Kapitel 47

11 3 0
                                    

Es konnte nicht viel Zeit vergangen sein, seit Zaarlos angerückt war, doch für Vìn war es eine Ewigkeit.
Gemeinsam mit Caz hatte sie die Spinne wieder und wieder mit ihren Schritten abgemessen. Er hielt ab und zu inne, um seinen Plan zu studieren oder Boten mit Befehlen loszuschicken, doch ihre Füße stockten für keinen Herzschlag. Einzig Kostya war bewegungslos stehengeblieben, das Sinnbild eiskalter Kontrolle. Doch das Brennen in seinem Blick konnte er nicht verstecken. Er wartete genau wie Vìn unruhig darauf, endlich in die Schlacht einzusteigen.

Und dann kam Oona.
Keiner von ihnen ging in Angriffshaltung, als sie durch den westlichen Eingang rauschte – nicht so wie bei den Rebellen zuvor. Die Anführerin hatte einen unverwechselbaren Gang. Sie nahm dicht vor Caz' Karte Aufstellung und tauschte einige Blicke mit ihm, die Vìn nicht deuten konnte. Das musste sie nicht. Denn Caz' nächste Bewegung war unmissverständlich – er zog sein Schwert und atmete einmal tief durch.

Vìn brauchte kein weiteres Wort. Sie hechtete los, auf den Ostgang zu, Dorn sicher in ihrer Linken. Kostya und Caz hefteten sich an ihre Fersen und gemeinsam folgten sie den dumpfen Kampfgeräuschen. Der leicht ansteigende Tunnel war tiefschwarz, aber nach einigen Abbiegungen zeigte natürliches Licht ihnen den Weg. Ihre Feinde waren nur einige Schritte entfernt. Jetzt gab es nichts mehr, was Vìn aufhalten konnte.
Doch wenige Armlängen – so dicht vor dem Ausgang, packten starke Finger ihre Schulter. Kostya zog sie zur Seite und presste sie fest an die Felswand, einen Arm über ihren Oberkörper gelegt. Beim unruhigen Heben und Senken ihres Brustkorbes presste sich sein Arm gegen ihre Lederrüstung.
»Bleib' bei mir, Wölfchen.«
Sein spürte seinen Blick auf ihr liegen, doch sie begegnete ihm nur kurz. Er meinte ihre Kontrolle. Diesmal würde sie ihn nicht enttäuschen.

Ihre Augen schossen zu Caz, der sich vorsichtig an die Tunnelöffnung heranpirschte. Der Gang war nur schmal, sie hatten gute Chancen, ihn vor den Soldaten verborgen zu halten. Caz winkte sie nach draußen, aber Vìn mahnte sich selbst zur Vorsicht. Ihre Stiefel machten kaum ein Geräusch auf dem Felsboden. Ihre Muskeln bebten – vor Erwartung und Anspannung, nicht vor Anstrengung. Noch nicht. Mit etwas Mühe verfiel sie in eine regelmäßige Atemtechnik. Sie würde ihren Körper heute bis zu seinen Grenzen ausreizen müssen.

Ihre rasenden Gedanken verschwanden erst, als sie an die Oberfläche trat. Augenblicklich huschte sie geduckt durch den Schnee, einen Hügel hinauf, der den Ausgang vor feindlichen Blicken verbarg. Ihre Bewegungen blieben behutsam, um den lockeren Schnee nicht loszutreten. Das Klirren von Metall auf Metall wurde lauter, einige Soldaten mussten sich in unmittelbarer Nähe befinden. Auf dem Bauch schob Vìn sich dichter an die Kante des Abhangs, und dann sah sie sie.
Am Fuß des Hügels kämpfte eine Einheit Verteidiger um ihr Leben. Der Schnee war aufgewühlt und die Kämpfer wirbelten wild durcheinander. Die Zahlen waren schwer zu schätzen, aber die Rebellen waren in der Minderheit. Vìn kannte kein Zögern – es gab keine Übermacht an Soldaten, die gegen sie bestehen könnten.
Mit einem Fauchen stürmte sie los, Dorn bereit zum Stich.

Zwei Soldaten lösten sich sofort aus der Menge, um ihr entgegenzutreten. Sie holte weit aus und senkte im letzten Moment die Speerspitze. Mit ihrem gesamten Schwung erwischte sie das Knie des einen Soldaten, der gegen seinen Kumpanen stolperte. Sie gab ihnen keine Zeit, sich zu erholen. Zwei Stiche gegen den Hals, ducken, treten, Schlag frontal gegen den Brustkorb – dann ein Satz über die gefallenen Körper.
Zu ihrer Rechten kämpften zwei Verteidiger Rücken an Rücken und weiter vorn stürzte sich Kostya auf einen Soldaten. Er hatte die Oberhand, sie würde-
Eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ sie herumfahren. Instinktiv stieß sie mit Dorn zu. Der Soldat blockte die Speerspitze mit einem Schild und sie spürte den Aufschlag im gesamten Arm. Er holte nach ihrer Linken aus, doch sie hatte bereits das Ende des Speers herumgerissen. Das Schwert des Soldaten schlug eine Kerbe in den Schaft. Sie nutzte seine Klinge als Hebel und trieb ihm die Speerspitze in die Schulter. Aufheulend ließ er sein Schwert fallen. Ihrem Stoß in die Brust hatte er nichts mehr entgegenzusetzen.

Die Chroniken von Castrhys: Über die Berge von ZaarlosWhere stories live. Discover now