Chapter 6

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Genervt fuhr Castiel sich durch die dunklen Haare. Er konnte nicht länger in diesem Haus bleiben. Zwischen diesen vier Wänden, die drohten ihn zu zerquetschen.

Er musste hier raus. Wollte atmen. All die Sorgen hinter sich lassen. Die Nacht frei von Problemen ausleben. Und das konnte er nicht, wenn er dem Ärger in die Augen sah.
Missmutig blickte er zu dem Steckbrief der Unbekannten.

Fast kam es ihm so vor, als würde sie ihn verspotten, als würde sie ihr Gesicht nur seinetwegen verdecken.
Natürlich war es absurd. Dieses Frau hatte ihn noch nicht einmal bemerkt, verschwendete sicher nicht einen Gedanken an ihn anders als er.

Er konnte sie nicht vergessen, vielleicht wollte er das auch nicht. Selbst ihm kam es ungesund vor, so viel über irgendeinen Menschen nachzudenken.

Er musste das aufhalten, wenigstens ein paar Stunden lang sollte sie aus seinem Kopf verschwinden, in dem sie mit ihren saphirblauen Augen herumspuckte.

Schnaubend warf er sich seinen dunkelblauen Mantel über. Etwas frische Luft wäre sicher nicht schlecht. Als er die knarzenden Treppen zu seinem Club hinunterstieg, lagen alle Blicke auf ihm.

Er zog seine Mundwinkel hinunter, befahl seinen Augen leblos zu wirken, ließ seinen Körper steif werden. Das, was die Menschen sehen wollten. Eine Hülle dessen, was er wirklich war.

Mit langsamen, bedachten Schritten, ging er auf die Tür zu. Sich bewusst, dass jede Handlung Konsequenzen hatte. Selbst ein falscher Gang, konnte ihn schwach wirken lassen, ihn angreifbar machen.

Erst als die Tür laut hinter ihm zufiel, brach die Hülle auf und ein Schmetterling kam aus seinem Kokon. Er streckte sich ausgiebig, gähnte herzhaft und verzog die Lippen zu einem Grinsen, als er den Mond bemerkte.

Es war ein sehr später Abend, genau die richtige Zeit für einen ruhigen Spaziergang.
Er sah nach links, nach rechts, überlegte, was sein Ziel war.

Und auch wenn er es wirklich zu unterdrücken versuchte, kam ihm ein anderer Gedanke auf. Wo war die Kaputzengestalt hingelaufen? Was war ihr Plan gewesen?

Ein kleines Lachen entwich seiner Kehle, als er sich ausmalte, wie seine Männer die Frau wohl gefangen hatten. Wie sie ihr sagten, dass der größte Verbrecher Nightbrook's sie wollte.
Um jeden Preis.

Castiel wusste nicht, wieso er so an dieser Frau hing.
Er wusste noch nicht einmal wie sie aussah, geschweige den wer sie war.
Ein verzweifeltes Schnauben entwich ihm. Kleine Rauchwolken tanzen um sein Gesicht herum und ließen ihn schmunzeln.

Er liebte denn Winter. Die eisige Kälte war besser, als die erstickende Schwüle von Sommertagen. Zusammen mit dem Gestank und der Fäulnis kommt schließlich die Wärme jedes Jahr aufs Neue.

Die unerträgliche Hitze und der klebrige schweißnasse Dreck, den sie überall erzeugt. Die Sonne, wie Castiel fand, war ein arrogantes Wesen, das die Welt und all ihre Bewohner in Stich ließ, sobald sie ihr Interesse verlor.

Der Mond dagegen war ein treuer Begleiter. Er verschwand nie, war zuverlässiger als so mancher Freund und erlebte uns in den dunkelsten Momenten.

Jeden Tag veränderte er sich. Zeigte sich in einer anderen Form. Manchmal schwach und schwindelnd, manchmal kraftvoll und strahlend.

Die Sonne beobachtete bloß was er tat, doch der Mond kannte all seine Geheimnisse.

Er verstand, was es hieß, sterblich zu sein. Alleine und beschädigt von Kratern, die man auf den ersten Blick nicht erkennt. Castiel schloss die Augen.
Er war der Mond und würde es immer bleiben.

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Wie von selbst trugen ihn seine Füße die Straße hinunter. Das schwere Messer an seiner Hüfte klirrte bei jedem Schritt. Das einzige Geräusch weit und breit.

Also begann er leise ein Lied zu summen. Eine helle, fröhliche Melodie. Doch das Ständchen blieb nicht lange die einzige Geräuschquelle.

Stimmen rissen ihn aus seiner Ruhe, laute, lallende Menschen. Selbst aus so weiter Entfernung roch er das angebratene Fleisch. Die Süße der Früchte konnte er beinahe schmecken, von denen er sich fragte, wie die Bewohner sie bekommen hatten.

Die Felder brachten seit Jahren schlechte Ernten, sie mussten diesen Luxus von Schiffen geplündert haben. Er schmunzelte, so kannte er Nightbrook.

Doch es war nicht die gestohlene Beute, die ihm zum Fest lockte. Es war das heranrufende Aroma des Alkohols. Castiel trank nicht oft, mochte das Getränk nicht einmal, doch er musste vergessen. Sie vergessen.

Das heutige Fest war die perfekte Gelegenheit, etwas Stress abzubauen. Sein Tempo beschleunigte sich. Er rannte schon fast auf das große Lagerfeuer zu, nur um dann abrupt zu stoppen. Ein Poltern ließ ihn an Ort und Stelle verweilen. Es kam von oben.

Verwirrt verzog er die Augenbrauen. Doch in der Dunkelheit erkannte er nicht, was da oben auf dem Dach war. Vielleicht eine Katze? Noch einmal kniff er die Augen zusammen. Bloß Unklarheit.

Er schüttelte den Kopf. Was es auch war, es wollte scheinbar nicht entdeckt werden. Und das kam ihr ihm gerade recht, er wollte nicht noch mehr Schwierigkeiten. Die Hände tief in seinen Taschen vergraben, setzte er seinen Weg fort.

𝐒𝐡𝐚𝐝𝐨𝐰Where stories live. Discover now