14. Januar, 09:33 Uhr: Evan

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„Das rosa Sofa gehört mir!"

Die Lautstärke meiner Stimme ließ das junge Mädchen auf dem Sitz mir gegenüber stirnrunzelnd aufblicken.

Ich schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. Sie hatte Recht — U-Bahn-Fahrgäste sollten nicht in ihre Telefone schreien. Ich senkte meine Stimme. „Das Sofa gehört mir, nicht Helen. Ich habe es gekauft, bevor wir geheiratet haben, und sie-"

„Entspann dich, Evan", sagte Carl am anderen Ende der Leitung. „Das Sofa gehört dir, und du hast es in deine neue Wohnung gebracht. Es ist sicher vor deiner Ex. Helen wird deine Tür nicht aufbrechen und es stehlen. Bleib einfach hart. Lass dich nicht von ihr überreden, es zurückzugeben. Auch wenn das Ding verdammt hässlich ist."

„Mich überreden, es zurückzugeben? Niemals!" Ich schüttelte den Kopf. Die Zeit, in der ich auf ihren Charme hereinfallen würde, war vorbei. Allein der Gedanke, dass sie mit jemand anderem auf meinem Sofa kuschelte, ließ mich erschaudern.

Und es war nicht hässlich. Es war einfach nur rosa.

„Nächster Halt: Charles/MGH" Die automatische Ansage aus den Lautsprechern des Zuges klang wie meine Ex — vorwurfsvoll, als würde sie die Notwendigkeit verachten, das Offensichtliche zu sagen.

„Übrigens, wie ist deine neue Wohnung?", fragte Carl.

„Großartig. Ich genieße die Entfernung zu Helen." Die langen Fahrten von Alewife zur Uni in der Bostoner Innenstadt waren allerdings weniger erfreulich.

Der Teenager auf dem Sitz mir gegenüber sah mich wieder stirnrunzelnd an. Ich senkte meine Stimme fast bis auf Flüsterlautstärke. „Ich werde dir davon erzählen, wenn ich im Institut bin. Wir sehen uns dort."

„Bis dann." Er legte auf.

Ja, die Pendelfahrten waren der Fluch meines neuen Lebens ohne Helen. Eingepfercht in meinem Sitz, mit den Füßen eines Fremden zwischen meinen. Und wenn ich richtig Pech hatte, saß auch noch ein Manspreader neben mir.

So wie heute.

Eingeklemmt zwischen dem breiten, warmen Oberschenkel meines Nachbarn und der harten, kalten Wand des Zuges auf der anderen Seite war ich dem süßlichen After Shave des Mannes und seinem Gestank nach abgestandenem Zigarettenrauch ausgeliefert.

Das Fahrzeug verlangsamte sich, so dass die Tropfen auf der Scheibe nach vorne wanderten, als könnten sie es nicht erwarten, den Bahnhof zu erreichen.

Der Zug hielt mit einem kleinen Ruck an. Das Bein des Manspreaders rieb sich an meinem. Er summte — ob im Einklang mit seiner Musik oder vor Vergnügen, das durch unsere Berührung ausgelöst wurde, wusste ich nicht.

Ich hustete und ließ der Erkältung freien Lauf, die mein ständiger Begleiter war, seit ich vor zehn Tagen meine tägliche Routine des Pendelns begonnen hatte.

Ich starrte hinaus in die Regenlandschaft und versuchte, die aufdringliche Anwesenheit meines ausladenden Nachbarn zu ignorieren.

Ein anderer Zug stand auf dem Gleis neben uns, seine Fenster genauso nass wie unsere, und seine Fahrgäste waren genauso grau und trist wie die neben mir. Nur eine von ihnen stach heraus. Sie hatte ihr Haar marshmallowblau gefärbt. Ihr Kopf bewegte sich in einem regelmäßigen Rhythmus hin und her. Dicke, weiße AirPods steckten in ihren Ohren.

Ich berührte das kalte Glas des Fensters und war dankbar für den wunderbar unüberwindbaren Spalt, den es zwischen ihr und mir bildete. Der Spalt war kaum eine Lineallänge breit, aber er hielt das, was auch immer sie hörte, außer Hörweite - meine breitbeiniger Nachbar lieferte mehr als genug Soundtrack für diesen Arbeitsweg.

Der Letzte Zug | The Wattys2023 Winner ✔️Where stories live. Discover now