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Der Wecker im Smartphone springt an und ist dröhnend laut. Ich fluche, tja, selbst schuld, schließlich habe ich ihn erstellt, ja, ganz tolle Entscheidung. Dafür muss ich mir noch eine Ohrfeige verpassen. Der Presslufthammer nimmt an Intensität zu und beginnt zu übersteuern, darüber plärrt eine Stimme: »Aufstehen, du faules Stück.«
Ich kämpfe gegen den Drang an, das Gerät an die Wand zu werfen. Ja, ja, ich stehe ja schon auf. Ich schlurfe ins Bad und ziehe mich aus. Eine kalte Dusche ist aber nur die halbe Miete. Kaffee muss her. Großvater lasse ich schlafen. Behutsam nippe ich an der dampfenden Tasse. In zwanzig Minuten muss ich los, dabei will ich überhaupt nicht, es hilft jedoch nichts, der Zeiger der Uhr tickt unaufhörlich.

***

Draußen ist es kühl, aber die frische Luft tut gut. Ich atme sie tief ein. Es riecht nach gemähter Wiese. In der Nähe rattert ein Rasenmäher. Die städtische Blumenkolonne ist bereits am Werkeln. Als ich die Haltestelle erreiche, warten noch andere Schüler. Manche kenne ich vom sehen, einige sind mir auch völlig unbekannt. Ein älterer Herr sitzt wohl mit seinem Enkel auf der Bank. Der kleine Mann erzählt ihm, wie er sich doch darauf freut, dass es wieder losgeht. Ob er auch noch so denkt, wenn er in der Oberstufe ist?

Ich hoffe es für ihn. Übertreibe ich?
Vielleicht. Es ist nicht der Unterricht, sondern die Hausaufgaben, sie fressen die meiste Zeit. Mit ihnen kann man ab und zu richtige Romane füllen. Oh je, ich klinge, als hasse ich die Schule. In Gedanken versunken, merke ich kaum, dass der Bus vorfährt. Ich setze mich und stecke die Stöpsel in die Ohren. Hannah Bruce von Blue Book beginnt zu singen. Sie ist krass unterwegs und klingt, als würde sie zum Frühstück eine Schachtel Zigaretten rauchen und dazu eine Whiskyflasche leeren. Keine Ahnung, wie sie das macht, in Interviews hat sie eine dünne Stimme. Auch sonst ist sie eher zurückhaltend, kaum zu glauben, wo sie doch auf der Bühne und in Musikvideos vor Selbstvertrauen strotzt.

Ungefähr fünf Songs später ist das Ziel erreicht und ich steige aus. Das Gebäude war schon immer eine Lehranstalt. So um das frühe neunzehnte Jahrhundert erbaut. Selbstverständlich sind die Korridore und Kursräume nun auf dem neuesten Stand. Der beigebrachte Stoff lässt manchmal zu wünschen übrig. Mich empfängt dieser charakteristische Geruch von ... Schule. Das Sekretariat liegt in einem Nebengang. Dort liegt die Schaltzentrale. Das Gedränge ist dementsprechend. Dort treffe ich auch auf meine Freundinnen.

»Fängt gut an, oder?«, fragt Yvonne trocken und wird von einem Mädchen fast über den Haufen gerannt.

»Guten Morgen und willkommen im Irrenhaus.«
Meine Worte sind nicht unpassend. Katrin und Klara schütteln grinsend den Kopf.
»Na ja, das hat sich morgen wieder gelegt.«
Auch wieder wahr. Nach zwanzig Minuten sind wir endlich dran und bekommen von der älteren Dame hinter dem gewaltigen Tisch, der direkt am Türrahmen platziert ist, die Stundenpläne ausgehändigt. Natürlich vergleichen wir Kurse. Einige haben wir zusammen, andere wiederum nicht, aber bei Französisch sind wir in Fröhlichkeit vereint.
»Hey, seht ihr das auch?«
Katrin zeigt auf das Papier.
»Herr Klausen unterrichtet nicht mehr.«
Die Drohung zum Ruhestand hat er wahrgemacht.
»Was steht da?«
Yvonne liest laut vor: »Sarah Westbrook.«
Einprägsamer Name. Sie unterrichtet Französisch und Deutsch. Das Papier wird zusammengefaltet und in der Hosentasche verstaut. Zur ersten und zweiten Stunde steht Physik an. Die Uhr sagt mir, dass es dazu nicht mehr kommen wird, bis sich das Chaos gelegt hat. Dritte und vierte Stunde bin ich im Mathematikkurs.

Herr Hoffmann betritt den Raum und stellt seine Tasche auf das Pult. Der graue Bart ist über die Ferien kürzer geworden und die Frisur hat ebenfalls ein Update bekommen. Anscheinend war er auch im Süden. Man sieht es ihm an.
»Guten Morgen.«
Wir erwidern den Gruß.
»Dann wollen wir mal.«
Es bedeutet Hefte heraus. Arbeitszettel gehen herum. Manches ändert sich einfach nicht, egal, in welcher Klasse oder Stufe man ist. Stumm werden die Aufgaben abgearbeitet. Das Geräusch von Stiften, die über Papier kritzeln, erfüllt den Raum. Als wir fertig sind, werden die Ergebnisse besprochen. Einige Fehlerteufelchen haben sich eingeschlichen, wie ich feststelle, die ich aber ausbessere. Es klingelt.

Blue change | [girlxgirl]Où les histoires vivent. Découvrez maintenant