzen Umfeld so geht ... dann fällts dir schwer, dich in was anderes hineinzuversetzen", überlegte Fede weiter, während die Bahn langsam in Richtung Innenstadt schaukelte. Am Kurfürstendamm spuckte sie uns aus und ich kniff meine Augen im Sonnenlicht zusammen. Viel zu hell, das drecks Ding. Konnte das nicht mal einer dimmen?

Als erstes steuerte ich mit Fede im Schlepptau einen Bäcker an, in dem um diese Uhrzeit noch nicht viel los war. Ich nahm eine Dose Energy aus der Kühltruhe.

„Willst du was?"

„Nee, danke, ich hab noch kein' Hunger."

Ich kaufte ihm trotzdem zwei Brezeln, weil er – so wie ich ihn kannte, heute safe noch nichts gegessen hatte. Zu viel damit zu tun gehabt, am Morgen seine Schwestern anzuziehen und zur Schule zu bringen und dafür zu sorgen, dass Leonardo seinen Arsch hoch bekam, als dass er auf sich selbst achtete. Dass er gerade bestimmt Hunger hatte, es aber nie zugeben würde, weil er es hasste, Geld von mir anzunehmen.

„Und jetzt essen", grinste ich, als ich ihm die Bäckertüte in die Hand drückte. Wir ließen uns vor dem Laden auf einem Fahrradständer nieder, unsere Knie berührten einander. Fast wie früher, in den vielen gemeinsamen Raucherpausen.

Die Verlierer - Herz aus BetonTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang