Kapitel 53

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»Nicht!«
Vìns Hände an Sírnirs Hals bebten. Sie schloss für einen Moment die Augen. An ihren Fingern konnte sie seinen Puls spüren. Nicht mehr lang.
»Töte ihn nicht.«
Kostyas Stimme war nicht so schneidend wie sonst und die Worte kamen nur stockend heraus. Schwer atmend richtete sie ihren Blick nach vorn, wo die Silhouette ihres Monsters wartete. Sein silbriges Fell war angelegt und es verharrte beinahe reglos. Es wusste, dass der General besiegt war. Seine Aufgabe hier war beendet. Es lag an Vìn, Sírnir zu töten.
Ihr Griff um den Hals ihres Feindes wurde für keinen Herzschlag lockerer. Doch sie verharrte noch für einen Moment, wartete auf Kostyas Erklärung.

»Wir brauchen ihn als Geisel. Die Soldaten haben Ocrioll eingenommen, wir müssen fliehen-«
Kostya brach ab. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und wagte nicht, sich umzudrehen. Sírnir war völlig verstummt, doch sie würde nicht nachlässig werden, ihm keine Gelegenheit geben, das hier zu überleben. Die nördlichen Tunnel waren noch frei von Soldaten. Sie würden auch ohne Geisel irgendwie entkommen. Vìn packte mit ihrer Linken Sírnirs dunklen Schopf. Ihr Messer presste sich fester gegen seinen Hals, bereit, zuzustoßen.
»Wölfchen.«

Diesmal war Kostyas Ton so eindringlich, dass sie sich doch umdrehte. Über ihre Schulter fing sie seinen Blick auf, der erschreckend trüb wirkte. Ihre Augen huschten sofort zu Caz, aber der Anführer schien sich langsam von seiner Wunde zu erholen. Warum sah dann Kostya besiegt aus? Langsam erhob er sich und trat einen Schritt näher an sie heran. Er hob seine Hand, als wollte er sie berühren, und ließ sie dann doch wieder sinken. Sein Blick schweifte für einen Moment zu Sírnir ab, aber dann richtete er sich wieder voll und ganz auf sie.

Kostya tat einen tiefen Atemzug.
»Sírnir ist-«
Was auch immer er sagen wollte, er brachte es nicht heraus. Als er blinzelte, blieben seine Lider einen Augenblick zu lang geschlossen. In seinem Ausdruck stand Reue, und Schmerz. Er schaffte nur ein schwaches Wispern. »Ich bin sein Sohn.«

Vìn fuhr zusammen. Die Worte hallten in ihr nach. Sohn. Sein Sohn? General Sírnir, der für den Tod ihrer Geschwister verantwortlich war, der Elèn verletzt hatte... Kostyas Erzeuger. Sírnir, den Kostya jahrelang vergiftet hatte, damit er nicht länger Unschuldige in den Tod schickte. Sie keuchte auf.
Kostya zuckte zurück, als hätte sie ihn geschlagen. Sie hob eine Hand in seine Richtung, doch er wich aus. Ihr wurde klar, dass er Angst vor ihr hatte, vor ihrer Reaktion. Als würde sie ihn gleichsetzen mit dem Mann, den er mehr hasste als alles andere. Kostya hätte es besser wissen müssen.
Mit einem Knurren stieß sie ihr zweites Messer auf ihn zu. Diesmal blieb er stehen, die Augen weit aufgerissen. »Nimm schon«, fauchte sie, »Und bring ihn um.«

Ein hörbarer Atemzug entwich seinen Lungen. »Ich dachte-«
Sie verdrehte die Augen. »Wenn ich dich töte, dann weil du die größte Nervensäge der Eisinseln bist. Die Taten deines Erzeugers haben damit nichts zu tun.«
Die Erleichterung stand ihm klar ins Gesicht geschrieben. Vìn drückte ihren Dolch fester gegen Sírnirs Hals, als Warnung an den General und Beruhigung für sich selbst. Mit derartigen Emotionen von Kostya konnte sie nicht umgehen.
»Trotzdem.« Kostya griff nach ihren Fingern und schloss sie fester um das zweite Messer. Dann zog er sich zurück. »Fürs Erste behalten wir ihn besser als Geisel.«

Vìn spürte in ihren Fingern, wie es in Sírnirs Brust rumpelte. Der General stieß ein leises Lachen aus, doch bevor er ein Wort zusammenbrachte, setzte sie einen Dolch an seinem Ohr an. »Gegen verstümmeln hat er nichts gesagt«, zischte sie ihm zu. Es war Kostyas Entscheidung, was mit Sírnir geschehen würde. Vìn hatte nur zweimal mit ihm gekämpft und es hatte sie jahrelang verfolgt. Wie musste es dann Kostya gehen? Er hatte ihren tiefsten Respekt, dass er Sírnirs Anwesenheit überhaupt ertrug, nachdem er mit diesen schrecklichen grünen Augen aufgewachsen war. Es kostete sie weniger Überwindung, als sie gedacht hatte, den General in Richtung Tunnelausgang zu stoßen.

Die Chroniken von Castrhys: Über die Berge von ZaarlosWhere stories live. Discover now