19. Dezember, 09:33 Uhr: Iris

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„You better watch out, you better not cry, better not pout, I'm telling you why: Santa Claus is coming to toooown!" schmetterte mir einer der rotgekleideten, betrunkenen Weihnachtssänger ins Ohr.

Sie waren an der South Station in den Zug einmarschiert und heiterten alle auf, indem sie von einer berühmten Weihnachtsmelodie zur nächsten wechselten.

Ich konnte nicht anders, als meinen besorgten Sehe-ich-heute-endlich-Herrn-Wuschel-Schmollmund durch ein Grinsen zu ersetzen.

„Das ist es, Liebes! Der Weihnachtsmann kommt bald!" Eine der Sängerinnen zwinkerte mir mit falschen Wimpern zu.

Ich wackelte etwas lustlos mit meinem Hintern auf dem Sitz im Zug der Red Line hin und her.

Normalerweise wirkte die Weihnachtsstimmung sehr ansteckend auf mich.

Das war bei Rena nicht der Fall, die immer sagte, der Weihnachtsmann sei nur da, um Frieden, Freude, Glück und andere Marketing-Schlagworte zu verbreiten.

Normalerweise würde ich mitsingen und tanzen, aber...

Seit ich Jayden verlassen hatte, hatte ich in Gedanken dem Weihnachtsmann mein Beileid ausgesprochen, weil er die Liste der unartigen Dinge, die ich in diesem Jahr getan hatte, noch einmal vollständig durchgehen musste.

Vielleicht hatte ich von unserem geliebten interdimensionalen Oberherrn nichts anderes als Kohleklumpen verdient, weil ich meinen Ex verletzt hatte.

Nicht, dass ich einen weiteren Weihnachtsabend in dem stickigen, übermäßig großen Esszimmer von Jaydens Familie verbringen wollte, oh nein, nein, nein.

Die Melodie von Doctor Who, die aus meiner Hosentasche ertönte, veranlasste mich, mein Handy heraus zu nehmen.

„Hi Mama!" Ich ließ meine beste Ich-bin-eine-glückliche- und-erfüllte-erwachsene-Person-Stimme erklingen, nachdem ich die Anrufer-ID erkannt hatte.

„Iris? Wo bist du denn? Ich kann dich nicht gut hören!" Sie schrie in den Hörer, als ob ihr Leben davon abhängen würde.

Ich stieß einen Seufzer aus.

„Es ist halb zehn. Du weißt ganz genau, wo ich bin! Ich sitze im Zug. Auf dem Weg zur Arbeit."

„Was ist denn das für ein Krach im Hintergrund?"

„Ach, die? Das sind nur die üblichen Adventssänger, die Freude und Glück bringen, wo immer sie auftauchen mögen. Aber Du hast mich nicht angerufen, um Weihnachtslieder zu hören. Was kann ich für dich tun?"

„Ich wollte nur sehen, wie es dir geht. Und dich an unsere Verabredung zum Weihnachtsessen erinnern. Du weißt, dass es in fünf Tagen ist, Iris, und ... wir werden Geschenke auspacken."

„Ich erinnere mich." Ich balancierte das Handy zwischen meinem Ohr und meiner Schulter, während ich weiter zeichnete. „Ich habe dein Geschenk schon besorgt. Ich hoffe, es wird dir gefallen!" fügte ich mit einem Kichern hinzu.

Sie hatte mir gesagt, dass sie einen neuen Hut brauchte, nachdem ihr alter vom Winde verweht worden war. Dementsprechend würde sie genau das bekommen. Ich hatte einen weißen Hut mit einem Kinnband gekauft. Er war zwar weiß, aber ich hatte ihn mit reichlich Textilfarbe eingefärbt, damit er in allen Farben des Regenbogens leuchtete.

„Gut. Ich habe deins auch. Sieh zu, dass du pünktlich bist. Du und dein Vater, Gott sei seiner Seele gnädig, ihr seid immer zu spät zum Essen gekommen. Die Suppe wurde kalt und..."

„Ja okay." Ich nickte, als ob ich sie vor mir hätte.

„Ist bei der Arbeit alles in Ordnung?", erkundigte sie sich.

Der Letzte Zug | The Wattys2023 Winner ✔️Where stories live. Discover now