10. März, 09:40 Uhr: Evan

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Ich starrte ungläubig auf die Karte auf meinem Tablet. Dort waren allein in der Innenstadt von Boston etwa zehn Dunkin Donuts-Läden verzeichnet.

Wer aß all diese Kohlenhydrate und Fette?

Nun, ich kannte zumindest eine dieser Personen. Oder auch nicht - ich kannte sie nicht, aber immerhin hatte ich sie gesehen. Nur ein paar Mal, wie zum Beispiel vor ein paar Minuten, als sie ihr Gebäck gelöchert hatte.

Ich wusste nichts über sie. Außer, dass sie Donuts mochte - von Dunkin.

Sie konnte potentiell an jedem dieser Orte auf meiner Karte einkaufen. Oder an anderen, weiter südlich, wo die Red Line begann.

Die Lautsprecher kündigten die Station Park Street an. Mit einem Seufzer klappte ich mein Tablet zu, stand auf und schob mich an den beiden Anzugträgern vorbei.

Warum hatte ich das überhaupt getan? Hatte ich vor, in allen Dunkin Donuts-Restaurants von Boston herumzuhängen und ihr nachzustellen, während ich mich mit Kalorien vollstopfte und an Gewicht zunahm? Das wäre ebenso töricht wie hoffnungslos und ungesund.

Statistiken waren mein Metier, und sie sagten mir unmissverständlich, dass die Chancen, sie auf diese Weise zu treffen, gleich null waren.

Ich ließ mich aus dem Zug und auf den Bahnsteig drängen.

Obwohl das elektrische Licht schwach und unzureichend war, konnte es die fleckige Decke und die Wände des düsteren U-Bahnhofs nicht verdecken. Es roch nach Beton, Pisse und gestressten Fahrgästen auf dem Weg zur Arbeit. Es herrschten triste Farben vor - schwarz, braun und dunkelblau.

Ihre gold- und silberfarbene Mähne würde diesen Ort erhellen.

Ich ging auf die Treppe zu.

Draußen waren der blaue Himmel und die frische Luft eine Wohltat nach den Höhlen und Tunneln unter mir. Mit dem Park auf der einen Seite der Straße und den roten Backsteingebäuden auf der anderen - beide von der Morgensonne geküsst - atmete ich auf. Als wir noch zusammengelebt hatten, kamen wir oft mit Janice hierher, als intakte Familie. Meine Tochter liebte den Spielplatz in der Mitte des Parks und den Ententeich daneben. Sie und ich saßen stundenlang dort, beobachteten die Vögel im Wasser und erfanden Namen für sie.

Diese Zeiten waren nun vorbei.

Alewife hatte auch einen Park, aber Janice bestand darauf, dass es nicht der richtige war. Die Enten hatten alle die falschen Namen.

Am Ende der Park Street wandte ich dem Grün den Rücken zu und blickte auf den Betondschungel der Innenstadt. Heute würde ich keine Zeit mit Janice im Park verbringen.

Die Arbeit wartete.

Doch ein unerwarteter Anblick ließ mich innehalten.

Dunkin Donuts.

Sie hatten hier einen Laden!

Der winzige Laden hatte ein einziges Fenster in einer schwarzen Fassade. Die goldenen Buchstaben darüber wirkten fettleibig.

Ohne nachzudenken, trat ich ein.

Wärme und der Geruch von frischem Gebäck, Zimt und Kaffee strömten mir entgegen.

Ich war noch nie hier drin gewesen. Ich war noch nie in einem Dunkin Donuts gewesen. Noch nie.

Was hatte ich hier zu suchen?

Die ausgestellten Waren verwirrten mich. Ich hätte erwartet, dass alle ihre Produkte aus ringförmigem Gebäck bestehen würden. Doch die Backbleche im Rücken der Frau enthielten viele Sorten. Nicht nur die klassischen Donuts, sondern auch Croissants, Brötchen und viele andere, die ich nicht einmal benennen konnte.

„Bitteschön?", fragte die Frau hinter dem Tresen lächelnd. „Möchten Sie unseren neuen Blaubeerauflauf-Croissant-Donut probieren?"

„Ich..."

Was zum Teufel war ein Blaubeerauflauf-Croissant-Donut?

Würde ich mich lächerlich machen, wenn ich fragte?

Was hatte das Zahnspangenmädchen denn gegessen?

Ich formte mit meinen Händen einen Ring. „Haben Sie einen von denen mit Puderzucker drauf? Die großen?"

„Einen Sugar?" Sie zeigte auf ein Tablett mit goldbraunen Ringen, die mit weißem Staub bestreut waren. „Die haben einen reduzierten Zuckergehalt."

Ich unterdrückte den Impuls zu fragen, wie der reduzierte Zuckergehalt zu ihrem Namen passte, und nickte nur.

„Einen?" Sie hielt einen Finger hoch.

Wollte ich einen Donut kaufen? Echt jetzt?

„Ja, einen", sagte ich.

Helen würde vor Lachen ersticken, wenn sie mich jetzt sehen würde, wie ich mich über den Kauf von Junk Food lustig machte.

Die Frau packte den Donut mit Puderzuckerhaube in eine Tüte. „Und möchten Sie dazu einen Kaffee?"

Zahnspangenmädchen hatte auch einen Kaffee getrunken, warum also nicht das ganze Programm?

„Ja, bitte! Einen Milchkaffee."

Während sie das Getränk zubereitete, scannte ich den Laden.

Iss' einen Donut - und die Welt läuft rund, stand auf einer Werbung, die neben dem Gebäck an der Wand hing.

Nun, die Bio-Karotten in meiner Tasche waren deutlich gesünder und vermutlich besser für die Welt als ein Donut. Um Welten besser.

Aber vielleicht hatte Dunkin' ja recht — der Mensch brauchte auch Kalorien damit es im Leben lief.

Ich bezahlte, bedankte mich bei der Frau und verließ den Laden.

Draußen auf der Straße blieb ich stehen. Das Stadtzentrum und die Arbeit lagen auf meiner rechten Seite, der Park mit seinem Grün und der Sonne auf der linken.

Grinsend wandte ich mich nach links. Es dauerte ein paar Schritte, bis ich die Straße überquert und den Park betreten hatte.

Eine grüne Bank lud mich zum Sitzen ein. Ich nahm sie an. Die Sonne fühlte sich warm auf meiner Haut an. Und aus der Papiertüte auf meinem Schoß strömte der süße Geruch von Donuts.

Ich schloss die Augen und entspannte mich. Eine Vision von ihr vor meinem inneren Auge belohnte mich.

In dieser Vision standen die beiden Fenster zwischen uns, wie immer, der Kommunikation im Weg.

Oder vielleicht doch nicht? Es gab Möglichkeiten, eine Telefonnummer durch Glas zu übermitteln!

Der Letzte Zug | The Wattys2023 Winner ✔️Where stories live. Discover now