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In einer Stunde mache ich los. Natürlich werde ich mir die Kante geben. Morgen früh werde ich es garantiert bereuen, aber heute will ich feiern. Nein, ich stehe nicht unschlüssig vor dem Kleiderschrank. Ich hebe es mir für andere Situationen auf. Das schwarze, knielange Kleid finde ich angemessen. Auf einen BH kann ich wegen der geringen Oberweite verzichten. Ab ins Badezimmer und um die Frisur kümmern.

Na ja, da ist nicht viel zu machen, die braunen Haare reichen gerade einmal bis zu den Ohren. Mit der Bürste habe ich schnell Ordnung hineingebracht. Parfum, nur ein wenig, so manch einer läuft ja in einer regelrechten Wolke herum und dann duftet es nicht mehr, sondern stinkt nur noch. Handtasche geschnappt und Handy und Schlüssel hinein.

Draußen ist es schön und dieser spezielle abendliche Sommerduft liegt in der Luft. Ich mag ihn sehr. Der Herbst ist mir aber lieber. Verfärbte Blätter an den Bäumen, lange Spaziergänge durch den Wald und heißer Kakao mit einem guten Buch. Der darauffolgende Winter ist dann die Kirsche auf der Sahne. Ich liebe Schnee. Dieses spezielle Geräusch unter den Schuhen und diese Stille. Genug davon. Als ich das Wohnzimmer passiere, telefoniert Mama. Ihre Stimme ist sanft, was sie sagt, entzieht sich mir, da ich auf dem Sprung bin. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln geht es in die Innenstadt. Die Fahrt ist nicht erwähnenswert, für die, die gelegentlich den Bus nehmen, wissen, es passiert einfach nichts. Einige hängen an ihren Smartphones und hören Musik, andere wiederum schicken Nachrichten an ihre Freunde. Ein älteres Ehepaar bespricht, wo sie am Wochenende essen gehen wollen. Man kennt das ja. Hinter mir sitzen zwei Mädchen, die sich über irgendwelche Prominente austauschen. Schaltet immer euren Verstand aus, es tötet Gehirnzellen. Dieses ehemalige Model mit ihrer unsäglichen Show. Sie bringt heranwachsenden Frauen nur Mist bei. Es funktioniert leider. Ich habe höhere Ziele. Nach dem Abitur will ich unbedingt Musik studieren. Ich liebe es, zu musizieren, neue Griffe an der Gitarre auszuprobieren. Eventuell morgen, wenn ich den Tag überlebe, ohne vorher umzufallen.

***

Der Busfahrer geht in die Eisen und ich werde, wie auch die anderen Fahrgäste, durchgeschüttelt. Von meinem Sitzplatz erscheint es, als ist das Auto vor uns in den Parkmodus übergegangen und direkt vor der eigentlichen Haltestelle.

»Verdammter Idiot«, schimpft es im hessischen Dialekt. Etwa vierzig Kilometer entfernt liegt Frankfurt, ich werde mich aber nie an die Mundart gewöhnen, auch wenn ich hier aufgewachsen bin. Die Türen öffnen sich zischend und ich steige aus. Ein hagerer Mann sitzt im Haltestellenhäuschen, der einen kleinen Hund auf dem Schoß sitzen hat. Der beste Freund des Menschen schaut niedlich aus der Wäsche.
»Hey, du heiße Schnitte, wie wäre es mit uns?«, macht mich ein halbstarker Typ an. Seine Körpersprache sagt einiges aus, er ist der große Mann und der Anhang betet ihn förmlich an. Anstatt ihm eine schlagfertige Antwort, fange ich unwillkürlich an zu lachen. Es ist nicht inszeniert, nein, ich kann mich einfach nicht halten, er glaubt wirklich, ich falle auf die Knie und will sofort seine Freundin sein.
So ein Blödsinn.
Ich lasse ihn einfach stehen und verschwinde in die nächste Straße. Nach einem kurzen Fußmarsch, der mich an verschiedenen Cafés und Bars vorbeiführt, erspähe ich von weitem Yvonne.

Keine richtige Meisterleistung, ihre Frisur besteht schließlich aus einem Sidecut, der in Intensivem rot erstrahlt. Wir haben uns in der Grundschule kennengelernt und sind seitdem unzertrennlich. Dabei war unser Start holprig, sie hat mit mir einst das Pausenbrot getauscht. Ich mag nun mal keine Leberwurst. Sie unterhält sich mit Katrin. Sie ist vor etwa zwei Jahren ans Gymnasium gekommen. Ihre brünetten Haare reichen ihr bis zu den Schultern. Über dem linken Auge prangt eine Narbe. Als Kind ist sie vom Fahrrad gefallen. Bin ich auch, ach jeder ist mal vom Drahtesel gefallen, na ja, ich habe eine Narbe am Knie. Nicht schlimm, ich lebe ja noch. Kindheitserinnerungen, schön, da war die Welt noch in Ordnung. Meine Güte, ich höre mich an wie eine Großmutter, die über ihr Leben sinniert.
»Hey Emma, alles stabil, süße?«, begrüßt mich meine Sandkastenfreundin und zieht mich an sich.
»Hi.«
Es ist schön, wieder unter Freunden zu sein.
»Wie war es bei deinem Vater?«, werde ich gefragt.
»Echt super«, berichte ich. »Wir haben eine Fahrradtour gemacht und gezeltet haben wir auch.«
Dass mir eines Abends eine riesige Spinne über das Gesicht gekrabbelt war, verschweige ich, es schüttelt mich regelrecht. Ich weiß, sie sind nützlich, keine Frage, aber sie sehen einfach widerlich aus. In Australien werden die Viecher ja noch größer. Man stelle sich das mal vor, ich im Raum mit einer Huntsman-Spinne. Herzinfarkt garantiert. Danke für das Auswandern liebe Großeltern.
»Wie waren denn eure Ferien?«, erkundige ich mich nun. Ich bereue es, denn sie sprechen durcheinander und ich verstehe kein Wort. Absolut chaotisch. Wir prusten los.
»Okay, das machen wir noch mal, aber nicht heute.«
Katrin schlägt vor: »Wie wäre es mit morgen? Meine Eltern besitzen doch dieses Häuschen am Rhein. Da können wir doch abhängen.«
Stimmt, es befindet sich mit anderen Unterkünften direkt am Rhein. Ihre Eltern haben Geld, da ihr Vater Direktor der ansässigen Bank ist. Leider hat er nur wenig Zeit für seine einzige Tochter. Um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, ist ihr Bankkonto dafür mehr als gefüllt. Die Idee klingt echt gut, so ist es beschlossen.
»Genug gelabert, ich will feiern«, sagt Katrin. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und folge ihnen zum Ende der Schlange, die zum Golden Hive führt. Die Fassade besteht aus schwarzem Marmor, welcher poliert ist. Bienenwaben ziehen sich über dem Eingang entlang, auf denen die Lettern angebracht sind.

Blue change | [girlxgirl]Where stories live. Discover now