Kapitel 24

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Wäre Varnir nicht dazwischengegangen, hätte Vìn Bron umgebracht.
Und hätte sie ihre Dolche gehabt, wäre der Anführer der Nordspäher zu spät gekommen.

Die Spitze ihres Schwertes hatte gebebt, als sie auf Brons Kehle gezeigt hatte. Vìns keuchender Atem war viel zu laut in ihren Ohren gewesen, und ihr Sichtfeld war verschwommen, weil Blut aus einer Wunde an ihrer Augenbraue tropfte. Der ehemalige Soldat hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt. Sie musste ihr Gewicht auf das rechte Bein verlagern, weil er ihre linke Hüfte erwischt hatte. Aber das war nichts im Vergleich zu seiner zertrümmerten Kniescheibe. Zu dem Riss in seinen Rippen, wo die Schnalle seines Brustpanzers fehlte und das Leder dunkelrot verfärbt war. Zu dem Schnitt an seinem Hals, der tödlich geendet hätte, wäre er nur ein wenig tiefer gewesen.

Bron war ein passabler Kämpfer, doch über die Jahre war er in Gewohnheitstechniken verfallen, die gegen Vìns scharfe Attacken nichts ausrichten konnten. Das Feuer, das eiskalt in ihr gebrannt hatte, hatte diesmal nicht sie selbst, sondern ihren Gegner verzehrt.
Doch einen einzigen Wimpernschlag, bevor sie Brons verachtenswertes Leben beenden konnte, schlug ihr eine blitzschnell geschwungene Klinge das Schwert aus der Hand.
Sie fuhr herum, und Varnirs funkelnder Blick ließ sie erstarren.
»Genug. Er macht sich gleich in die Hosen vor Angst.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht und er warf Bron einen Seitenblick zu. »Auch wenn ihn das beschämen sollte, ziehst du dich jetzt besser zurück, kleines Mädchen.«

Für einige Wimpernschläge war sie zu verblüfft, um zurückzublaffen. Varnir glaubte tatsächlich, sie hätte innegehalten. Er ahnte nichts von der Melodie, die ihr rasch schlagendes Herz sang... »Tö-te ihn«, sagten die immer wiederkehrenden Schläge, »Tö-te ihn, tö-te ihn.«
Doch eine andere Stimme war lauter, eindringlicher. Denk' ans Denken, Wölfchen, warnte Kostya in ihrem Kopf. Bron zu töten würde sie nicht weiterbringen. Er war weit weg von ihren Geschwistern, keine Gefahr mehr für sie. Ein anderes Verlangen brannte heller in Vìn. Sie wandte sich Varnir zu.
»Ich habe einen deiner Späher mühelos besiegt. Ich habe ausreichend mit dem Schwert trainiert. Gib mir meine Dolche

Varnir schob sein Schwert in die Scheide auf seinem Rücken zurück und ließ die Augen betont langsam über ihre Haltung wandern. Vìns Position wankte nicht, und sie zuckte nicht zurück. Sie wusste, dass ihre Kampfhaltung perfekt war.
»Wann ein Training ausreichend ist, entscheide nur ich.« Mühsam hielt sie ein Knurren zurück, aber Varnirs Mundwinkel zuckten dennoch. »Aber, wie du meinst. Kein Schwerttraining mehr.«
Er drehte sich um und ging, und obwohl Vìn nicht eingeknickt war, fühlte es sich wie eine Niederlage an. Varnir warf über seine Schulter zu ihr zurück: »Von nun an trainierst du mit einer Axt.«

Sie hatte bereits zwei Schritte Varnir hinterher getan, da holte ein ersticktes Husten ihr Bewusstsein zurück. Ihr Blick fand Bron, der sich vom Boden hochstemmte und schwankend aufrichtete.
»Du kannst kämpfen, so viel du willst, Mädchen«, krächzte er, die Stimme von einem abgerutschten Schlag auf seine Kehle ganz rau, »Gewinnen wirst du nicht. Es gibt immer welche, die mächtiger sind als du.«
Vìn starrte den Krieger unverwandt an. Seine graue Tunika hatte sich an Armen und Rippen dunkel verfärbt, dort, wo sie ihre Treffer gelandet hatte. Sie wusste, dass sie genauso lädiert aussah, doch am Ende war sie es gewesen, die aufrecht gestanden hatte.
»Egal, wie viel Macht sie haben, mir werden sie niemals befehlen können.«
Aus Brons Kehle stieg ein trockenes, raspelndes Geräusch auf, wie Wind, der durch Rispengras fuhr. Irritiert begriff Vìn, dass er lachte.
»Lass mich dir einen Hinweis geben, der vielleicht dein Leben rettet.« Sie schnaubte und wandte sich bereits wieder ab. Auch wenn er seinen festen Stand wiedergefunden hatte, Bron lag noch immer weit unter ihr. Von ihm brauchte sie weder Rat noch sonst etwas – für sie war er gestorben, als das Licht aus Amiels Augen geloschen war. Auch Vìn hatte bereits getötet, aber das unschuldige Leben eines Kindes zu nehmen war ein unverzeihliches Verbrechen.

Die Chroniken von Castrhys: Über die Berge von ZaarlosWhere stories live. Discover now