Kapitel 18

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»Du bist weit entfernt von den Wegen, auf die du dich wagen darfst, Mädchen.«
Seine Stimme war rau und so kalt, dass Vìn trotz der sommerlichen Temperaturen schauderte. Irgendetwas hier war falsch. Der Soldat kam ihr bekannt vor, vielleicht hatte sie ihn schon einige Male von Weitem gesehen, doch sie konnte ihn nicht einordnen. Und auch wenn sie sich immer wieder sagte, dass er ihr keine Furcht einjagen konnte, zitterten ihre Knie.
Der Mann kippte seinen Kopf nur ganz leicht auf die Seite. Seine Augen blitzten klar und grün zu ihr hinüber und wanderten über ihren Körper. »Mädchen«, wiederholte er, und er spuckte das Wort aus wie Gift.
Die Muskeln in seinen Schultern zuckten, und dann setzte er einen Fuß in ihre Richtung. Vìn sprang zur Seite und rannte.
Sie schlug einen Haken um eine Hütte herum und rutschte beinahe im Schotter aus. Die fürchterliche Stimme fluchte in ihrem Rücken, und schwere Schritte verfolgten sie, doch sie sah nicht zurück. Alles in ihr drängte sie nach vorn, weg, nur weg von diesem Mann. Ihre Hände fanden Halt an einer der Hauswände aus rohem Stein, und beinahe blind vor Panik zog sie sich auf das Dach herauf. Auf der anderen Seite der Hütte ließ sie sich nach unten fallen, und ein scharfer Schmerz zuckte durch ihren Knöchel. Doch ihre Füße trugen sie weiter, weiter, weiter – und schienen doch auf einer Stelle zu laufen. Gleich würde er sie einfangen, sie konnte bereits seine Kälte in ihrem Rücken spüren... Er lachte, sich seines Triumphes bewusst.

Vìn war nach einer schlaflosen Nacht mit finsterer Miene aufgewacht und hatte Kat, die sie zum Training führen wollte, nur mürrisch angefaucht.
Doch als ihr Blick nun auf das Waffenarsenal im Trainingsgewölbe fiel, das allen Spähern zur Verfügung stand, hellte sich ihre Laune schlagartig auf. Da waren Speere in schief zusammengezimmerten Holzständern, Schwerter und Beile, Hämmer, Morgensterne und – Dolche. Das Metall der Klingen war angelaufen und schartig, doch sie waren noch immer tödlich. Der Ausdruck in ihren Augen musste genauso hungrig sein wie das Knurren ihres Monsters, als sie ihre Hand nach den Messern ausstreckte. Doch eine Gestalt trat ihr in den Weg, hochgewachsen und breitschultrig. Kat hatte ihr den Namen des Mannes zuvor bereits zugewispert – er war Varnir, der rangniedrigste der Rebellenführer, und ihr neuer Kampftrainer. Er hatte die hellbraune Haut und die dunklen Haare der Fenhariai, aber seine Augen waren von einem ungewöhnlichen Graugrün. Er hatte seine schmalen, scharfen Brauen düster zusammengezogen und um seine Mundwinkel zeigte sich ein unwilliger Zug.

»In den ersten Lehreinheiten wirst du mit deinen Fäusten kämpfen.«
Ihre Augen verengten sich. »Dafür brauche ich kein Training.« Varnirs Muskeln spielten, als er die Arme verschränkte. Sein Brustpanzer ließ die Schultern bloß und die Ärmel seiner Tunika waren abgeschnitten. Varnir zeigte offensichtlich nur zu gern, welche Kraft sich in ihm verbarg. Mit blitzendem Blick sah er zu ihr herab. »Dann hast du sicher kein Problem mit einem Übungskampf Beil gegen Faust.«
Unwillkürlich wanderten Vìns Augen zu Kats Gürtel, wo eine schmale Axt hing. Die Rebellin warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. Mit einem widerwärtigen Grinsen warf Varnir seinen schwarzen Zopf über die Schulter zurück.
»Kairin ist bereits wesentlich weiter als du und weiß, was zu tun ist. Höre auf ihre Befehle.« Damit wandte er sich ab, das zornige Zucken in Vìns Miene nicht mehr mitbekommend.

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft sah sie Kat stillstehen. Ihre hellen blauen Augen waren auf Vìn gerichtet, abwartend und vorsichtig. Sie begriff, dass sie ihre Zähne gebleckt und die Hände zu Fäusten geballt hatte, und zwang sich, ihre Haltung zu lockern. Kat war bisher stets freundlich zu ihr gewesen, es gab keinen Grund, sie zu verschrecken.
»Kairin?«, presste sie nur mühsam kontrolliert hervor.
»Mein gegebener Name. Ich verwende ihn normalerweise nicht.« Die Worte der Rebellin klangen knapp und angespannt. Ihre Augen huschten ruhelos an Vìns Körper hinab. »Also, um... Du hattest auf Zaarlos kein Kampftraining, oder?«
»Der ständige Kampf ums Überleben sollte genug sein, oder?«
Auf Kats skeptischen Blick zuckte sie mit den Schultern. »Kostya hat mir einige Dinge beigebracht.«
»Der Colonel?«
»Kostya«, wiederholte sie nachdrücklich und nahm eine Verteidigungsposition ein, bevor Kat weiter nachfragen konnte. Die Rebellin nickte beifällig und stellte ihre Füße ebenfalls schulterbreit auseinander. Doch während Vìns Linke vor ihrer Körpermitte schwebte und die Rechte nahe ihrer Hüfte ruhte, hatte Kat ihre Hände brusthoch erhoben. Das Beil packte sie knapp unterhalb der Klinge.

Die Chroniken von Castrhys: Über die Berge von ZaarlosWhere stories live. Discover now